Martina von Schaewen,
1961 in Stuttgart geboren, arbeitet an einer Schule für Kinder mit geistiger Behinderung und lebt mit ihren Söhnen in Freiberg am Neckar.
Nach Schattenblende ist Budschakenblut ihr zweiter Roman.
Martina von Schaewen
Budschakenblut
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2013
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.deabrufbar.
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Alle Rechte beim Autor
1. digitale Veröffentlichung 2013 Zeilenwert GmbH
ISBN 978-3-954888-45-0
www.engelsdorfer-verlag.de
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Titelseite Martina von Schaewen, 1961 in Stuttgart geboren, arbeitet an einer Schule für Kinder mit geistiger Behinderung und lebt mit ihren Söhnen in Freiberg am Neckar. Nach Schattenblende ist Budschakenblut ihr zweiter Roman. Martina von Schaewen Budschakenblut Engelsdorfer Verlag Leipzig 2013
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar. Alle Rechte bei Martina von Schaewen Lektorat: G und G Umschlaggestaltung: Jochem Maier www.cms-werbung.de Umschlagfotos: djama, leksustuss www.fotolia.com Autorenfoto: Helmut Pangerl www.helmut-pangerl.de Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor 1. digitale Veröffentlichung 2013 Zeilenwert GmbH ISBN 978-3-954888-45-0 www.engelsdorfer-verlag.de
Widmung Lange blieben die beiden so stehen, bis er die Umarmung auflöste, ihr einen Kuss auf die Wange drückte und sich mit den Worten: „Denk daran, du musst dafür sorgen, dass die Sonne in deinem Herzen scheint“, verabschiedete. Für meine beiden Söhne Hannes und Simon
Einleitung - Sarata 1940
Sarata 1919
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Lange blieben die beiden so stehen, bis er die Umarmung auflöste, ihr einen Kuss auf die Wange drückte und sich mit den Worten:
„Denk daran, du musst dafür sorgen, dass die Sonne in deinem Herzen scheint“,
verabschiedete.
Für meine beiden Söhne
Hannes und Simon
Olga starrte zu dem aufgebauten Galgen gegenüber dem Gebietsamt. Morgen würden die Russen die Schlinge um seinen Hals legen. Selbst wenn Olga dann noch hier wäre, sie würde sich das nicht anschauen.
Ihr Mann riss sie aus ihren Gedanken: »Es gibt keinen Menschen auf der Welt ohne Schicksalsschläge.«
»Wir sind doch alle nur noch Nummern.« Olga hielt ihm eine Karte entgegen, auf der ihr Name und ihre Umsiedlungsnummer standen. Sie befestigte eine Schnur daran und hängte sich die Karte um den Hals.
Die beiden saßen auf ihrem Fuhrwerk, vor dem zwei Pferde angeschirrt waren.
Über dem Wagen befand sich ein halbrundes Gerüst aus gebogenen Holzstangen, darauf eine befestigte wasserdichte Plane, die vor Regen, Wind und Kälte schützen sollte.
Olga blickte auf die zwei Plakate, die am Gebietsamt aushingen: Aufruf zur Rückkehr ins Großdeutsche Reich. Eines in deutscher, das andere in russischer Sprache. Ein freiwilliger Appell an die Deutschen in den Kolonien Bessarabiens. In Sarata trieb die Angst die Menschen fort. Die wenigen, die mit dem Gedanken gespielt hatten, in der Heimat zu bleiben, kamen schnell davon ab. Ungewissheit und Furcht, die Russen könnten die Menschen in Sibirien oder Kasachstan ansiedeln, hatte auch die letzten Ausreisegegner dazu gebracht, die Umsiedlung zu beantragen.
Noch keinen Schritt bewegte sich das Fuhrwerk von der Stelle und Olga störte sich bereits an dem unbequemen, harten Holz der schmalen Bank, auf der sie saß. Sie stand auf und suchte hinten im Gefährt nach einer Decke. Ihr Mann erhob sich ebenfalls. Er stieg vom Wagen und ging auf die anderen Männer zu, die schweigend auf der Straße standen und sich Zigaretten reichten.
Die Frauen und Kinder blieben auf ihren Fuhrwerken sitzen. Auch dort herrschte eine unheimliche Stille. Die Kinder trauten sich kaum, etwas zu sagen und wenn, dann flüsterten sie. Viele der Frauen hielten Taschentücher in den Händen und wischten sich damit die Tränen ab.
Olga breitete sorgfältig die Decke auf der kleinen Holzbank aus und setzte sich darauf.
Sie erinnerte sich an den Abschiedsgottesdienst vergangenen Sonntag in der Kirche.
So viele Menschen waren bisher noch bei keinem Gottesdienst anwesend gewesen. Es hatte sich kein Platz mehr auf den Bänken, in den Gängen und auf der Treppe gefunden.
Die breite zweiflügelige Holztüre der Kirche stand offen und viele nahmen im Freien, neben den vier riesigen Säulen, oder auf der Treppe, die zur Straße führte, teil.
Die Dorfbewohner hörten zum letzten Mal die Worte ihres Pfarrers. Der Pastor konnte sich kaum aufrecht halten und stand zusammengesunken auf der Kanzel. Das lag gewiss nicht nur an seinem fortgeschrittenen Alter – er hatte vor kurzem seinen 88. Geburtstag gefeiert – sondern an den widrigen Umständen. Über viele Jahrzehnte war diese Kirche sein Zuhause gewesen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er seine sonntäglichen Predigten so lange gehalten, bis Gott ihn von der Kanzel weg zu sich gerufen hätte.
Früher dauerten seine Gottesdienste mindestens zweieinhalb Stunden.
Mittlerweile gingen dem Geistlichen nach einer Stunde die Worte aus, was aber keinen der Kirchgänger störte.
Bei diesem letzten Gottesdienst sahen alle dem Pfarrer an, wie viel Kraft es ihn kostete, von der Kanzel herunter zu der Gemeinde zu sprechen.
Den linken Arm auf das Pult gelegt, stütze er sich ein wenig ab, während der rechte Arm hin und wieder seinen Stock in die Höhe fahren ließ. Nicht mehr so schwungvoll wie all die Jahre zuvor, seine körperlichen Kräfte waren aufgebraucht.
Seit Alois Fischer eine Gehhilfe benötigte, setzte er diese auch in den Predigten ein. So gelang es ihm, seinen Worten die nötige Bedeutung zu verleihen.
Die Haare, die er früher sorgfältig vor jeder Predigt mit Sonnenblumenöl eingerieben hatte, waren ihm ausgegangen. Sein langer Bart, ehemals grau, hatte sich in ein unbeflecktes weiß verwandelt.
Zehn Jahre war es jetzt her, als sein Körper zu schrumpfen begann. So wie sich des Pfarrers Körpergröße jedes Jahr um fünf Zentimeter verkleinerte, so erleichterte sich sein Leib jährlich eines Balastes von zwölf Kilogramm. Aus dem einstigen Kirchenoberhaupt von zwei Metern und reichlich Übergewicht war ein schmales, ein Meter fünfzig Männchen mit weniger als fünfzig Kilogramm geworden. Seine treue Haushälterin, die ihm seit Jahrzehnten diente und auch schon die 80 erreichte, änderte ihm jährlich seine Kleidung.
Viele in Sarata wunderten sich über den Umstand, dass diese Frau mit den Jahren die Masse, die ihr Dienstherr verlor, zunahm. So oft wie sie seine Kleider enger nähte, musste sie sich selbst neue schneidern.
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