„Ach, ich bin nur ein deutscher Soziologiestudent. Ich möchte gerne etwas über euer Land kennenlernen, über eure Probleme, eure Gedanken, eure Gefühle. Jedenfalls war das bis vorhin so. Jetzt aber möchte ich nur noch dich kennenlernen, die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Yamalia, du bist wunderbar …“
So ging es auch bei den nächsten beiden Tanzsets weiter. Harry baggerte, so gut er es konnte. Er wusste gar nicht, wie gut er es konnte, er übertraf sich selbst.
„Harry, mir ist heiß und ich habe Durst.“
Lachend und Arm in Arm schlenderten sie durch das Gewühl festlich und farbenfroh gekleideter Menschen, inmitten einer Atmosphäre fröhlicher, feiernder Menschen verschiedenster Nationalitäten. Wer könnte in diesem Saal, in dieser Stimmung glauben, dass unweit dieser Umgebung Hass, Gewalt und bitterste Armut dominierten.
Mit strahlenden Augen nahm Yamalia ein Glas perlenden Champagner entgegen. Harry prostete ihr mit einem Glas Mineralwasser zu. „Auf dich, die schönste Frau, die ich je gesehen habe, und vielleicht auch auf uns beide. Ich möchte dich so gerne ein wenig näher kennenlernen.“
Yamalia sah ihn einen Moment ernst mit ihren wunderschönen Augen an, unergründlich tief und von dunkelbraun bis intensiv grün schimmernd wie ein Gebirgssee im Sonnenschein. Durstig tranken sie. Dann lachte sie auf. Ihre strahlend weißen Zähne waren wie ein Sternenkranz in dem Goldglanz ihrer Haut. Diese Haut in der Farbe wie Kaffee, in den man großzügig dicke weiße Sahne gerührt hatte. Ihre Lippen waren voll, von dunklem Rot und schimmerten feucht. Einen Moment lang wurde sie wieder ernst. „Ja, vielleicht könnten wir uns kennenlernen.“ Dann kam wieder ihr perlendes Lachen. „Sag mal, Harry, spielen wir hier verkehrte Welt? Ich bin Moslem und trinke Champagner und du trinkst Wasser. Oder bist du ein deutscher Moslem? Ich glaube ja auch nicht, dass Allah etwas dagegen hat, eine so schöne Atmosphäre und eine so fröhliche Stimmung mit einem Glas Champagner noch etwas zu verschönern.“
Harry versuchte, sein Wunder nicht allzu auffällig anzuschmachten. „Nein, ich vertrage einfach keinen Alkohol“, meinte er kurz, um dann wieder ein bisschen zu baggern: „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Allah der Welt eine so schöne Frau schenkt, um dann bei einem Glas Champagner kleinlich zu sein.“
„Danke, das hast du schön gesagt. Könnte ich dann vielleicht noch ein zweites Glas haben?“
Harry brachte ihr ein neues Glas und sah sie fasziniert an, als sie mit sichtlichem Genuss trank. Ihr leicht gewelltes Haar war tiefschwarz und schimmernd, sodass es aussah, als fiele ein Vorhang aus Onyx auf ihre Schultern. Auch ihre langen Wimpern und ihre weich geschwungenen Augenbrauen zeigten dieses tiefe Schwarz. Ein schwarzer Panther, so schoss es Harry durch den Kopf. Er hatte vor einiger Zeit diese Großkatzen bei Hagenbeck in Hamburg bewundert. Die geschmeidigen Bewegungen und die rassige Schönheit Yamalias weckten Erinnerungen daran.
Locker plauderten sie miteinander. Yamalia studierte Literatur an der Universität von Algier. Sie sprach begeistert von ihren Lieblingsautoren und fragte Harry wiederholt, ob er dieses oder jenes Buch von diesem oder jenem Autoren kenne. Fast immer musste Harry passen. „Nein, ich interessiere mich mehr für die Menschen selbst, für ihr Verhalten, für das, was sie gerne leben möchten, und für das, was sie aufgrund der Lebensumstände oft leben müssen. Eigentlich ist das ja erst mein Vorstudium. Ich versuche, Menschen, Umstände, Mentalitäten kennenzulernen. Mein eigentliches Studium beginnt erst in einigen Monaten. Ich habe mich um einen Studienplatz in Valencia in Spanien beworben“, meinte er, um wenigstens teilweise die Wahrheit zu sagen.
Zwischendurch strebten sie immer wieder zur Tanzfläche und freuten sich darüber, dass sie auch beim Tanzen immer besser harmonisierten. Ihre Tanzhaltung wurde immer enger, immer intensiver und immer intimer. Aber das merkten sie gar nicht. Es war einfach schön. Es war ein Fest. Beim Tanzen für den Körper und beim Miteinanderreden und -lachen ein Fest für die Seele.
Sie machten gerade wieder eine Tanzpause an der Sektbar, als Andree zu ihnen trat. „Bitte, Harry, auf ein Wort“, sagte er und versuchte, ihn möglichst unauffällig etwas abseits zu führen.
Harry sah ihn unwillig an. „Muss das sein?“
„Ja, es muss, unbedingt!“
Harry entschuldigte sich bei Yamalia. „Ich bin in einer Minute wieder da.“
Andree erklärte ihm resolut, dass sie gehen müssten. Den letzten Termin für ihren Nachtausgang hätten sie ohnehin schon überschritten und die anderen wollten auf keinen Fall noch länger bleiben.
Harry fühlte eine heiße Welle der Wut in sich aufsteigen. „Ja, dann geht doch. Ich bleibe auf jeden Fall noch hier. Das ist die tollste Frau, die ich je kennengelernt habe, und ich mache doch nicht alles kaputt, indem ich jetzt einfach gehe.“
Andree redete mit Engelszungen, machte ihm klar, dass er auf keinen Fall alleine hierbleiben dürfe. „Du weißt, es ist streng verboten. Willst du deswegen etwa in den Bunker wandern? Dann siehst du dein Mädchen garantiert nicht wieder. Außerdem ist es wirklich gefährlich. Du weißt doch gar nicht, wie viele fanatische Freiheitskämpfer sich hier unter den Gästen befinden, und wenn sie in dir einen Legionär vermuten, der wehrlos ist, weil er alleine ist, dann ist dein Leben keinen Pfifferling mehr wert.“
Harry wurde nachdenklich. Bei all seinem Tunneldenken, seinem zwanghaften unbedingten Wunsch und Wollen, weiter bei Yamalia zu bleiben, konnte er doch die Erkenntnis nicht wegschieben, dass Andree völlig recht hatte.
„Okay, Andree, aber gib mir noch eine halbe Stunde oder zumindest eine Viertelstunde. Noch ein Tanz und die Möglichkeit, mich mit ihr zu verabreden. Bitte halt die anderen so lange fest.“
Etwas widerwillig sagte Andree zu. „Aber beeil dich bitte!“
Sehr bedrückt ging Harry zurück zu seiner Traumfrau. Die sah ihn schelmisch lächelnd an. „Harry, was ist los? Hat man dir deine Brieftasche gestohlen oder was bedrückt dich so?“
Harry trank einen Schluck Mineralwasser, sah sie zerknirscht an und meinte mit einem verunglückten Lächeln: „Bitte, Yami, lass uns tanzen, ich muss dir etwas sagen.“ Das Fatale war jedoch, dass er noch nicht wusste, was er ihr sagen sollte. Auf der Tanzfläche improvisierte er dann: „Es ist so ein Mist, aber ich muss gehen. Ich habe den anderen Jungs versprochen, dass sie heute Nacht in meiner Pension übernachten können. Die wollen nun unbedingt weg und ohne mich kommen sie nicht rein. Ich möchte so gerne noch bei dir bleiben und ich gehe auch nur, wenn du mir verspricht, dass wir uns wiedersehen und wann. Sonst gehe ich nicht, und wenn ich dadurch meine drei besten Freunde verliere!“
Yamalia sah ihn etwas merkwürdig an. Ja, da lag Misstrauen in ihrem Blick. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihm glauben sollte.
„Bitte, Yami, können wir uns morgen wiedersehen? Es ist mir so ernst und so wichtig.“
Sie sah ihn ernst an, kein Lächeln, kein Strahlen in den Augen. Es dauerte lange, bis sie schließlich leise, ganz dicht an seinem Ohr sagte: „Ich möchte dich ja auch wiedersehen, aber merkwürdig ist das schon.“ Wieder eine lange Pause. „Ich weiß nicht, und überhaupt, morgen fahre ich für drei Tage an die Seenplatte von Tiaret.“
Harry sah seine Felle davonschwimmen. Er wusste, dass er nur noch eine Woche krankgeschrieben war. Dann musste er fort von Mascara. Dann trat seine Versetzung nach Fort Sidi Boukekeur in Kraft. Harry versuchte, seine Traumfrau überzeugend anzustrahlen: „Lass uns zusammen fahren. Ich werde dir in diesen Tagen den Himmel auf Erden bereiten, ich werde dich auf Händen tragen. Wir können doch nicht so auseinandergehen. Es fängt doch gerade erst an. Ich liebe dich und ich merke, dass ich dir auch nicht gleichgültig bin.“ Er drückte sie ganz fest an sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Bitte, Liebling.“
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