»Wie ging es weiter?«, fragte ich dann an Thomas gerichtet, um ihm den Weg leichter zu machen und den Einstieg wieder zu finden.
»Hast du dir schon einmal die Frage gestellt, warum es den Asteroidengürtel gibt?«, fragte er dann.
»Ich denke, dass die Bruchstücke, die da oben rumfliegen, ein verhinderter Planet sind«, erwiderte ich. »Ich glaube, das ist die vorherrschende Theorie.«
Er nickte bejahend. »Ja, aber warum gibt es ihn?«, fragte er nochmals nach.
Ich zuckte ratlos mit den Achseln
Mein Vater strich mir mit seiner Hand über die Stirn. »Du musst aufstehen, Thomas, die Schule ...«, sagte er. Das Licht aus dem Flur fiel auf mein Gesicht. Ich mühte mich aus dem Bett, irgendwie war ich diesen Tag leid geworden.
An die Hausaufgaben dachte ich diesmal nicht, es war mir alles egal. Na ja, nicht wirklich, denn dann wäre ich ja nicht zur Schule gegangen.
Das Angebot meines Vaters, von ihm zur Schule gebracht zu werden, lehnte ich zu Gunsten meines Rades ab. Er nickte nur und machte sich auf den Weg.
Als ich vor die Tür trat, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen, man hatte mir die Räder von meinem Fahrrad abmontiert und gestohlen, zumindest war das mein erster Eindruck. Mein Rad stand da, einsam und verlassen im Fahrradständer, allerdings war es etwas anders gebaut, als ich es in Erinnerung gehabt hatte. Der Lenker war noch so, wie man es von einem Fahrrad erwarten konnte, was sich dann nach unten weiter fortsetzte, konnte man beim besten Willen nicht als Gabel bezeichnen, da gabelte sich nichts. Demzufolge war es auch überhaupt nicht vorgesehen, dass dort ein Rad montiert werden konnte. Vom Lenker aus zog sich ein Rohr nach unten, dann nach hinten und wieder nach oben, wo es in einem Sattel mündete. An zwei Fortsätzen, die an der unteren Stange angebracht waren, fanden sich zwei kleine Plattformen, die unstreitig für die Füße gedacht waren. Das Vehikel schwebte in der Luft und war mittels einer Kette am Fahrradständer festgemacht.
Ich sah verblüfft hin, was war das für ein Ding? Ich besah es mir von allen Seiten, zog den Schlüssel für die Kette hervor und schloss die Verriegelung auf. Der Lenker war neben dem Bremshebel eindeutig das einzige bewegbare Teil an dem ganzen Vehikel, wie fuhr man das Ding? Ich schwang mich auf den Sattel und versuchte es wie bei einem Roller. Das war es! Einmal mit den Beinen abgestoßen, glitt es, ungefähr zehn Zentimeter über dem Boden schwebend, durch die Luft. Den Berg hinunter gewann ich richtig an Fahrt, das Ding machte Spaß.
Ich war entweder zu früh oder zu spät dran oder Lars hatte sich überlegt, dass heute ein anderer Schulweg sinnvoller für ihn wäre, jedenfalls war er auf der Strecke entlang des Friedhofes nicht zu entdecken. Was ich jedoch bemerkte, war, dass sämtliche Fahrzeuge auf der Straße keine Räder hatten, alles, was sich bewegte, glitt in Bodennähe über die Straßen. Ich fühlte mich in einen Science Fiction Film versetzt. Das änderte sich schlagartig, als ich in der Schule ankam, hier gab es keine wesentlichen Änderungen, zumindest was den Ablauf des Tages anging.
Meine Schulkameraden schienen alle nur einen Traum zu haben: Ingenieur werden und bei Astrominc einen Job bekommen. Astrominc, die Asteroid Mining Incorporation, die mit Hilfe großer Raumstationen im Asteroidengürtel Bergbau betrieb und dort die Rohstoffe für die hungrige und ausgebeutete Erde beschaffte. Ich konnte es nicht fassen, hatte es noch eines Beweises bedurft, hier war er: Es musste andere Menschen wie mich geben, die immer wieder versuchten den Ablauf ihres Lebens und damit auch den der Welt um sich herum, zu verändern. Hier war ich Zeuge einer großen Veränderung geworden.
Meine Nachforschungen ergaben, dass vor rund zwanzig Jahren, relativ kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, der Durchbruch in der Gravitationstechnik gelungen war. Hier und jetzt wurde so gut wie alles mittels eines so genannten Gravitationsmotors angetrieben. Die mögliche Aufhebung der Schwerkraft ermöglichte es auch, Raumschiffe ins All zu bringen und sie dort weiter zu beschleunigen. Fast unvorstellbar für mich, ein Traum war wahr geworden.
Die folgenden Jahre bemühte ich mich in der Schule, ich wollte ins All. Das war etwas für mich, was ich in meinen bisherigen Leben noch nicht gekannt hatte, eine Herausforderung, auch wenn das bedeutete, dass ich mich zuallererst einmal mit Hausaufgaben auseinanderzusetzen hatte.
Es funktionierte, das Abitur klappte, ein Ingenieursstudium schloss sich an und schlussendlich fand ich mich auf einem der kleinen Prospektorenschiffe wieder, die von der Station Astrominc 2 aus in den Gürtel starteten um dort nach abbauwürdigen Erzvorkommen zu suchen. Ein langweiliger Knochenjob, wie sich im Nachhinein herausstellte, Buchhaltung konnte spannender sein!
Wir flogen zu zweit, meine Partnerin an Bord war Lisa, ja die Lisa. Wir waren Arbeitskollegen, die zusammen arbeiteten und mehr. Astrominc war es egal wer für sie flog. Gemischtgeschlechtliche Teams waren die Regel, so konnte man die Einsamkeit wenigstens ein wenig verdrängen und sich die Illusion von Familie schaffen. Wir waren pro Trip Nonstop ungefähr sechs Monate da draußen unterwegs, dann kehrten wir zu einem Zwischenstopp zur Station zurück, nur um kurze Zeit später erneut hinauszufliegen.
Wir waren selbständige Prospektoren, das heißt, dass das Schiff uns gehörte, wir auf eigene Rechnung flogen, unsere Ausrüstung zu überteuerten Preisen bei Astrominc erwerben mussten und unsere Funde dort zu garantierten Preisen verkaufen konnten. Es war uns natürlich freigestellt, sie auch anderweitig zu verkaufen oder selber auszubeuten, nur ..., Astrominc war der einzige Abnehmer, es gab keine andere Organisation dort oben im Gürtel und selber ausbeuten? Hast du schon einmal versucht, einen Berg selber mit deinen eigenen Händen abzubauen? – Es lief auf eine faktische Abhängigkeit hinaus. Der Kredit, den wir für den Erwerb des Schiffes aufgenommen hatten, wurde zwar durch die von uns verdienten Honorare nach und nach getilgt, die neuen Kredite, die wir für die Ausrüstung, vor allem für Luft, Wasser und Lebensmittel aufnehmen mussten, waren jedoch höher oder zumindest genauso hoch, wie die Tilgungsraten für den alten Kredit. Es war im Prinzip eine Art moderner Sklaverei.
Wir starteten immer von Astrominc 2, der Raumstation, die in der Nähe von Ceres gebaut worden war. Astrominc 1 befand sich ziemlich genau an der gegenüberliegenden Seite des Gürtels. Nr. 3 befand sich im Bau und Nr. 4 war geplant. So sollte nach und nach der komplette Gürtel erschlossen werden.
Lisa und ich gaben unsere Abschiedsparty im Starlight-Casino. Der Name war Reminiszenz, ansonsten ging es hier jedoch recht schmuddelig zu. Wirklich erfolgreiche Prospektoren feierten mit den Managern von Astrominc mehrere Decks höher, wo auch die Schwerkraft stärker ausgeprägt war. Das Starlight befand sich nur wenige Decks über der Nabe der riesigen Raumstation, die wie ein überdimensioniertes Rad eines Fahrrades aufgebaut war. Durch die permanente Drehung wurde mittels Fliehkraft Schwerkraft simuliert. Je näher man der Nabe kam, desto geringer wurde sie allerdings. An der Nabe selbst herrschte Null g, von hier aus starteten die Raumschiffe zu ihren Erkundungsfahrten. – Wir konnten von Glück sagen, dass unsere Getränke in den Gläsern blieben. Warum hier nicht auch die Gravitationstechnik eingesetzt wurde, leuchtete mir beim besten Willen nicht ein. Mein immer noch vorhandenes Buchhalterherz sagte mir zwar, dass es so wirtschaftlicher sein musste, akzeptieren konnte ich das jedoch nicht.
Die Party war bereits rund zwei Stunden im Gange, als die Kollegen begannen, uns die Schädel zu rasieren. Das war ein altes Ritual hier draußen. Man fuhr mit einem kahlen Kopf hinaus und kam mit ungefähr sechs Zentimeter langen Haaren zurück. Manche Prospektoren übertrieben es dergestalt, dass ihre Haare schulterlang waren. Es wurde sogar eine Liste geführt. Platz eins belegte ein mittlerweile verschollener Kollege, der hatte tatsächlich Haare, die einen Meter und dreizehn Zentimeter lang gewesen waren, als er zurückkehrte, das war notariell verbürgt worden. War man früher wieder da, war man auf einen Asteroiden gestoßen, der einen fürs Leben reich machte. – So weit die Theorie, ich hatte noch keinen Prospektor gesehen, der nicht entweder Glatze, Mecki oder Matte trug. Aber es sollte sie ja geben, das war der Antrieb für uns alle.
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