Irgendwann setzte sich Yamalia abrupt auf, murmelte etwas vor sich hin, in dem Allah vorkam, und stieß Harry an. „Wir müssen das Boot zurückbringen, wir haben die Zeit schon überschritten. Der alte Mann will bestimmt nach Hause oder ins Café.“
Als sie den Bootssteg erreichten, wartete der Pirat im Ruhestand schon ungeduldig auf sie. Doch Yamalia umgarnte ihn mit ihrem Charme und er zeigte ein freundliches, verständnisvolles Lächeln. Harry drängte sich der Gedanke auf, dass man ihn so malen können müsste. Ein wettergegerbtes, verwittertes Gesicht mit dichten grauen Bartstoppeln, blitzenden Augen und großen Zahnlücken im lächelnden Mund. Das Ganze von Kopf bis Fuß umrahmt von der weißen Djellaba. Aber was palaverten die beiden noch so lange?
„Harry, kannst du mir bitte zwanzig Franc geben?“
Wortlos fischte Harry einen Schein aus seiner Hosentasche. „Ist das nicht ein bisschen viel für eine Stunde Verspätung? Das ist ja mehr als doppelt so viel wie die Bootsmiete für den ganzen Tag.“
Yamalia lachte. „Nein, nein, warte nur ab, das wird eine Überraschung.“
Harry war neugierig und drängelte, wollte wissen, was sie ausgeheckt hatte, als sie zu dritt, mit dem Piraten, zum Rand des kleinen Ortes gingen. Aber er bekam lediglich ein „Warte nur ab“ zur Antwort.
Sie kamen zu einem längeren Gebäude am Ortsrand, in dem der Pirat verschwand. Harry drängelte: „Was wird das hier?“
„Warte nur ab.“
Nach einigen Minuten kam ihr Pirat mit einem anderen Berber und zwei gesattelten Pferden aus dem Gebäude. Yamalia jubelte. „Das ist die Überraschung, wir machen eine kleine Reiter-Safari.“
Harry wurde etwas mulmig zumute. „Aber ich kann doch gar nicht reiten, ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen.“
„Ach, das wird schon gehen, ich bin auch nicht besonders gut“, lachte seine Traumfrau, setzte einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich elegant auf eines der Pferde.
Harry versuchte etwas ungelenk, es ihr gleich zu tun, brauchte aber die Hilfe des Pferdebesitzers, um in den Sattel zu kommen.
„Bleib ganz locker, du wirst schnell ein Gefühl dafür bekommen.“
Im Schritt verließen sie die Ortschaft und erreichten die umliegende Steppen-und Wüstenlandschaft. Unter Yamis beruhigenden Unterweisungen versuchten sie einen kurzen Trab, dann wieder Schritt, dann einen längeren Trab und schließlich einen kurzen Galopp. Es ging, aber wie? Harry hatte unzählige Male das Gefühl, beim nächsten Schritt kopfüber im Wüstensand oder im Steppengras zu landen. Nach einer Stunde flehte er um eine Pause. Ihm tat alles weh. Schultern und Rücken wegen seiner verkrampften Haltung und der Hintern fühlte sich an wie rohes Fleisch. In einer kleinen Sandmulde mit einigen Büschen drum herum banden sie die Pferde an. Mit Ächzen und Stöhnen war Harry aus dem Sattel gerutscht, ging steif hin und her und versuchte, die Verkrampfungen zu lockern. Übermütig lachte seine Traumfrau ihn aus, tröstete ihn aber gleich wieder: „Wenn das dein erster Ritt war, dann hast du das schon sehr gut gemacht.“
Doch Harry maulte: „Ich bin sicher, dass du mich für die Nacht völlig kampfunfähig gemacht hast.“
Fast gleichzeitig sahen sie die rasch größer werdende Staubfahne am Horizont. Hasserfüllt stieß Yamalia einen Fluch in ihrer Heimatsprache aus und sah in ohnmächtigem Zorn auf die LKWs, die in der Staubwolke sichtbar wurden. Sie zog Harry hinter die Büsche. In einigen hundert Metern Entfernung fuhren etwa zwanzig Militär-LKWs vorbei.
„Diese Verbrecher, diese Mörder! Aber lange wird das nicht mehr so gehen!“, stieß sie hervor.
Harry konnte nur unsicher und mit schlechtem Gewissen dazu schweigen.
Erst als sich die Staubwolke verzogen hatte, schwangen sie sich wieder auf die Pferderücken, das heißt, sie schwang sich elegant, er aber quälte sich hinauf. In langsamem Trab erreichten sie die kleine Pferdefarm und schlenderten dann zurück zu ihrer Ferienwohnung. Harry war wie gerädert, duschte ausgiebig und alleine, versuchte, mit viel kaltem Wasser die Schmerzen an seinem verlängerten Rücken zu lindern, und wartete dann etwas erleichtert auf der Terrasse auf seine Liebste.
In ihrem Restaurant empfahl Yamalia eine weitere Spezialität des Landes. Hut Bil Karfas, einen leckeren, pikanten Fisch-Sellerie-Eintopf. Sie genossen das Essen im Kerzenschein, Yamalia ihren Wein und Harry sein Mineralwasser dazu. Hinterher gab es eine Schale feinster, sehr süßer Blätterteigvariationen. Liebevoll plauderten sie von ihrer Sandbank, der Bootsfahrt und dann auch von ihrer Reiter-Safari, bei der Harry aber wieder einen etwas gequälten und verkrampften Eindruck machte. Melancholisch wurde es, als sie darauf kamen, dass sie morgen Mittag die Ferienwohnung räumen mussten. Bei Harry baute sich Druck auf. Er wollte so gerne fragen, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Er traute sich aber nicht, da er seine Leiche im Keller verbergen musste. Yamalia nahm ihm etwas von dem Druck, als sie wie nebenbei erklärte, sie wolle morgen gleich weiter nach Algier, um sicherzustellen, dass es mit ihrem Studium, jetzt, nach der „Miss-Story“, weitergeht.
Als sie im Dunkeln, unter dem glitzernden afrikanischen Diamanten-Himmelsgewölbe, Hand in Hand zur Wohnung zurückgingen, waren ihre Empfindungen sehr ambivalent. Da war die Glückseligkeit der vollendet schönen Liebestage und -nächte, da war aber auch die Melancholie des bevorstehenden Abschieds. Bei Harry kam noch das schlechte Gewissen dazu, dass er gezwungen war, seiner Liebsten etwas Wesentliches verschweigen zu müssen.
Im Bett kuschelten sie sich aneinander und verwöhnten sich gegenseitig mit sanften Zärtlichkeiten. Yamalias Bewegungen wurden verlangender und ungeduldiger. Harry bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, knabberte zärtlich an ihrem Ohrläppchen und stöhnte dann mit gewollt komischer Tragik flüsternd in ihr Ohr: „Es tut mir ja so leid, Liebling, aber du hast mich mit deiner Safari leider völlig kampfunfähig gemacht.“
Yamalia kicherte leise: „Das werden wir ja sehen, ruh dich nur aus, mein kleiner, gequälter Reiter.“ Sie kniete sich über Harry, der wie ein sterbender Schwan auf dem Rücken lag. Ungeheuer sinnlich und ganz langsam fuhren ihre Lippen, ihre Zunge über Harrys Gesicht, seinen Hals, seine Brust, den Bauch, den ganzen Körper. Als die Verwöhnorgie mit Lippen, Zunge und Zähnen bis zu seinem kleinen Zeh vollendet war, knabberte sie zärtlich an seinem linken Ohr und fragte dann flüsternd: „Geht es dir schon besser, mein kleiner Liebling?“
„Mhmmh …“ Harry konnte nicht antworten. Er platzte beinahe vor Verlangen, genoss aber das Verwöhnspiel unendlich und wollte es verlängern. Yamalia verlagerte ihre Stellung etwas. Sie begann mit den harten Nippeln ihres vollen Busens wollüstige Wunschträume auf sein Gesicht und seinen Körper zu zeichnen. Sie pflügten Gefühlsalleen auf seine nackte Haut. Ihre Zungenspitze malte zärtliche Muster, die überall auf seinem Körper Brandherde hervorriefen. Harry konnte nicht mehr. Er riss sie an sich. Die Nacht explodierte, als er leidenschaftlich in sie eindrang.
Später, viel später, fragte sie flüsternd, wie er denn so schnell und so restlos seine Reitverletzungen hatte kurieren können. Harry brummte zufrieden, erst einmal gesättigt, etwas Unverständliches. Er ließ sie nicht los. Er hielt sie umklammert, wollte eins sein, wollte eins mit ihr bleiben. Sie schliefen nicht viel in dieser Nacht. Immer wieder flammte die Leidenschaft auf, und wenn sie an Morgen dachten, wurde es zur verzweifelten Leidenschaft.
Unwirsch wischte Harry über seine Stirn und versuchte, die Fliege zu verscheuchen, die ihn da kitzelte. Aber sie ließ sich nicht verscheuchen. Also öffnete er die Augen und versuchte, wach zu werden. Die Fliege war Yamalia, die ihn mit einer kleinen Feder kitzelte. Sie war bereits fertig angekleidet.
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