Info zur Person Prof . Dr . Rainer Strack
Rainer Strack ist Senior Partner und Managing Director im Düsseldorfer Büro der Boston Consulting Group. Er leitet die Praxisgruppe Organisation, Change Management und Human Resources (HR) in Deutschland und Europa und das HR Topic weltweit. Seit 2008 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten/Herdecke.
Prof. Dr. Rainer Strack hat es mit seinem Vortrag zur globalen Entwicklung der Arbeitskräfte auf die renommierte Internetplattform TED.com geschafft. Bei einer Konferenz TED@BCG der Boston Consulting Group mit mehr als 450 Teilnehmern in Berlin im Oktober 2014 stellte er klar: „Wenn 2030 die Babyboomer in Rente gehen, werden wir vor einer globalen Talentknappheit stehen.“ Strack analysierte die 15 größten Volkswirtschaften weltweit – auch drei der vier BRIC-Länder, nämlich Brasilien, Russland und China, sind von diesem demografischen Wandel betroffen. Außerdem werden in dem Vortrag die Auswirkungen von Technologie und Robotern beschrieben. „Wenn Talente die knappe Ressource sind, muss man dieses Talent viel besser verstehen.“ So fokussiert der zweite Teil des Vortrags auf eine aktuelle Studie zu den Vorlieben von 200.000 Jobsuchenden weltweit. Abschließend wird sehr plakativ dargestellt, dass jedes Unternehmen, aber auch jedes Land eine Personal-Strategie benötigt.
Rainer Strack ist damit einer der ganz wenigen Deutschen, die bei TED. com überhaupt aufgenommen wurden. Und sein Vortrag wurde bereits mehr als 340.000-mal aufgerufen. Er ist zwölf Minuten lang und laut TED ein „data-filled and quite charming talk“ (Quelle: www.uni-wh.de).
2. Hände weg – den will ich!
In vielen Städten und Gemeinden unseres Landes werden mittlerweile Ausbildungsmessen veranstaltet. Wo man früher seinem potenziellen Kunden das Waren- und Dienstleistungsangebot präsentiert hat, buhlen die Betriebe heute um Auszubildende. Längst haben mittelständische Unternehmen und größere Handwerksbetriebe erkannt, dass sie nur an geeigneten Nachwuchs kommen, wenn sie selbst aktiv werden. Die mittleren und kleinen Betriebe stehen dabei massiv im Wettbewerb mit der Industrie. Dort arbeiten ganze Abteilungen daran, Schulabgänger für sich zu gewinnen. Mit durchgestylten Hochglanzbroschüren, Kampagnen in Tageszeitungen, Zeitschriften und Radio werden Ausbildungsplätze schmackhaft gemacht.
Große Investition für ein motiviertes Team | Foto: Udo Herrmann
Bei uns im Ort ist ein Sanitärgroßhandel mit 210 Mitarbeitern ansässig. Dieser hat ein neues Betriebsgebäude errichtet. Während der Bauphase war dort ein Großflächenplakat mit der Aufschrift „Wir bauen für unsere Mitarbeiter“ zu sehen. Das Unternehmen hat ca. 6 Mio. Euro investiert, um seinen Mitarbeitern ein angenehmes Arbeitsumfeld zu bieten. Sie können den Gymnastikraum nutzen, in dem an manchen Tagen auch kostenlose Rückenschulungen angeboten werden. Fitnessgeräte und Leihfahrräder stehen bereit für die sportliche Betätigung in den Pausen oder vor und nach der Arbeitszeit. Tischkicker, Tischtennisplatten und Billard fördern den Teamgeist. In der Cafeteria werden gesunde Gerichte zubereitet. Wer danach müde ist, tankt seinen Körper im eigens eingerichteten Ruheraum beim Power-Napping auf. Stell dir vor, ein Bewerber kommt zu dir und hat vorher bei dem beschriebenen Unternehmen einen Rundgang mit dem Personalchef gemacht. Ich glaube, dann musst du als Chef eines kleinen Handwerkbetriebes ziemlich überzeugende Argumente in der Schublade haben, um diesen potenziellen Mitarbeiter für dich zu gewinnen. Mittlerweile sind die Mitarbeiter in das Gebäude eingezogen. Überall, wo sich Jugendliche treffen, sprechen sie über diesen Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern so vieles bietet. Auf der Facebook-Seite des Unternehmens wird seit der Einweihung ständig positiv über die Arbeitsplätze berichtet. Für neue Bewerber steht ein Prospekt mit Infos zum Download auf der Webseite bereit. Beide Plattformen sind für die Zielgruppe Jugend ansprechend gestaltet. Das gilt sowohl für die dort gezeigten Bilder als auch für die überlegt formulierten Texte. Die Terminvereinbarung für ein Vorstellungsgespräch ist für die Interessierten nur einen Mausklick entfernt.
Weiteres Beispiel: Im Nachbarort stellt eine Patisserie in handwerklicher Qualität süße Desserts mit über 70 Mitarbeitern her. Diese hat einen besonderen Raum eingerichtet und beschreibt ihn in ihrem Web-Blog mit folgenden Worten: „Je besser die Ausbildung, desto höher die Kompetenz, desto höher die Motivation, desto größer unser aller Erfolg.“ Wir wissen alle, was gerne einmal zu kurz kommt, z. B. Neues sehen, auf neue Ideen kommen, überlegen, experimentieren, über Dinge nachdenken, die nicht in zwei Wochen wichtig sind, sondern vielleicht in zwei Jahren. Wir wissen, dass solche Sachen entscheidend sind. Wir müssen ihnen Raum geben. Im wörtlichen Sinne: die Patisserie-Lehrwerkstatt, ein Raum zum Zaubern, Experimentieren und Lernen. Wer bekommt bei so einem emotionalen Text nicht Lust, diesen Raum anzuschauen?
Praxistipp
Biete etwas für Jugendliche, das es in anderen Handwerksbetrieben nicht gibt.
Beispiel: Leihfahrrad oder Billardtisch. Als persönliches Geschenk kommt ein Gehörschutz mit eingebautem Radio gut an!
Eine Werkstatt zum Zaubern, Experimentieren und Lernen | Foto: Udo Herrmann
2.1 Warten reicht nicht mehr
Zu Beginn dieses Kapitels habe ich die Ausbildungsmesse genannt. Mein Freund ist Firmengründer und Geschäftsführer der Firma Procase. Er ist Jahrgang 1968 und hat im Alter von 19 Jahren alleine begonnen, mobile Transportgehäuse für Musikequipment herzustellen. Mittlerweile beschäftigt sein Unternehmen 55 Mitarbeiter an zwei Produktionsstandorten, davon sind 10 in der Ausbildung. Der Altersdurchschnitt des ganzen Teams beträgt 32 Jahre.
Jugend wirbt Jugend auf Ausbildungsmesse | Foto: T. Schweighart
Regelmäßig präsentiert sich Procase auf Ausbildungsmessen. Doch den Chef sucht man auf dem Messestand vergeblich. Die Auszubildenden selbst entwerfen, organisieren und errichten den Stand. Während des Messebetriebs sind sie diejenigen, die potenziellen Nachwuchs ansprechen und über die verschiedenen Berufsbilder, Anforderungen und Aufstiegschancen informieren. Das kommt gut an und schafft gleichzeitig bei den am Stand aktiven Jugendlichen ein hohes Zugehörigkeitsgefühl zu „ihrem“ Betrieb. Die Ausbildungsbeauftragten und der Chef halten sich ganz bewusst im Hintergrund und stehen ihren jungen Teammitgliedern nur beratend zur Seite. Bisher ist es bei jeder dieser Messen gelungen, junge Messebesucher zur Betriebsbesichtigung in das Unternehmen einzuladen. Bei dieser Betriebsbesichtigung werden dann strategisch diejenigen Talente ausgesucht, die einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen. Solche Beispiele aus meiner unmittelbaren Umgebung zeigen mir, wie sehr sich Unternehmen jetzt schon bemühen, für junge Talente attraktiv zu sein.
Praxistipp
Präsentiere deinen Betrieb auf Ausbildungsmessen als besonderen Arbeitgeber im Handwerk.
Setz deine jüngsten Mitarbeiter und Auszubildende als Standpersonal ein.
Die Bundeswehr produziert aufwendige Videoclips, um die offenen Ausbildungsstellen zu besetzen. Die Ansprüche an die Qualität der Bewerber wachsen ständig. Die Regierung investiert viel, um die Attraktivität der Bundeswehr für junge Leute zu erhöhen. Kindertagesplätze abgestimmt auf die Dienstzeiten der Eltern, Unterstützung bei der Pflege von Familienangehörigen, Mithilfe bei Umzug und vieles mehr klingen verlockend. Der Mittelstand und das Handwerk haben diese Mittel nicht bzw. nur sehr begrenzt zur Verfügung, um so intensiv am Ausbildungsmarkt die Werbetrommel zu rühren. Hier ist wieder eine wichtige zusätzliche Aufgabe für den Handwerkschef entstanden. Wer sonst außer ihm kann sich im kleinen Betrieb mit 1 bis 15 Beschäftigten darum kümmern, dass geeignete Arbeitskräfte nachrücken? Je besser er aber diese Aufgabe meistert, umso erfolgreicher wird der Betrieb in Zukunft am Markt agieren können. Er selbst in seiner Person steht hierbei im Wettbewerb mit den Personalentscheidern der größeren Betriebe. Dazu kommt noch der harte Wettbewerb zwischen den einzelnen Gewerken des Handwerks.
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