Gerhard J. Rekel
Die chinesische
Dame |
Ein Roman über Lügen, die verletzen, und Wahrheiten, die töten |
IMPRESSUM
ISBN 9783990401880
© 2013 by Styria Premium
in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG Wien · Graz · Klagenfurt
Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop
Lektorat: Rainer Lendl
Buchgestaltung: Bruno Wegscheider
Coverfoto: iStockphoto/Shutter Worx (Stoff) iStockphoto/itsskin (Dame)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013
Alle Rechte vorbehalten
Cover
Titel Gerhard J. Rekel Die chinesische Dame Ein Roman über Lügen, die verletzen, und Wahrheiten, die töten
Impressum IMPRESSUM ISBN 9783990401880 © 2013 by Styria Premium in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG Wien · Graz · Klagenfurt Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop Lektorat: Rainer Lendl Buchgestaltung: Bruno Wegscheider Coverfoto: iStockphoto/Shutter Worx (Stoff) iStockphoto/itsskin (Dame) 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013 Alle Rechte vorbehalten
Zitate Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Darum leget die Lügen ab und redet Wahrheit. 8. Gebot – Epheser 4.25 Die Wahrheit ist eine Waffe, die wie ein Schwert wirkt. Konfuzius
Das biblische Versprechen
Der Gang nach Canossa
Schanghai der 1940iger
Der Kannibale
Able bodys
4000 Zeichen
Drunken Sauna Shrimps
Sex & Leidenskreis der Zeitlichkeit
Enklave der Dunkelheit & Rentner-Jazz
Barfußärzte & I Ging
Weiqi & Triestiner Lloyd
Klein Wien & Kaiser Qin
Feuerspeiender Drache & Mandarin-Sauce
Laozi & Lariam
Opossum & Shikumen
Dank
Weitere Bücher
Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
Darum leget die Lügen ab und redet Wahrheit.
8. Gebot – Epheser 4.25
Die Wahrheit ist eine Waffe, die wie ein Schwert wirkt.
Konfuzius
Das biblische Versprechen
Als Kindsvater wollte Christian bei der Geburt dabei sein. Er saß neben Sonja im Kreißsaal, hielt ihre Hand. Sonjas engelsgleiches Gesicht war blass, unter ihren hellblauen Augen lagen dunkle Schatten. Sie atmete schwer, röchelte, zuckte. Besorgt schauten ein Arzt und eine Schwester auf den EKG-Bildschirm. Plötzlich begann Sonja zu schreien. Immer lauter. Der Arzt zog einen Wagen mit OP-Besteck heran. Zwei Helfer in blauen Kitteln drängten Christian von ihrem Bauch weg. Presswehen. Der Arzt zückte ein Skalpell. Christian rückte zu ihrem Gesicht, wollte ihr nahe sein. Die Blaukittel schoben ihn auf einen Stuhl. Sonja brüllte. Christian sprang hoch. Die Helfer drückten ihn nieder. Sonja bäumte sich auf. Verzweifelt rückte Christian mit dem Stuhl heran, er beugte sich nach vorne, griff nach ihrer Hand. Die Blaukittel stülpten ihm eine Zwangsjacke über, fixierten ihn. Eine Schwester stellte einen Metalleimer zwischen Sonjas Beine. Christian konnte ihre Scham nicht sehen, nur den Eimer. Der Arzt griff zu einem größeren Skalpell. Blut spritzte. Auf die Kittel. Auf den Boden. Auf Christians Füße. Sonja hechelte, stöhnte, verstummte. Das EKG zeigte einen Strich und piepte. Sofort wollte Christian zu ihr, doch die Zwangsjacke fesselte ihn. Je mehr er zuckte, umso fester. Sonja atmete nicht, ihre Augen starrten zur Decke, leblos. Da bemerkte Christian: Etwas kam aus ihrem Bauch, flutschte in den Metalleimer. Es war klein und bewegte sich. Schwarz. Oval. Faltig. Mit dünnen Beinen. Und langen Fühlern. Eine Kakerlake. Und noch eine. Sie fielen in den Eimer. Wenn ihr Panzer am Metallboden auftraf, hörte Christian ein „Klong“. Jedes Mal. „Klong, klong, klong.“ Bis ihm die Schwester den vollen Eimer brachte. Brutal riss der größere Blaukittel Christians Kiefer auf. Jetzt erst sah Christian das Gesicht des Mannes: Es war sein Vater. Im kleineren Blaukittel erkannte er die Gesichtszüge seiner Mutter. Sie klemmte Christian einen Metallspreizer in den Mund. Über seinem geöffneten Schlund ließ die Mutter eine Kakerlake zappeln. Der Vater grinste ihn verächtlich an: „Mörder!“ Die Schabe fiel auf Christians Zunge. Er spürte, wie sie in seinen Hals krabbelte, ihm den Atem nahm, in seine Arterie eindrang, sein Herz fraß.
Nacht für Nacht quälte Christian diese Szene. Und jedes Mal starb Sonja! Seit Wochen war er mit dem Albtraum aufgewacht. Zumeist gegen drei Uhr früh. Schweißgebadet wälzte er sich dann im Bett.
Neben ihr.
Einmal bemerkte Sonja sein Zittern, sein Hochfahren, seine nasse Stirn. Besorgt fragte sie, was los sei.
Christian konnte es nicht erzählen, wollte sie nicht kränken, niemals. Er hatte sich vor wenigen Monaten mit ihr verlobt, wollte sein Leben mit ihr verbringen. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und ging zu einer Psychotherapeutin: Was hat der Albtraum zu bedeuten, warum diese Qual jede Nacht?
Die Frau residierte in einer Villa im noblen Grinzing am Rande Wiens. Die fünfzigjährige Dame war ihm nicht sympathisch; zu schrill ihre Stimme, zu unverblümt ihre Neugierde, der Habitus eines Kindes im Körper einer reifen Frau. Sie appellierte: Er müsse Geduld haben, eine schnelle Lösung sei unwahrscheinlich.
Christian aber hoffte zumindest auf eine Linderung, auf längere Abstände zwischen den Albträumen, auf ein Verblassen der Bilder. Und eine Antwort, warum ihn gerade jetzt, im Alter von 37 Jahren, nach abgeschlossenem Architekturstudium, mit sicherem Einkommen in der väterlichen Firma und mit einer wunderbaren Frau an seiner Seite, eine solche nicht enden wollende Albtraumserie überfiel.
Die Therapeutin erforschte mit ihm innerhalb einiger Wochen das vermutlich ursächliche Erlebnis: Vor einem Jahr hatte er sich in einer Hautklinik ein Muttermal entfernen lassen. Die Voruntersuchung seines HIV-Tests war positiv. Christian konnte es nicht fassen: Ja, er hatte Sonja einmal mit einer Praktikantin betrogen. Ein Fehler, für den er sich tags darauf schämte. Die hübsche Neunzehnjährige galt als schüchtern, war alles andere als promiskuitiv. Christians Vater hatte eingeladen zum 30-jährigen Firmenjubiläum, die Mitarbeiter machten den Abend zu einem bacchantischen Fest. Christians höflich-galante Art, sein jugendliches Aussehen und seine Position als Sohn des Patriarchen halfen ihm, schnell die Sympathien der Gäste zu gewinnen. Spätnachts musste er die Praktikantin nach Hause fahren. Vor ihrer Wohnung fragte sie, ob er noch mit auf einen Espresso komme: „Nach so einer Party kann ich Alleinsein einfach nicht ertragen … verstehen Sie doch, oder?“ Verschämt lächelte sie, weiße Zähne blitzten, an ihren Ohren baumelten rote Perlen, tiefschwarze Augen strahlten ihn an.
In Christian tobte ein Kampf. Er versuchte, ihr Begehren abzuschmettern. „Ich glaube, meine Verlobte würde das nicht so gut finden“, sagte er lachend.
Читать дальше