2.2 Der Kampf um die Talente
Derzeit gibt es insgesamt 345 anerkannte Ausbildungsberufe. In der Gesellschaft, gerade bei den Schülern, Eltern, aber auch den Lehrkräften, sind folgende zehn Berufe bekannt: Einzelhandelskaufmann, Verkäufer, Bürokaufmann, Kfz-Mechatroniker, Industriekaufmann, Großhandelskaufmann, medizinische Fachangestellte, Industriemechaniker, Bankkaufmann, zahnmedizinische Fachangestellte. Okay, Bäcker und Metzger kennt man auch noch. Aber dann? Welche sind dann die restlichen 333 Berufe? Diese Problematik haben einige Fachverbände erkannt und für ihre Mitgliedsbetriebe Strategien entwickelt, um die Bekanntheit des jeweiligen Gewerkes in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Das Schreinerhandwerk ist mit farbenfrohen Plakaten am Start: „Du hast's drauf? Mach was draus!“ oder „Born-2BSchreiner“. Es werden Events vorbereitet, z. B. der Wettbewerb „Tischler vs. Schreiner“, und aufwendige Werbevideos gedreht.
Praxistipp
Nutz die professionellen Werbemittel, die von den Berufsverbänden entwickelt und für ihre Mitglieder bereitgestellt werden.
Das bodenlegende Handwerk hat nachgezogen und wirbt mit den Slogans „Teamwork und Selbstständigkeit“ und „In welche Fußstapfen willst Du treten? Der Boden macht den Raum“. Kleinstbetriebe können diese Werbemittel über die Verbände beziehen, denen sie angeschlossen sind. Die Plakate, Banner, Flyer und Give aways werden in entsprechend großen Auflagen hergestellt. Damit werden sie für die einzelnen Mitglieder erschwinglich. Für die einzelnen Betriebe ist es oftmals undenkbar, selbst die Kosten für Werbegestalter, Drucksachen oder Image-Videoclips in Kleinauflagen zu finanzieren. Die Anstrengungen der einzelnen Fachverbände verdeutlichen, dass auch die Handwerksgewerke untereinander bereits massiv um Talente kämpfen. Schließlich möchte man nicht einen Lehrling drei Jahre ausbilden, ohne dass er auf lange Sicht auch zum Erfolg des Betriebes beiträgt. Man will deshalb die Besten des Jahrgangs gewinnen und nicht diejenigen, die mehr schlecht als recht einen Hauptschulabschluss hinbekommen.
Im vorigen Kapitel habe ich beschrieben, wie heute im Ausbaugewerbe Baustellenaufmaße erstellt werden. Schon das macht deutlich, dass durch den Einzug von neuer Technik auch der Anspruch an die Qualität der Bewerber gewachsen ist. Bei einer 2014 vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) durchgeführten Online-Unternehmensbefragung gaben 71 % der Betreibe, die keinen Erfolg bei der Besetzung des Ausbildungsplatzes hatten, an, dass keine geeigneten Bewerbungen vorlagen. „Bewerber“ ist übrigens schon jetzt die falsche Bezeichnung. Eigentlich müsste es die „Interessierten“ heißen. Denn begabte Jugendliche müssen sich nicht mehr bewerben, sondern sie suchen sich die Jobs und Arbeitgeber aus, bei denen sie sich ausbilden lassen wollen.
Im Jahr 2004 habe ich zusammen mit verschiedenen Handwerksmeistern eine Handwerkskooperation gegründet. Wir arbeiten beim Wareneinkauf, der Kundenaquise und Baustellenabwicklung Hand in Hand. Von dieser engen Verzahnung der Betriebe aus den Gewerken Schlosser, Fliesenleger, Maler, Elektriker, Schreiner, Parkettleger, Bodenleger, Sanitär und Heizung und Gartenbauer profitieren wir alle.
Das gilt auch für die Rekrutierung von Auszubildenden oder für gemeinsame Schulungsveranstaltungen, in denen unsere Mitarbeiter trainiert werden.
Mitarbeiterschulung der Kooperation Meister-im-Handwerk e. V. | Foto: A. Balles
Ein Schüler aus der Realschule stellt sich in der Schlosserei vor. Er möchte bei einem Praktikum herausfinden, ob ihm der Beruf im Metallhandwerk liegt und Spaß macht. Nach dem zweiwöchigen Praktikum ist der Chef der Schlosserei begeistert. Der Jugendliche war stets pünktlich und hat die übertragenen Aufgaben zügig und in guter Qualität erledigt. Der Schüler hat sich aber die Bearbeitung des Werkstoffes Metall ganz anders vorgestellt. Er möchte deshalb bei einem weiteren Praktikum in einem anderen Berufszweig noch einmal etwas anderes probieren, um dann eine Entscheidung zu treffen. Nun greift der Vorteil unserer Kooperation. Der Praktikant wird an einen anderen Mitgliedsbetrieb in der Gruppe weiterempfohlen. Letztendlich ist er vom Werkstoff Holz begeistert und beginnt seine Lehre in der Schreinerei. So ist das Talent zwar im ersten Moment nicht für den eigenen Betrieb gewonnen, aber hat seinen Platz bei einem Partnerbetrieb gefunden. Das System funktioniert natürlich auch umgekehrt. So wird aus dem Interessenten für das Schreinerhandwerk später vielleicht ein tüchtiger Maler. Denkbar ist so eine „Weitergabe“ von Talenten z. B. auch in regional aktiven Gewerbevereinen, in denen mehrere verschiedene Unternehmen organisiert sind. Die Plattformen von Kooperationen und Gewerbevereinen lassen sich auch gut nutzen, um gemeinsam Talente zu entdecken. So kann ein ganzer Ort an einem Tag alle Werkstätten für Schulabgänger öffnen. Sie und ihre Eltern könnten so in die verschiedenen Unternehmen und die dort angebotenen Ausbildungsberufe hineinschnuppern und sich einen ersten Eindruck verschaffen. Schließen sich hier mehrere Firmen zusammen, lässt sich auch ein attraktives Rahmenprogramm mit Bewirtung, musikalischer Unterhaltung, Fachvorträgen und Vorführungen organisieren. Noch fehlt es in vielen Kommunen an Wertschätzung gegenüber denen, die etwas unternehmen wollen und bereit sind, dafür finanzielles Risiko zu tragen. Ihnen werden oft mehr Steine in den Weg gelegt als beseitigt. Ich denke hier z. B. an die langwierigen Baugenehmigungsverfahren, wenn eine Betriebserweiterung durch den Bau eines gewerblichen Gebäudes ermöglicht werden soll. Oder an den zermürbenden Kampf der kleinen Betriebe, um an schnelle Datenleitungen angebunden zu werden.
Praxistipp
Schließ dich einem regionalen Netzwerk aus verschiedenen Gewerken an. Such mit ihnen gemeinsam nach Jugendlichen mit handwerklicher Begabung. Talente in der Kooperation halten, untereinander vermitteln!
Bei uns im unterfränkischen Bürgstadt, einem Weinort mit ca. 4.200 Einwohnern, sitzen bereits Bürgermeister, Schuldirektoren und Unternehmer an einem Tisch, um entsprechende Konzepte auszufeilen. Hier wird erkannt, dass leistungsfähige Kommunen auf erfolgreiche Betriebe angewiesen sind. Umgekehrt werden Arbeitgeber interessanter, wenn die ganze Infrastruktur des Ortes für Arbeitnehmer attraktiv ist. Schließlich sollen sich auch die Familien der Fachkräfte in der Region rund um den Arbeitsplatz wohlfühlen. Nicht zuletzt macht dieses Beispiel auch deutlich, dass der bevorstehende Fachkräftemangel eine neue Dimension bekommt. Nur mit vereinten Kräften von Politik, Fachverbänden, Schulen und Unternehmen besteht die Chance, dass Kommunen und Betriebe weiter so funktionieren, wie wir das aus vergangenen Jahren kennen.
Seit einigen Jahren beobachte ich einen Wandel der Werteeinstellung von den Menschen in meinem Umfeld. Früher habe ich öfter in Verbindung mit dem Handwerk gehört: „Wer macht sich schon gerne die Hände schmutzig?“ oder „Ich habe zwei linke Hände, das muss jemand anderes machen.“ Immer mehr habe ich den Eindruck, dass hier ein Umdenken in der Gesellschaft stattgefunden hat und gerade stattfindet. Wohlhabende Kunden verbringen ihre Freizeit im Garten und bauen dort Küchenkräuter und Gemüse an. Sie schrauben selbst an ihrem Oldtimer, polieren ihn mühevoll auf Hochglanz und sind stolz, wenn sie das gleichmäßige Brummen des alten Motors ihren Freunden vorführen können. Mit schmutzigen Fingern kommen sie aus ihrem Garten oder der bestens eingerichteten Hobbywerkstatt. In Facebook habe ich ein Bild mit ungewaschenen Händen entdeckt. Darauf ist folgender Text zu lesen: „Dreckige Hände sind ein Zeichen für sauberes Geld.“ Ich glaube, dass seit der Bankenkrise wieder dem produzierenden Handwerk mehr Wertschätzung entgegengebracht wird. Ich habe von Philipp Riederle in München anlässlich der Branchenveranstaltung „roomy 2014“ einen Vortrag gehört, dessen Titel lautete „Wer wir sind und was wir wollen“. Darüber hat der 19-Jährige ein tolles Buch geschrieben. Er beschrieb bei seinem Referat eindrucksvoll, was die junge Generation, die vor dem Eintritt in das Berufsleben steht, wirklich möchte. „Wir wollen etwas, das uns Sinn gibt und erfüllt. Es ist wichtig, dass wir unsere Talente entfalten können. Die Bezahlung dafür steht bei uns nicht an erster Stelle.“ Seine Aussagen haben auch meine Beobachtungen bestätigt. „Lerne erst einmal einen handwerklichen Beruf. Die Kenntnisse, die du dabei erwirbst, kannst du in deinem ganzen Leben brauchen. Da kann kommen, was will. Eine handwerkliche Ausbildung ist für alles gut. Da sieht man wenigstens, was man tagsüber geschaffen hat, und kann stolz auf sich sein.“ Immer öfter höre ich solche Sätze, im Freundes- und Bekanntenkreis, aber auch bei Vereinen. Vielleicht tragen dazu auch langsam die Imageprogramme und Kampagnen aus den verschiedenen Handwerksbereichen bei.
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