1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 „Was meinst du, mein Kurs ist zu hoch?“, fragte Gage.
„Das ist doch keine Raketenwissenschaft, Gage. Du verlangst zu viel.“ Susanna öffnete den Schrank und suchte nach der Kaffeedose. Die war auch leer. Sie schnaubte, leise, verächtlich. „Es ist eine Verschwörung, ich sag‘s dir.“ Sie zeigte ihrem Chef die leere Dose. „Ich geh zu Starbucks.“
„Ich brauch dich bei dem Treffen, Suz.“
„Ich komme ja gleich wieder. Aber hier ist mein Wort zum Montag: Du willst Cowger zurück? Verlang weniger Honorar.“
„Meine Honorare sind marktgerecht.“
„Klar sind sie das, wenn du Remington & Co. bist. Du baust dein Geschäft gerade erst auf. Wir sind in der Arbeite-für-Ruhm-und-Ehre-Phase.“ Susanna stellte die Kaffeedose ab. „Ich brauche Kaffee.“
Als sie an ihm vorbeiging, schnappte sich Gage ihre linke Hand. „Adam hat dir also keinen Heiratsantrag gemacht?“
„Nein, und du bist wahrscheinlich die einzige Person auf der ganzen Insel, die nichts davon gehört hat.“
Er lief rot an. „Ich hab davon gehört. Aber ich wollte es von dir hören.“
„Sodass ich das Ganze noch einmal durchspielen darf?“ Wie nett.
„Hat er wirklich gesagt, er habe den richtigen Ring gefunden, aber nicht die richtige Frau?“
„Jap. Er sagte, wir würden den Plan mehr lieben als einander.“
„Er ist ja verrückt. Wenn je zwei Menschen –“
„Wenn je zwei Menschen einen Weckruf brauchten, dann Adam und ich. Er hat recht, Gage. Ich wollte es nur nie wahrhaben.“ Sie eilte die Treppe hinauf, um ihre Handtasche zu holen. „Ich bin rechtzeitig zum Treffen zurück.“
„Geht es dir gut?“
„Mir geht es gut.“ Sie sah schnell auf die unterste Stufe hinunter, während Tränen ihr die Sicht vernebelten. „Ich bin traurig, aber sonst geht es mir gut.“
„Bist du sicher?“
„Es wird nur ein bisschen Zeit brauchen, bis ich mich an den Gedanken Susanna ohne Adam gewöhnt habe.“
„Der spinnt doch, wenn er dich laufen lässt, ehrlich. Vielleicht hat er in der Wüste zu viel Sonne abbekommen.“
„Ach, auf mich hat er einen ganz vernünftigen Eindruck gemacht. Außerdem hat er jemand anderes kennengelernt.“ Die Worte klangen fremd und machten einen Knoten in ihre Brust.
„Willst du dir den Tag freinehmen?“, fragte Gage leise und voller Mitgefühl.
„Nein. Die Arbeit erdet mich. Sie erinnert mich daran, dass das Leben weitergeht. Außerdem ist das ja genau das Leben, das ich immer gelebt habe, während er nicht da war.“
„Okay, aber denk daran, dass ich dich heute Abend brauche. Wenn du Zeit für dich brauchst, dann nimm sie dir tagsüber.“ Gage lehnte sich gegen das Geländer und sah zu ihr auf. In seinem gegelten Haar fing sich das Licht, das durch die Fenster der zweiten Etage fiel. „Die Benefizsache bei den Butlers … für den Krankenhausflügel. Unsere Chance, den Landschaftsbau zu sichern. Mrs. Butler ist ganz groß darin, Geschäfte mit Leuten zu machen, die sie kennt. Wenn du da bist, können wir beim Auswahlkomitee punkten.“
„Das ist heute?“
Abendgeraderobe. Sie würde sich aufhübschen müssen, etwas mit ihren Haaren anstellen.
„Ja, heute Abend. Wir brauchen diesen Auftrag, Suz. Es heißt, das Krankenhauskomitee wird den Architekten nehmen, den Mrs. Butler vorschlägt. Und das werden wir sein. Ein Auftrag wie der macht sich gut in unserem Portfolio.“
Susanna starrte ihn an. Er hatte recht. Alle Hände an Deck. Und es war nicht Gages Schuld, dass sie zwölf Jahre mit dem falschen Mann verschwendet hatte.
„Natürlich komme ich.“ Sie zwang sich, zu lächeln und boxte in die Luft. „Für das Team!“
„Ich hol dich um sieben ab.“
„Ich fahre selbst.“ Susanna sauste in ihr Büro und schnappte ihre Tasche.
„Ich hole dich ab. Ich will sichergehen, dass du dorthin kommst.“
Susanna rannte die Treppen wieder hinunter.
„Schön.“ Vielleicht wäre eine extravagante Benefizveranstaltung ja genau das Richtige, eine schöne Ablenkung wie das Treffen mit Nate neulich. Am Fuß der Treppe piekte sie Gage in die Brust. „Du hast den letzten Kaffee getrunken, stimmt’s?“
„Ich schicke Myrna Kaffee kaufen.“
Susanna klimperte mit ihrem Schlüsselbund. „Ich bin in fünf Minuten wieder da.“
„Wenn es hilft“, sagte er, „Adam ist ein Dummkopf.“
„Ein Dummkopf?“ Sie hielt kurz in der Tür an. „Nein, Gage, Adam ist kein Dummkopf. Aber ich vielleicht? Da bin ich mir nicht so sicher.“
Die Bibliothek des Sommerhauses war ganz in Leder und dunklem Holz gehalten. Sie hatte eine Terrasse, und von dieser aus beobachtete Nathaniel, wie sich langsam das dünne Licht der Dämmerung über die Insel senkte. Er schob seine Hände in die seidenen Taschen seines maßgeschneiderten Smokings. Der Horizont erinnerte ihn an das lila und goldene Licht der Abende in Brighton. Es hieß, ein Mann, der in der Dämmerung eines Sommerabends auf dem Gipfel des Mount Braelor stand, könne den Himmel über Brighton berühren, sein Schicksal einfangen und sein Glück machen.
Nathaniels Schicksal – und auch sein Glück – waren vorbestimmt. Auf dem „Berg“ des Hauses Stratton. Durch den in Marmor gemeißelten Stammbaum. Von Zeit zu Zeit überkam ihn ein Anflug von Platzangst. Aber diese paar Tage in Georgia hatten sein Herz etwas geöffnet. Hier an dieser heißen Küste zu stehen, erinnerte ihn daran, dass die Welt ein grandioser, fruchtbarer Ort war. Es ließ ihn glauben, dass alles möglich war. Beispielsweise wahre Liebe zu finden. Oder seine Bestimmung vollständig zu akzeptieren.
Nathaniel kehrte in die Bibliothek zurück und verschloss die Terrassentüren hinter sich. Er überflog die Dokumente und Berichte, die auf dem Schreibtisch seines Ur-Urgroßvaters ausgebreitet waren. So viel Juristerei und Amtssprache, mit dem er sich auseinandersetzen musste.
„Bist du soweit?“ Jonathan trat in die Bibliothek und schlüpfte in seine Smokingjacke. „Liam fährt den Wagen vor.“
„Hast du meine Rede ausgedruckt?“ Nathaniel sortierte die Dokumente in Mappen, stapelte sie ordentlich aufeinander und legte sie auf den Schreibtisch.
Jonathan kam zu ihm herüber und hielt ihm das Papier hin. „Ich habe sie quergelesen. Gut gemacht. Das wird Mrs. Butler gefallen.“
„Sie sagte, sie wollte, nur ein paar Worte‘. Etwas darüber, dass Urgroßvater sich so für den Ausbau und die Modernisierung des örtlichen Krankenhauses eingesetzt hat.“ Als Urgroßvater St. Simons zu seinem Sommerdomizil erkoren hatte, hatte er dem Krankenhaus ansehnliche Summen gespendet. Wie Nathaniels Großvater und Vater nach ihm.
Nathaniel ging um den Schreibtisch herum und überflog die Worte, die er mit Jonathans Hilfe verfasst hatte.
Wir sind geehrt, meinen Vater, den König und das gesamte Königreich Brighton hier und heute zu repräsentieren …
… stiften einen Flügel des Krankenhaus zu seinen Ehren … bitte akzeptieren Sie unsere Spende als die Früchte unserer guten Absichten und Gesundheit …
Er konnte den Worten in seinem Kopf zuhören. Seine Worte. Aber mit ihrem Akzent. Susannas. Ein singender Tonfall, voller Süße.
Das schöne Mädchen von der Liebeseiche. Drei Tage waren vergangen, seitdem er ihr geholfen hatte, das Rad zu wechseln, und sie schlich sich immer noch unerwartet in seine Gedanken.
Wie jetzt, als er seine Rede noch einmal las. Oder als er am Strand laufen war. Oder in den Momenten kurz vor dem Einschlafen.
„Bist du auf etwas Interessantes gestoßen?“
Nathaniel richtete seine Aufmerksamkeit auf Jonathan, der an den Tisch getreten war und den Stapel betrachtete, durch den sich Nathaniel gearbeitet hatte.
„Nur das, was wir sowieso schon wussten. Das Großherzogtum Hessenberg erlangt die Unabhängigkeit von Brighton, wenn wir einen königlichen Erben dafür auftun.“ Im Moment erschien Nathaniel die Aufgabe, einen verschollenen Hessenbergerben zu finden, der Suche nach der wahren Liebe nicht unähnlich. Unmöglich. „Andernfalls wird das Großherzogtum zu einer Provinz von Brighton.“ Diese Tatsache schürte die Angst in Nathaniels Herzen. Als jemand, dessen Schicksal schon vor seiner Geburt festgestanden hatte, hatte er volles Mitgefühl mit Hessenberg. Es verdiente seine Unabhängigkeit, wenn es nur irgendwie machbar war.
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