„Warum wundert mich das überhaupt nicht, Fritsche?“
„Keine Ahnung, Chef. Aber es müsste doch nach unserer Theorie irgendwo einen Weg in die Senkrechte geben. Ich verstehe es auch nicht.“
„Komm, lass uns in die Trainingshalle gehen und da noch mal den Klimaschacht untersuchen, vielleicht übermannt uns ja da die Erleuchtung!“
Wieder machten die Beiden sich auf den Weg nach den Verschwundenen, die sich doch immer noch irgendwo im Turm aufhalten mussten. Niemand ging freiwillig nach draußen, und selbst wenn er es gewollt hätte, er wäre auch nicht nach draußen gekommen. Die wenigen Zugänge zur Außenwelt waren gut gesichert und wurden außerdem streng bewacht.
In der Trainingshalle angekommen, steuerten sie zielstrebig die Dusche an, öffneten die Abdeckung des Schachts und begaben sich hinein. Ebenso zielstrebig krochen sie bis zur Markierung, an der die Spur von Maibach sich verlor, starteten die Scanner und trennten sich für ihre Suche.
„Fritsche, du nimmst den Gang zum Ventilator und ich die Blindschächte auf der anderen Seite. Ich will verdammt sein, wenn wir nichts finden!“
„Geht klar. Ich gebe mein Bestes!“
„Gib mehr, Fritsche. Unser Bestes scheint in diesem Fall nicht zu reichen.“
Erneut suchten sie Zentimeter für Zentimeter des Schachtes ab, um dem Geheimnis dieses Falles auf die Schliche zu kommen. Auch diesmal schien ihre Suche vergeblich. So penibel sie auch suchten – absolut nichts! Kein einziger Hinweis auf eine Auffälligkeit, der Schacht war genauso, wie ein Klimaschacht sein sollte. Irgendwas war an dieser Geschichte ganz faul, da rackerten sie sich ab wie verrückt und fanden trotzdem nichts. Die Beiden gaben auf und trafen schließlich wieder an der Markierung ein. Frustriert setzte sich Orion und lehnte sich mit dem Rücken an die Schachtwand, Hyroniemus hockte sich deprimiert neben ihn.
„Verdammt, was machen wir falsch?“, Orion sah Fritsche enttäuscht an.
„Ich habe nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung, Chef. Wir haben die Spuren aller vier Verschwunden gefunden, obwohl die so gut verschleiert waren, wie ich es noch nicht erlebt habe. Und wir haben Gemeinsamkeiten des Falles entdeckt, wo es gar keine zu geben schien. Die Idee mit den Scannern war doch genial, das ist doch nicht nach Lehrbuch, oder? Ich verstehe es einfach nicht.“
„Ich auch nicht, Fritsche. Ich auch nicht!“
Schroeder verschränkte seine Hände über dem Kopf und streckte sich, sodass seine Handflächen fast die Decke des Schachtes berührten.
„Wir haben irgendwas vergessen zu untersuchen, Fritsche. Irgendwas Offensichtliches, und ich habe keine Ahnung, was das sein könnte.“
„Klick!“
Mit einem sanften Schmatzen fuhr auf einmal neben Schroeder ein Stück der Wand zur Seite und gab den Blick in einen Tunnel frei.
„Leck mich doch am A …! Fritsche, was war das denn? Wie haben wir das gemacht? Ich fasse es ja nicht, noch ein Gang!“
„Ich glaube, du warst das, Chef! Mit deinen Händen, da ist vielleicht über dir ein Wärmesensor, der angesprochen ist, als du dich eben so gestreckt hast.“
„Das ist ja verdammt clever. Aber wer baut denn geheime Gänge in die Klimaanlage ein und wozu überhaupt?“
„Das ist hier, glaube ich, die große Frage!“
„Komm, hol deinen Scanner raus, wir gehen hier rein und ich fresse einen Besen, wenn wir nicht die verlorene Spur wiederfinden.“
Hochmotiviert machten sie sich erneut auf die Suche nach der DNS-Spur und fanden sie tatsächlich in dem Geheimgang wieder. Weit hinein ging es jedoch nicht, nach ein paar Metern endete der Gang an einem senkrechten Schacht. Sie suchten den Boden um diesen Schacht ab und fanden über und unter dem Einstieg ebenfalls Spuren menschlicher DNS.
„Nach oben oder nach unten, Fritsche?“
„Wir sollten uns den Schacht anschauen, der im Turm an der höchsten Stelle liegt und den an der tiefsten Stelle. Ich denke, dann finden wir die Richtung, in der wir die Vier suchen müssen. Also gehen wir vorher noch mal in die Wäscherei und zur Generatorhalle.“
„Genau, Fritsche, du hast recht. Komm, lass uns los, diesmal kriegen wir sie. Das ist die Fährte, der wir nun folgen werden!“
„Vielleicht sollten wir uns was zum Klettern mitnehmen, Chef? Da sind zwar Sprossen im Schacht, aber wäre es nicht besser, was zum Sichern einzustecken, Geschirr, Haken und so, oder?“
„Jo, dann lass uns mal das Zeug holen und dann geht’s los auf die Jagd.“
Zwischenspiel
Er flog durch ein Universum aus Farben und Formen.
Eine Sonne explodierte neben ihm und überschüttete ihn mit einem Regen von Photonen.
Es tat so gut, wieder zu fliegen. Endlich wieder.
Sie hatten sich neue Spender besorgt.
Die Farben verwoben sich zu abstrakten Mustern.
Natürlich im Geheimen, die Alten durften nichts davon wissen.
Formen flossen ineinander.
Es war verwerflich und falsch, denen zu schaden, die sie beherbergten.
Farben wurden zu Formen.
Die alten Spender waren abgemolken und leer.
Formen wurden zu Farben.
Sie hatten ihre verdorrten Körper heimlich dem Biomasse-Recycling zugeführt.
Goldene Funken regneten auf ihn herab.
Viele von ihnen hielten es hier nicht aus. Die Enge im Schiff und im Habitat.
Blutiges Rot umspülte seine Sinne.
Und dann noch dieser trostlose Planet.
Ein gigantisches, fantastisch anmutendes Geschöpf kam auf ihn zu, nahm ihn in sich auf, verdaute ihn und schied ihn wieder aus – und er ward neu erschaffen.
Grauer Himmel voller Aschewolken, Regen, der die Haut verbrennt, und die Luft zerfrisst einem das Innere des Körpers.
Wärmendes Orange strömte über ihn hinweg und durchdrang ihn bis in die letzte Zelle seines Körpers.
Aber endlich hatten sie wieder Stoff zum Fliegen und konnten überall hin. Der Enge entfliehen, auch wenn es nur für Stunden war.
Ein Rad aus Regenbogenmessern zerschnitt ihn und setzte ihn wieder zusammen.
Alles besser als die Wirklichkeit.
Ein grünes Oktaeder vor ihm faltete sich auf und ward zur Blüte, die ihn mit farbenprächtigen Stempeln lockte. Gern gab er sich der Versuchung hin und sein Geist trank den Nektar.
Der Tunnel eines Kaleidoskops nahm ihn auf in seinen Schoß und er labte sich am Mutterkuchen des Universums.
So gestärkt schwebte er weiter in der Geometrie seines Rausches.
Vorbei an Kugeln, die durchsichtig und voller bunter Flüssigkeit waren.
Vorbei an Quadern, die sich ineinander schoben und zu bunten Funken zerstoben.
Vorbei an Nebeln aus schillerndem Glas, die Planeten gebaren.
Und weiter flog er, immer weiter.
Bis zur Heimat, die er so sehr vermisste.
Orion und Fritsche hatten sich ausgerüstet. Sie trugen Headlights, Bergsteigergeschirr und hatten Seile mit. Es war gar nicht einfach gewesen, sich das ganze Zeug zu besorgen. Im Turm brauchte man so was ja eigentlich nicht. In einem Freizeitcenter mit Kletterwand waren sie endlich fündig geworden.
„Wohin wollen wir zuerst, Fritsche?“, fragte Schroeder.
„Ich würde die Generatorhalle nehmen, Chef. Das ist der höchste Punkt auf unserer Suche und so weit nach oben geht es dann auch nicht mehr. Ich sehe auf dem Bauplan, dass der Turm dann noch zirka 350 Meter weitergeht.“
„Na, dann lass uns mal los!“
Orion und Fritsche machten sich auf den langen Weg in die Generatorhalle und stiegen dort in die Klimaanlage. Wieder krochen sie durch die Gänge, bis sie zur Markierung kamen, die das Ende der Spur von Melany Mandel bezeichnete.
„So, Fritsche. Jetzt wird sich zeigen, ob wir auf der richtigen Spur sind. Hände in die Höhe und die Decke absuchen.“
Sie setzten sich neben die Markierung, streckten ihre Handflächen nach oben und betasteten die Tunneldecke rings herum. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie das Klicken vernahmen. Ein Teil der Wand verschob sich schmatzend und öffnete ein geheimes Stück Tunnel. Schroeder kroch voran, Hyroniemus folgte ihm auf dem Fuße. Nach einigen Metern endete auch dieser Tunnel an einem senkrechten Schacht. Orion setzte seinen Scanner in Gang und suchte die Wände des Kamins ab.
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