Von den ausgegrabenen archäologischen Orten oder erhaltenen Denkmälern Deutschlands zählt eine Reihe zum UNESCO Weltkulturerbe, die unbedingt in eine Publikation über bekannte archäologische Stätten gehört. Aber dies muss nicht zwangsläufig heißen, dass das, was nicht zum Welterbe zählt, unbekannt oder unbedeutend ist. Hinsichtlich des Bekanntheitsgrades wird man zum einen differenzieren müssen, was überregional bekannt ist und so Eingang in diesen Band finden konnte, und zum anderen, was nur regional im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit verankert ist, aber dennoch so wichtig ist, um hier berücksichtigt zu werden.
Bei der Auswahl der archäologischen Stätten spielte aber noch ein ganz anderer Aspekt eine Rolle: Viele Orte, von denen man gefühlsmäßig glaubt, hier gäbe es bedeutende Ausgrabungen, erweisen sich bei näherem Hinsehen als wenig ergiebig. Ein Beispiel dafür ist etwa Regensburg, das römische Castra Regina. Hier liegt der römische Ort unter der Altstadt, die mit mehr als 1000 Gebäuden, die aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit stammen, zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt.
Neben diesen Auswahlkriterien war es von Relevanz, eine quantitativ ausgewogene Auswahl hinsichtlich der geografischen Lage innerhalb Deutschlands zu treffen. Natürlich kommt so den Flächenländern ein größerer Anteil zu als den „Stadtstaaten“ Berlin, Bremen und Hamburg.
Eine andere Frage bei der Auswahl war, welcher Zeitraum überhaupt berücksichtigt werden sollte. Nach gründlicher Überlegung schien es geraten, eine abschließende zeitliche Grenze im frühen Mittelalter, also im 9 Jh. n. Chr. zu ziehen, weil wir für das Hochmittelalter und die Zeit danach große intakte Denkmäler besitzen, die eher in den Bereich der Kunstgeschichte als in den der Archäologie gehören.
Eine spannende Frage für den Autor war es auch, wie er Ausgrabungen und ihre Ergebnisse darstellen sollte, weil Archäologie in vielen Fällen zugleich auch Zerstörung bedeutet oder das Ausgegrabene für den Laien nur schwer zu erschließen ist. Glücklicherweise sind die Funde in den Museen zugänglich und viele Fundorte in den letzten Jahrzehnten museal so aufgearbeitet worden, dass der Besucher die Faszination der Ausgrabungsstätte nachvollziehen kann. Weitaus leichter und noch anschaulicher darstellen kann man dies mit Rekonstruktionen an Ort und Stelle, die sich unter dem großen Begriff der Freilichtmuseen subsummieren lassen. Diese Einrichtungen gibt es in Deutschland schon seit mehr als 100 Jahren; in diesem Zusammenhang sei das „Saalburgmuseum“ bei Bad Homburg (s. S. 135ff.) genannt, das auf die Initiative und mit der Förderung Kaiser Wilhelms II. (1888–1918) entstand.
Norddeutschland
Schleswig-Holstein
1 Haitabu
2 Danewerk
Mecklenburg-Vorpommern
3 Groß-Raden
4 Plate-Peckatel
5 Tollensetal
Brandenburg/Berlin
6 Seddin
7 Vetschau
Bremen
8 Bremen
Hamburg
9 Hamburg
Sachsen
10 Dresden-Coschütz
Thüringen
11 Großbodungen
12 Oberdorla
13 Westgreußen
Niedersachsen
14 Bramsche/Kalkriese
15 Heeseberg
16 Northeim
17 Osterrode
18 Pestrup
19 Schöningen
Sachsen-Anhalt
20 Gommern
21 Goseck
22 Nebra
Nordrhein-Westfalen
23 Haltern am See
24 Köln
25 Krefeld
26 Mettmann
27 Xanten
28 Zülpich
Süddeutschland
Rheinland-Pfalz
29 Ingelheim
30 Mainz
31 Neuenahr-Ahrweiler
32 Trier
Hessen
33 Bad Homburg
34 Waldgirmes
Saarland
35 Bliesbruck-Reinheim
36 Perl
Baden-Württemberg
37 Aalen
38 Badenweiler
39 Breisach
40 Ditzingen-Hirschlanden
41 Eberdingen-Hochdorf
42 Hechingen-Stein
43 Herbertingen
44 Ladenburg
45 Osterburken
Bayern
46 Augsburg
47 Faimingen
48 Kempten
49 Manching
50 Oberstimm
Wer als Besucher noch vor rund 40 Jahren an das in ländlicher Idylle am Haddebyer Noor gelegene Haithabu kam, fand kaum mehr vor als den großen Wall und er vermochte sich kaum vorzustellen, dass hier im 8. Jh. n. Chr. der wichtigste Handelsplatz Nordeuropas existierte, der bis in das 11. Jh. hinein Bestand hatte. Neben den archäologischen Befunden zeichnen vor allem aber auch schriftliche Quellen wie die im Jahr 965 entstandene Beschreibung des arabischen Reisenden und Diplomaten Ibrahim ibn Yaqub oder die 1076 entstandene Chronik Adams von Bremen ein lebhaftes Bild der Stadt am Noor.
[01] Haithabu – eine frühmittelalterliche Handelsmetropole im hohen Norden Deutschlands mit Welterbestatus
Schleswig-Holstein
Die Erforschung – vom vergessenen Ort zum Weltkulturerbe
So wie bei vielen Stätten hatte sich im Laufe der Jahrhunderte jegliche Erinnerung an den Standort Haithabus verflüchtigt. Die komplizierte Geschichte zwischen Dänemark und dem Norddeutschen Bund bzw. Preußen mit zwei Kriegen im 19. Jh. erleichterten eine Erforschung sicherlich nicht. Erst 1897 war es ein dänischer Archäologe, Sophus Müller, der die erhaltenen Wallanlagen mit Haithabu verband. Seine Vermutung wurde in den folgenden Jahren durch Ausgrabungen verifiziert, die jedoch bald nach Beginn des Ersten Weltkrieges zum Erliegen kamen und erst 1930 wieder aufgenommen werden konnten. Nach einer erneuten Kriegsunterbrechung konnte man ab 1959 umfangreiche Ausgrabungen durchführen, die in mehreren Abschnitten erfolgten und die Grundlage für das Freilichtmuseum Haithabu lieferten. Man wird sich aber immer wieder vor Augen führen müssen, dass bislang nur etwa fünf Prozent der Siedlungsfläche intensiv erforscht wurden.
Eine ausführliche Darstellung der Geschichte Haithabus ist an dieser Stelle nicht möglich, weil die vielen Fakten und Details für den Leser nur wenig hilfreich sind. Aus diesem Grund ist geraten, sich auf die Grunddaten zu beschränken.
Ursprünglich waren Teile Norddeutschlands von Angeln und Sachsen besiedelt, von denen aber große Bevölkerungsteile im Laufe der Völkerwanderung nach England auswanderten und dort ihre Königreiche errichteten. Diese Wanderbewegung bot nun anderen germanischen Stämmen, den Dänen und Jüten, in der ersten Hälfte des 8. Jhs. die Möglichkeit zum Nachrücken bis zur Schlei und zur Eckernförder Bucht.
Natürlich brauchten die Menschen Plätze, an denen sie siedeln konnten. Ein solcher Platz bot sich am Haddebyer Noor, einer Bucht, die fast vollständig von der Ostsee abgetrennt war und heute gänzlich zu einem Binnensee geworden ist. Solche Plätze boten seefahrenden Völkern einen sicheren Hafen für ihre Schiffe und Waren.
Spätestens um 770 – so glaubt man in der Forschung – wurde Haithabu von Dänen gegründet. Im 9. Jh. entstanden in unmittelbarer Nähe zur Erstgründung zwei weitere, abgesetzte Siedlungsbereiche, von denen aber schon gegen Ende des 9. Jhs. zwei aufgegeben wurden, während der dritte, fortbestehende Siedlungskern in das Danewerk, einem Befestigungswerk mit sehr komplexer Baugeschichte (s. S. 15 f.), eingebunden wurde.
Diese Neuordnung des Siedlungsplatzes Haithabu lässt sich vielleicht mit der Zerstörung des slawischen Handelsortes Reric in der Nähe von Wismar durch die Dänen im Jahr 808 erklären. Die dort ansässigen Kaufleute wurden nämlich entweder freiwillig, was das Wahrscheinlichere ist, oder zwangsweise nach Haithabu umgesiedelt.
Ein Bedeutungsgewinn für den Ort dürfte auch der Umstand gewesen sein, dass ab 811 die nahe Eider zum Grenzfluss zwischen dem Frankenreich und dem Reich der Dänen wurde, sodass Haithabu Umschlagplatz für den bilateralen Handel werden konnte.
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