Der Samurai begegnet uns häufiger als ein zutiefst empfindsamer Mensch denn als unüberwindlicher Held. Aber das trug um so mehr dazu bei, daß er nicht vergessen wurde. Im Gegensatz zur westlichen Welt, wo man sich am liebsten der siegreichen Helden erinnert, liebt man in Japan vor allem die unglücklichen Helden. Sie sind die schillernden Figuren der kabuki- und nô-Theaterstücke, der Balladen, Erzählungen und Filme. Der Bericht von ihrem Lebensweg, so nüchtern er auch sein mag, wirft auch nach Jahrhunderten stets die gleichen Fragen auf: Bedeutet ihr Tod Sieg oder Niederlage? Ist der Sieger wirklich immer derjenige, der überlebt? Welchen Sinn haben Opfertaten? Warum triumphiert so oft das Böse oder das Mittelmaß?
Die tapferen Krieger, über die hier berichtet wird, verkörpern die Tugenden eines verflossenen Zeitalters. Ihre Geschichten erinnern uns daran, daß der Mensch selbst in den schwersten und unruhigsten Zeiten die Fähigkeit bewahren kann, Werte aufrechtzuerhalten, nach denen wir auch heute noch streben, um in der modernen Gesellschaft Halt zu finden. Ich glaube, daß sie es verdienen, immer wieder erzählt zu werden, weil sie beispielhaft sind und weil sie Hoffnung geben.
Alle Geschichten in diesem Buch sind wahr. Alle Persönlichkeiten, von denen berichtet wird, haben existiert, und ihre Rolle in der japanischen Geschichte wird auf authentische Weise wiedergegeben. Auch die Daten sind streng historisch. Man muß hierbei aber berücksichtigen, daß nach japanischem Brauch ein Kind, das zur Welt kommt, bereits ein Jahr alt ist. Dies erklärt, warum in den Quellentexten, je nachdem, ob es sich um japanische oder nichtjapanische handelt, manche Daten oder Altersangaben zu den Protagonisten dieser epischen Abenteuer unterschiedlich sein können.
Es war meine Absicht, mit meinen Worten die großen Krieger des alten Japan wieder zum Leben zu erwecken. Ihre Zeitgenossen glaubten, daß sich diese Helden in einer Hinsicht von den gewöhnlichen Menschen unterschieden: Für einen Augenblick, der wie ein kräftiger Windstoß war, besaßen sie eine Ausstrahlung, die jenem einzigartigen Schimmer glich, welcher der Kirschblüte (sakura) zu eigen ist, kurz bevor sie zu welken beginnt.
Fragt dich jemand
nach dem Geiste Japans:
Es ist eine Kirschblüte,
die ihren Duft in der aufgehenden Sonne verströmt.
Motoori Norinaga (1730-1801)
Samurai unter blühendem Kirschbaum. Japanischer Holzschnitt (Detail).
»Der Weg des Samurai liegt im Tod.«
Aus dem Hagakure1
Samurai – eine Kunst zu leben und zu sterben
Der Samurai gilt in der Kriegertradition Japans als Urbild des tapferen, einzelgängerischen und romantischen Menschen, der treu ist bis zu seinem Tode. Für unzählige Generationen von Japanern war dieser Kriegertypus, der sich zugleich durch Stolz und Bescheidenheit, durch Kraft und Empfindsamkeit auszeichnete, ein Muster der Tugendhaftigkeit. Während 700 Jahren spielten die Samurai eine entscheidende Rolle in der bewegten Geschichte ihres Landes. Sie brachten Fürstenfamilien an die Macht und stürzten sie. Sie schlugen sich im Dienste rivalisierender Parteien, sie trotzten auf allen Schlachtfeldern dem Tode und lebten nach ihren eigenen Regeln.
Das Wort Samurai entwickelte sich phonetisch aus »saburai«, das wiederum abgeleitet ist von »sabura«, »zur Seite stehen, bewachen, dienen«. Der Begriff kam zwischen dem 9. und dem 11. Jahrhundert auf. Als Samurai wurde zunächst eine Elite bezeichnet, die aus den Familien der großen Lehnsherren des Landes stammte, und aus der jene ihre Vasallen auswählten. Die ersten Samurai waren demzufolge von geringer Zahl, und jeder von ihnen verfügte über eigene Truppen. Sie waren damit den Grafen des europäischen Mittelalters vergleichbar. Diese Vertreter des Kriegeradels (buke) standen anfangs im Schatten der kaiserlichen Macht. Im 12. Jahrhundert änderten sich jedoch die Machtverhältnisse. Im Ergebnis verheerender Bürgerkriege wurde einer der ihren zum Shôgun2 und damit zum tatsächlichen Machthaber im Lande. Nachdem der Klan der Minamoto (auch Genji3 genannt) den mächtigen Taira-Klan (auch als Heike-Klan4 bezeichnet) vernichtend geschlagen hatte, wurde im Jahre 1192 das Oberhaupt des Siegerklans, Minamoto-no-Yoritomo, zum Seii Taishôgun ernannt, d. h., zum »Oberbefehlshaber mit dem Auftrag, die Barbaren zu unterwerfen«. Damit hatte das »Zeitalter der Krieger« (buke jidai) begonnen, das erst 1868 zu Ende ging. Dieses Zeitalter läßt sich in zwei Epochen unterteilen: Die ersten vier Jahrhunderte (1192-1603), die Ären Kamakura, Muromachi und Azuchi-Momoyama, waren geprägt durch zahlreiche Bürgerkriege, in denen die Kriegerklane miteinander um die Macht stritten. Das ganze Land wurde durch Feuer und Schwert verwüstet. Mit Anbruch der Tokugawa-Ära, die von 1603 bis 1868 andauern sollte und die durch Tokugawa Ieyasu gegründet wurde, stabilisierten sich die Machtverhältnisse, und die Kaste der Samurai wurde gezwungen, sich zu disziplinieren. Dieses Zeitalter fand 1868 mit der »Meiji-Revolution« ein Ende. Unter Führung des jungen Kaisers Mutsuhito begann eine grundlegende Modernisierung des Landes. Die Samurai wurden hierfür nicht mehr benötigt, und somit endete unwiderruflich ihre Zeit.
Es waren vor allem die Samurai der Tokugawa-Ära, die als Typus ihrer Gattung in das Bewußtsein des Volkes eingingen. Diese Zeit wurde durch starke Zentralisierung der Regierungsgewalt geprägt. Während die Kaiser in Kyôto residierten, regierten die Shôgune das Land von der Stadt Edo aus, dem heutigen Tokio. Den Tokugawa gelang es, im ganzen Land den Frieden durchzusetzen. Dieser »Pax Tokugawa«, der vom Shôgun auferlegt wurde, stützte sich vor allem auf die unter seiner Kontrolle stehenden lokalen Herrscher, die in Burgen lebenden Daimyô5. Den Samurai wurde somit mehr und mehr die Grundlage ihrer Existenz genommen, denn sie lebten für den Kampf.
Die Zeiten waren günstig für den Stand der Kaufleute, die immer reicher wurden, während die Krieger mehr und mehr ohne Beschäftigung waren und in Vergessenheit, schließlich gar ins Elend gerieten. Erstaunlicherweise entstand gerade in jener Epoche das romantische Bild des Samurai als Heldentypus, und das bushidô6, das seine Lebensregel, seinen Ehrenkodex darstellte, wurde populär. Daß solch eine verklärte Darstellung der Vergangenheit, die half, die Gegenwart zu ertragen, sich verbreitete, lag nicht zuletzt darin begründet, daß sie sehr gut ins Konzept der Machthaber paßte. Die Tokugawa-Shôgune waren zu allen Zeiten darauf angewiesen, daß die Samurai ihnen auch unter den widrigsten Bedingungen treu und ergeben blieben. Sie waren der beste Garant dafür, daß ihre Herrschaft im Lande bestehen blieb. Nachdem nun die Zeit der unaufhörlichen Kriege zwischen den rivalisierenden Klanen vorüber war, mußten andere Möglichkeiten gefunden werden, den Samurai einen Daseinszweck zu vermitteln. Ihre gewaltige Energie mußte so gelenkt werden, daß sie den Herrschenden nicht gefährlich würde. Zum einen wurde daher der Umgang mit den Waffen auf die Art kodifiziert, wie sie oft auch heute noch in den japanischen Kampfkünsten besteht. Auf diese Weise entwickelten sich zunächst das bugei7 und daraus das bujutsu8, die Techniken des Kriegers, und schließlich bildete sich das budô9 heraus, der Weg des Kriegers. Zum anderen förderte das Shôgunat die höhere Bildung der Samurai, mit dem Ergebnis, daß aus ihren Reihen viele Dichter hervorgingen. Auf diese Weise wurde der Samurai des klassischen Zeitalters geboren. In den Zeiten der Bürgerkriege hatte er die Überlebensregeln gelernt, die ihn noch immer zu einem furchteinflößenden Wesen machten. Aber zu seinem unerschütterlichen Siegeswillen war Eleganz hinzugetreten, seine Gewalttätigkeit war gezähmt worden – er wurde ein zivilisierter Mensch.
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