Gemächlich fuhren sie über die nicht besonders gut ausgebaute Straße. Der kleine Citroën hatte ein Stoffrolldach, das natürlich geöffnet war. Die Sonne brannte, aber der Fahrtwind machte die Hitze erträglich, ja geradezu angenehm. Wie aus dem Nichts tauchten nach einer Straßenbiegung plötzlich einige bunte Verkaufsstände am Straßenrand auf. Es wurde Obst angeboten, aber auch Lederartikel und kleine Haushaltswaren. Yamalia palaverte etwas mit dem Apfelsinenverkäufer, der sich daraufhin mit etlichen Früchten zu einem kleinen separaten Hocker begab. Kurz darauf kam er mit zwei Gläsern frisch gepresstem Orangensaft zurück. Mit Genuss tranken sie in kleinen Schlucken und sahen sich um. Auch hier war die Landschaft recht öde. In einiger Entfernung war ein kleines Dorf zu sehen. Harry dachte mit schlechtem Gewissen an die Durchsuchungsaktionen mit seinen Kameraden. Erfrischt fuhren sie weiter.
„In gut einer Stunde werden wir da sein.“
Nach einiger Zeit wurde die Landschaft freundlicher, irgendwie grüner. Es tauchten mehrere kleine Dörfer mit grünen Inseln drum herum, bebaute Felder und sogar kleine Waldstücke auf. Voraus am Horizont sah Harry einige zarte weiße Wattewölkchen am sonst so makellos blauen Himmel. „Dort liegen die Seen von Tiaret. Das in der Hitze verdunstende Wasser zaubert meist einige zarte weiße Wölkchen wie einen Wegweiser an den Himmel. Es wird dir dort gefallen“, versprach Yamalia.
Je näher sie kamen, desto zauberhafter wurde die Aussicht. Große Palmenansammlungen wurden langsam erkennbar, und bunt wurde es. Zwischen den Palmen wuchsen üppige blühende Büsche. Es war Harry, als kämen sie nach der Öde und der meist grauen Landschaft während der Fahrt in eine andere, schönere Welt. Auch die Luft schmeckte anders. Sie war lieblicher, milder und es duftete nach Blüten und Früchten.
Sie durchfuhren einen kleinen Ort, aber es waren keine Hütten, die am Rand der unbefestigten Straße aus hartem Lehmboden standen, sondern schmucke kleine Wochenendhäuser, die sich blendend weiß hinter blühenden Büschen zeigten. Kleine Läden oder Café-Häuser mit Stühlen und Tischen davor, an denen meistens alte Männer saßen, Tee oder Kaffee tranken und Wasserpfeife rauchten, unterbrachen das Bild.
Yamalia lenkte den Citroën auf eine Einfahrt zu einem langen weißen Gebäude in maurischem Stil. Das Haus war in drei Ferienwohnungen aufgeteilt, die die Organisation der Miss Algeria unterhielt, und eine der Wohnungen hatte Yamalia für diese drei Tage erhalten. Hand in Hand betraten sie die Wohnung, die einen großen Wohnraum, eine kleine Küche, ein Bad und ein Schlafzimmer hatte. Der Wohnraum, dem sich eine Terrasse mit blühendem Garten anschloss, war etwas karg möbliert, hatte ein großes, sehr flaches Sofa, einen kleinen Tisch und mehrere sesselähnliche Arrangements, die nur aus losen Kissen bestanden.
Sie traten auf die Terrasse und nahmen die blühende und duftende Umgebung ganz still und genießend in sich auf. Harry nahm seine Traumfrau sanft in die Arme. Ihm wurde brennend bewusst, dass er sie von dem Moment an, als er sie das erste Mal gesehen hatte, begehrte. Er war mit ihr jetzt an einem herrlichen Ort angekommen, um mit ihr drei Tage und Nächte zusammen zu sein und, ja wirklich, er hatte sie noch nicht einmal richtig geküsst! Liebevoll küsste ihn jetzt Yamalia auf die Wange, sagte lachend: „Komm, mein Romeo, lass uns erst einmal die schöne Umgebung erkunden“, und zog ihn übermütig hüpfend mit sich.
Nach wenigen Minuten erreichten sie den See. Hier gab es keine Häuser mehr, da das Ufergebiet etwas sumpfig war. Auf schmalen, festen Wegen erreichten sie einen Schilfgürtel. Vorsichtig tasteten sie sich durch das Schilf auf einem kaum erkennbaren schmalen Weg weiter zum See. Plötzlich öffnete sich das Schilf auf der einen Seite hin zu einer festen Sandbank direkt am See und doch bis auf eine kleine Öffnung zum Wasser ganz vom Schilf eingeschlossen. Freudig erregt von dem herrlichen Ausblick auf den See, der etwas Geheimnisvolles und etwas Heimliches an sich hatte, und auch etwas atemlos von ihrer Pirsch durch das Schilf, legten sie sich in den heißen Sand. Die heiße Wüstensonne erreichte ihren traumhaft schönen Platz, der abgeschieden wie in einer anderen Welt lag, nur gedämpft und mild gestimmt durch den hohen Schilfbewuchs. Schilf, das sich im heißen Wüstenwind wog. Im Gleichklang, wie die Körper einer perfekt eingeübten Ballettgruppe. Zwischen den Körpern, den Schilfstauden, glitzerte in silbriger Pracht, funkelnd, wie mit Brillanten besetzt, der See dieser herrlichen Oase. Plötzlich wurde das Glitzern der Brillanten auf dem Wasser von einem kleinen Segelboot durchschnitten, das hinter den in perfektem Gleichklang tanzenden Stauden lautlos dahinglitt. Es war ein Bild, es war eine Stimmung wie im Märchen. Ganz still, ganz überwältigt von so viel paradiesischer Schönheit lagen sie Hand in Hand nebeneinander. Keiner sprach, keiner rührte sich. Harry spürte, wie sich Tränen der Rührung im Bauch oder in der Herzgegend darauf vorbereiteten, in die Augen zu steigen. Tränen fehlten gerade noch. Wie sieht das denn aus, dachte Harry und zog Yamalia sanft in die Höhe.
„Komm, lass uns ins Wasser gehen. Lass uns schwimmen gehen.“
Sie testeten das Wasser mit den Füßen. Es war herrlich.
„Aber wir haben kein Badezeug.“
„Hier ist doch kein Mensch.“
Und wirklich, auch das Segelboot war wieder außer Sicht. Verlangend sahen sie auf das Wasser und sich dann etwas verlegen in die Augen.
„Komm, das wird herrlich.“
Harry riss sich seine Kleidung vom Leibe. Bei der Unterhose zögerte er nur einen Moment, dann war auch die weg und er sprang mit einem Jauchzer in das Wasser. Nach wenigen Schwimmzügen drehte er sich um und sah, dass auch Yamalia sich auszog, ins Wasser sprang, tauchte und im Nu neben ihm auftauchte. Lachend und plantschend wie übermütige junge Hunde tobten sie im Wasser, schwammen ein weites Stück hinaus, kehrten wieder um und alberten im Uferbereich. Das Herumalbern wurde sanfter, ging über in Streicheln und schließlich nahmen sie sich in die Arme. Langsam kamen sie auf ihre verborgene Sanddüne zurück. Einer sagte banal: „Wir haben kein Handtuch.“ Regungslos und ganz dicht standen sie sich gegenüber, sahen sich an, in die Augen, die dann weiter über den tropfenden nackten Körper des anderen wanderten. Harrys steife Männlichkeit war genauso wenig zu übersehen wie die prallen, harten Spitzen von Yamalias herrlichem Busen. Sie sahen sich eine lange Weile stumm an, und in beiden war das Zittern eines reißenden Tieres, bevor es zuspringt und sich in die Beute vergräbt. Kann man erklären, was ein Rausch ist, wenn der Himmel auf die Erde fällt oder die Erde aufbricht und alles wie in Flammen zu verglühen scheint? Wie zwei Meere, die gegeneinander branden, wie zwei heiße Stürme, die sich treffen und die Wolken aufreißen, so fielen sie sich in die Arme – und übereinander her.
Später, in einem Augenblick klarer Nüchternheit, sah er, dass sie im Sand lagen und dass der Staub der nahen Wüste über ihre Körper wehte. Sand knirschte im Mund, in den Haaren und auf der Haut. Sie hatte ihr Gesicht an seine Brust gepresst und in ihn hineingeschrien: „Ich liebe dich, ich liebe dich, bei Allah, ich liebe dich.“ Ist so viel Glück möglich?, dachte Harry. In diesem Land steht die Welt in Flammen und wir ertrinken in Liebe und Leidenschaft. Nackt, zärtlich und zaghaft begannen sie, sich gegenseitig ein wenig zu erzählen.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal in einen Fremden verlieben könnte.“
„Ich habe vom ersten Augenblick im El-Jazair Royal gewusst, dass ich dir verfallen bin.“
Beide waren so vollendet glücklich, so vollendet gesättigt von gegenseitiger Zärtlichkeit, so vollendet befriedigt von gegenseitiger Leidenschaft und gegenseitigem Begehren. Zwischendurch waren sie immer wieder lange still. Es war kein verlegenes Stillsein, sondern ein vollkommenes, vollendetes Wohlfühlen. Ein Glücksgefühl, eine Zufriedenheit, die beide so ausfüllte, dass da gar nichts anderes mehr zu sein brauchte.
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