Die von der Hirnforschung vor Jahren vorgetragene These, Freiheit sei eine Illusion, steht unerledigt im Raum. Die Philosophie, die sich dazu berufen sah, Freiheit und Geist zu verteidigen, hat darauf nur schwach und mit Rückzugsgefechten reagiert. Die hier erzählte „kleine Naturgeschichte der Freiheit“ sucht eine alternative Herangehensweise an dieses Problem. Die These lautet: Handlungsfreiheit (die Freiheit zu tun, was man will) kann aus Grundbestimmungen des Lebendigen, wie sie von dem Biologen Humberto Maturana entwickelt wurden, abgeleitet werden. Und Willensfreiheit (die Freiheit zu wollen, was man will) stellt eine besondere Fähigkeit jenes Lebendigen dar, das über Sprache verfügt: die Fähigkeit, anstelle von Dingen auch Wörter und Sätze mit Wünschen zu belegen – insbesondere Sätze darüber, wie man selber sein will.
Axel Hecker, geboren 1952, ist Literaturwissenschaftler und Philosoph. Er arbeitet in der IT-Industrie und ist seit über 20 Jahren Geschäftsführer einer Softwarefirma.
Axel Hecker
Eine kleine Naturgeschichte der Freiheit
Deutsche Erstausgabe
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ISBN 978-3-7092-0416-0
eISBN 978-3-7092-5042-6
© 2020 by Passagen Verlag Ges. m. b. H., Wien
Grafisches Konzept: Ecke Bonk
Satz: Passagen Verlag Ges. m. b. H., Wien
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Einleitung
Philosophie der Freiheit: Kompatibilismus
Der Humesche Ansatz und der neuronale Determinismus
Neurologische Reprise des Humeschen Grundgedankens (M. Pauen, G. Roth)
Epiphänomenalismus
Handlungsfreiheit vs. Willensfreiheit
Freiheit hart an der Grenze zum Inkompatibilismus (Ernst Tugendhat)
Gründe als Ursachen
Jede Handlungserklärung impliziert Kausalität (Donald Davidson)
Handlungen sind durch mentale Ereignisse verursacht Anomaler Monismus
Biologie der Freiheit: Eine andere Form von Kompatibilismus
Die Erfindung der Willkür (Handlungsfreiheit)
Ein Minimalmodell des tierischen Lebendigen (Konrad Lorenz)
Vom Minimalmodell zum Menschen
Autopoiesis (Humberto Maturana)
Handlungsfreiheit – vom Kopf auf die Füße gestellt
Handlungsfreiheit im Verbund von „Erleben“ und „Willkürmotorik“
Grenzen der Idee des Automaten
Die Erfindung des Sprechens (Willensfreiheit)
Welt als soziale Imagination
Willensfreiheit
Schluss
Lösung des Freiheitsproblems?
Ich?
Anmerkungen
Literatur
Aber mehr noch als jeder andere soll der Philosoph aus jener Urquelle, der anschauenden Erkenntnis, schöpfen und daher stets die Dinge selbst, die Natur, die Welt, das Leben ins Auge fassen, sie und nicht die Bücher zum Texte seiner Gedanken machen, auch stets an ihnen alle fertig überkommenen Begriffe prüfen und kontrollieren, die Bücher also nicht als Quellen der Erkenntnis, sondern nur als Beihülfe benutzen. Denn was sie geben, empfängt er ja nur aus zweiter Hand, auch meistens schon etwas verfälscht: es ist ja nur ein Widerschein, ein Konterfei des Originals, nämlich der Welt, und selten war der Spiegel vollkommen rein.
Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena II , 61.
„Eine kleine Naturgeschichte der Freiheit“, das soll heißen: Es geht um das Freiheitsproblem , so wie es maßgeblich in der Philosophie behandelt wird, und zwar, nach Schopenhauers klassischem Dictum, unterschieden in Handlungsfreiheit („tun können, was man will“) und Willensfreiheit („wollen können, was man will“).
Weiterhin: Es wird eine Naturgeschichte der Freiheit erzählt, das heißt es wird nahegelegt, dass man, um das bei diesem Thema schwierige Verhältnis zu den Naturwissenschaften (Physik, Hirnforschung et cetera ) in den Griff zu bekommen, es dezidiert naturalistisch angehen muss.
Und schließlich: Es wird eine kleine Naturgeschichte der Freiheit erzählt, das heißt es wird, so unübersehbar die philosophischen Ausführungen zum Freiheitsthema sind (und gerade weil das so ist), eine dezidiert knappe Behandlung dieses Themas vorgeschlagen. Philosophie hat eine Tendenz zu begrifflicher Kompliziertheit, die in gewissem Maße unvermeidlich ist, da ihre Themen jenseits praktischer Alltagsfragen auftauchen – sie liegen nicht auf der Straße. Aber die Gefahr, dabei über beinahe nichts zu reden (Wittgenstein), ist jederzeit im Auge zu behalten. Es wird für eine Philosophie plädiert, die es gelegentlich riskiert, sich kurz zu fassen und leerlaufende Kompliziertheiten abzuschneiden.
Das Freiheitsproblem ist eines der klassischen Themen von Philosophie und Theologie. 1 Es hat immer noch das Potenzial, die Gemüter nicht nur von Fachphilosophen, sondern einer allgemeinen gebildeten Öffentlichkeit zu bewegen, wie die vor einigen Jahren in den Feuilletons namhafter deutscher Zeitungen ausgetragene sogenannte „Hirnforschungsdebatte“ demonstrierte. 2Diese Debatte hat gezeigt, dass die Fronten zwischen „Philosophie“ (als Name für diejenige Partei, die sich für den „Geist“ starkmacht) und „Naturwissenschaft“ (als Name für die das Materielle betonende Gegenpartei) im Grunde dieselben geblieben sind wie die, die sich schon im 19. Jahrhundert bei ähnlichen Debatten abgezeichnet hatten: 3Das Problem bewegt die Gemüter, da unverkennbar essenzielle Intuitionen des „Menschseins“ betroffen und in Frage gestellt sind, wenn jene Gegenpartei mit der sei es berechtigten, sei es angemaßten Autorität einer objektiven Naturwissenschaft Freiheit zur bloßen Illusion erklärt. Mit anderen Worten, der Ertrag jener Debatte war im Grunde nur die ein weiteres Mal deutlich gewordene Einsicht, dass hier gar nichts wirklich gelöst ist und dass ein provokanter Anstoß, wie er in diesem Fall von der Hirnforschung ausging, genügt, um die Menschen daran zu erinnern, dass jenes Problem ein Gepäck darstellt, das man unerledigt mit sich herumträgt. 4
Nun gibt es zwei einfache Ausstiege aus dieser Situation. Der eine besteht darin zu erklären, dass es sich um ein Scheinproblem handele, dass also das Bemühen, dabei einen epistemischen Konflikt lösen zu wollen, von falschen Voraussetzungen ausgehe; sobald man dies richtigstellt, verschwinde das Problem. Viele Philosophen und Naturwissenschaftler sind dieser Meinung, auch wenn ihre Ansichten darüber, wie solches Verschwinden bewerkstelligt werden kann, auseinandergehen. 5Der andere einfache Ausstieg besteht darin, das Problem für prinzipiell unlösbar zu erklären, da der „Geist“ einerseits (mit allem, was dazugehört, also insbesondere der unbezweifelbaren Fähigkeit, in einer voraussetzungslosen und also „freien“ Weise dem, was sich zeigt, gegenüberzutreten und diesbezüglich denkend und handelnd tätig zu werden 6) und die „Materie“ andererseits schlechterdings inkompatibel seien. Der in dieser Konstellation offenbarwerdende Dualismus sei so essenziell, dass es gar keinen Sinn mache, über die Vereinbarkeit von „Geist“ und „Materie“ auch nur nachzudenken. 7
Wenn man einen dieser beiden einfachen Ausstiege für richtig hält, entfällt naturgemäß das Motiv, sich mit der genannten Frage auch nur zu befassen. Ich glaube jedoch, dass das Freiheitsproblem (und vieles, was damit zusammenhängt) im Wesentlichen unerledigt ist und dass deshalb Bemühungen, die (wie die erwähnte Hirnforschungsdebatte zeigte) immer noch spürbare Virulenz des Problems nicht beiseite zu schieben, sondern ernst zu nehmen und womöglich auf riskante Weise neu zu denken, mehr Interesse verdienen als Pauschalerklärungen, mit denen man sich der Sache nach dem Modell eines jener beiden einfachen Ausstiege entledigen kann.
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