Hans-Georg Schumann
Der kleine Teufel
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hans-Georg Schumann Der kleine Teufel Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Das Gelbe vom Ei?
2. Der Teufel ist los
3. Kein Tag wie jeder andere
4. Die Rückkehr
5. Ein Dienstag ohne Arbeit?
6. Ungeheuerliches
7. Gut und böse
8. Am Rande des Fegefeuers
9. Etta, die Hexe
10. Hexenjagd
11. Das Leben geht weiter
12. Ein Geschenk für Barbara
13. Auf der Flucht
14. Gefangenschaft und Freiheit
15. Abschied von Etta
16. Tod im Archiv?
17. Die Apothekerin
18. Begegnungen
19. Weltbilder und Arzneien
20. Trennung für immer?
21. Treppenstürze
22. Reif für Urlaub?
23. Reisevorbereitungen
24. Die Insel
25. Vertrauen und Zweifel
26. Angenehme und unliebsame Erscheinungen
27. Suchen und finden?
28. Barbara und Annas Geschichten
29. Standpunkte
30. Wie geht es weiter?
31. Orientierungslos
32. Isso, der Baumeister
33. Menschenleben
34. Usurtus Schatten
35. Der Astrologe
36. Zurück in Babylon
37. Zielfindung
38. Teuflisches?
39. Ausklang
Über dieses Buch
Impressum neobooks
Anna schaute hinunter. Vom Geländer der Brücke, auf der sie stand, bis zur Straße, die darunter hindurchführte, konnten es vielleicht sieben Meter sein. Wenn ich da unten aufkomme, bin ich sofort tot, dachte sie.
Es war heute nicht das erste Mal, dass sie dort stand. Und es war nicht das erste Mal, dass sie zögerte. Und sie traf auch jetzt dieselbe Entscheidung wie beim letzten Mal: Sie würde ihr ödes Leben weiterleben.
Anna war mittelgroß und schlank, hatte helle Haut mit Sommersprossen und kurzes blondes Haar. Sie wohnte allein in einer kleinen Dachgeschosswohnung. Ihr Tagesablauf war fast immer der gleiche: Von montags bis freitags stand sie um sieben Uhr auf. Stellte sich unter die Dusche und schlüpfte, ohne sich abzutrocknen, in ihre Kleider. Zum Frühstück pflegte sie ein bis zwei Tassen schwarzen Tee zu trinken und eine Schale Müsli zu essen.
Dann stieg sie in die Schuhe und streifte die Jacke über. Zog die Wohnungstür hinter sich zu und ging gemächlich die vielen Treppenstufen hinunter. Noch im Hausflur schwang sie sich auf ihr schon etwas angerostetes Fahrrad. Und machte sich auf den Weg zu dem Speditionsbüro, in dem sie arbeitete. Nur im Winter benutzte sie ab und zu den Bus – aus Angst vor glatten Straßen.
Sobald sie am Nachmittag wieder zu Hause war, zog sie ihre Jacke aus und hängte sie auf einen Bügel. Dann stieg sie aus ihren Straßenschuhen und warf sie in eine Ecke neben dem Fernsehgerät. Schaltete das Radio ein und summte zur Musik. Auch wenn sie die Melodie nicht kannte, versuchte sie den Tönen irgendwie zu folgen.
In der Küche stand eine kleine Espressokanne, die nun nicht lange kalt blieb: So wie Anna morgens ihren Tee nötig hatte, mochte sie nachmittags auf den kleinen schwarzen Muntermacher nicht verzichten.
Anschließend ging Anna noch einmal um die Ecke in die Altstadt. Häufig wollte sie nur ein bisschen bummeln. Manchmal hatte sie auch noch ein paar Dinge einzukaufen. Wenn sie zurückkam, schaltete sie den Fernseher an und schaute dem zu, was gerade kam. Meist waren das ein bis zwei Spielfilme, dazwischen Nachrichten und Werbung.
Mit der Zeit wurde Anna müde. Oft schlief sie im Sessel ein. Irgendwann raffte sie sich wieder auf, um sich auszuziehen und ins Bett zu legen. Und damit war der Tag endgültig vorbei.
So ging das von Montag bis Freitag. Etwas anders lief es am Wochenende: Da stand Anna nicht um sieben Uhr auf, sondern erst um neun. Zum Frühstück gönnte sie sich einen doppelten Espresso und dazu ein weichgekochtes Ei.
Samstags machte sie dann ihre Großeinkäufe für die kommende Woche. Nicht selten musste sie dabei mehrmals mit ihrem klapprigen Fahrrad hin und her radeln. Schwer wurde es nur im Winter, wenn es glatt war. Da schob sie ihr Fahrrad lieber vorsichtig neben sich her. Oder sie nahm den Bus.
Sonntags blieb sie nach dem Aufstehen viele Stunden im Nachthemd. Erst gegen Mittag zog sie sich an. Bei schönem Wetter fuhr sie mit dem Fahrrad mehrere Stunden in der Gegend herum. Ohne besonderes Ziel. In irgendeinem Restaurant machte sie dann Rast. Und genehmigte sich dort einen Imbiss und etwas zu trinken. Musste sie bei Regen auf einen Ausflug verzichten, ging sie zu einer Pizzeria, die nicht mal hundert Meter weit entfernt war.
So ging das Tag für Tag. Und Woche für Woche, Monat für Monat. Immer mal wieder kam Anna an einen Punkt, an dem ihr dieses Leben nicht mehr lebenswert erschien. Dann ging sie zu der Brücke und schaute hinunter. Mehr traute sie sich nicht. Und dann ging ihr eintöniges Leben weiter.
Bis eines Sonntags etwas Merkwürdiges geschah. Es war der 22. Februar und ihr 22. Geburtstag. Für Anna eigentlich nichts Besonderes, denn sie feierte ihre Geburtstage grundsätzlich nicht. Und so begann auch dieser Sonntag wie jeder andere Sonntag zuvor.
Anna war schon aufgestanden und hatte ihren doppelten Espresso ausgetrunken. Im Radio kam gerade etwas über den Tod, das sie interessierte. Sie hörte zu und vergaß ganz ihr Frühstücksei. Das brodelte inzwischen auf dem Herd vor sich hin. Erst als der Beitrag im Radio beendet war, fiel es Anna plötzlich ein: »Oh, Gott!«
Sie rannte zum Herd, auf dem das Ei bestimmt schon mehr als zehn Minuten gekocht hatte. In der Eile fasste sie mit der bloßen Hand ins Wasser. Bekam das Ei zwischen die Finger, ließ es aber gleich mit einem Aufschrei wieder los. Das Ei prallte gegen die Herdkante und fiel dann auf den Boden. Dort zerbrach es. Durch den Aufprall wurde der Dotter frei und rollte durch die Küche.
Das sah Anna nicht, sie war auf ihre schmerzende Hand konzentriert. Schnell öffnete sie den Wasserhahn, um die verbrannten Stellen zu kühlen. Als das Wasser jedoch allmählich heißer wurde, zog sie die Hand mit einem erneuten Aufschrei zurück. Diesmal schob sie den Hebel in die richtige Richtung und spürte erleichtert, wie endlich kaltes Wasser über ihre verbrühte Haut sprudelte.
Ihr Blick fiel auf das zerbrochene Ei am Boden. Jetzt bemerkte sie, dass der Dotter fehlte. Sobald die Schmerzen in ihrer Hand ein wenig nachließen, dreht Anna den Hahn wieder ab und machte sich gleich auf die Suche. Vorsichtig kniete sie sich hin und kroch auf dem Boden herum. Da sah sie unter einem Stuhl etwas Rundes. Und zum zweiten Mal rief sie: »Oh Gott!«. Denn das war zwar ohne Zweifel ein Eidotter, doch der war nicht gelb, sondern rot. Tiefrot sogar.
Langsam und staunend näherte sich Anna dem Dotter. Gerade wollte sie ein wenig angewidert nach ihm greifen, da stieg plötzlich Rauch auf. Sie spürte die Hitze und zog die Hand schnell wieder zurück. Wie angewurzelt blieb sie hocken, als das Ding zu brennen anfing. Keinen Ton bekam sie heraus. Sie sah nur zu, was jetzt geschah:
Aus dem roten Etwas züngelten kleine Flammen in allen Farben. Dabei knisterte es leise. Mit einem Mal erlosch das Feuer, und der rote Dotter war verschwunden. Anna wollte es nicht glauben: An seiner Stelle stand dort ein kleines rotes Wesen. Etwas Lebendiges, das sich räkelte und gähnte. Und dabei wuchs es stetig. Bis es drei oder vier Handbreit groß geworden war.
Anna rieb sich die Augen, ehe sie erneut hinsah. Und wirklich war da etwas. Und es bewegte sich. Und machte Geräusche. Erst jetzt wich die Erstarrung von ihr und sie machte einen Satz rückwärts. Stieß sich bei dem Versuch aufzustehen den Rücken an der Türklinke. Schrie »Au!«, und seufzte jetzt schon das dritte Mal »Oh Gott!«.
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