Darauf haben sie sich schon lange gefreut. Diese Freude lassen sie sich auch durch das mühsame Kofferpacken nicht vermiesen. Im Gegenteil, diese Vorferienmühe steigert noch die Vorfreude auf die Ferien. So eine Art Appetizer. Ferien ohne diese mühsame Prozedur wären nicht komplett, es würde was fehlen, der Übergang zur Freizeit würde viel zu rasch erfolgen. Das wäre ja so, als käme beim 5-Gänge-Menü direkt der Hauptgang.
Sie, das sind unser Kommissar Jelato, der Secondo mit schweizer Pass, also ausweismässig Stufe CH, aber deutscher Doppelbürger, und seine Frau. Beide nicht weiter verhaltensauffällig, günstige Sozialprognose, gesichertes Einkommen. Sie stammen nicht aus bildungsfernen Schichten und sind einigermassen integriert. Sie produzieren auch nicht zuviel CO2. Der Sauerstoffverbrauch ist im tolerierbaren Rahmen, sie sind also keine Luftwegschnapper, und ihren Alkoholkonsum kann man als gerade noch sozialverträglich bezeichnen. Ausserdem sortieren sie fleissig ihren Müll und entsorgen so korrekt wie möglich. Ganz wichtig: sie zahlen pünktlich ihre Steuern. In der Schweiz muss man die tatsächlich selber bezahlen. Die werden nicht automatisch vom Lohn einbehalten. Das heisst aber auch, dass man das Geld real in der Hand hat und dann wieder hergeben muss – das tut natürlich richtig weh.
Sie sind beide Nichtraucher und Freunde des Grillens im Freien. Wenn man sie nicht reden hört, könnte man meinen, es wären ‘native’ Schweizer. Ach so, der Rasen wird auch oft genug gemäht, das hätte ich beinahe vergessen. Würde er jetzt noch im Turnverein mitmachen und bei den Feldschützen und im Kirchenchor mitsingen, dann könnte man es perfekt nennen. Daran muss er noch arbeiten.
Urlaub gehört auch zu den weit verbreiteten Verhaltensweisen dieser Spezies und der kleine Deutsche in ihnen ist natürlich nicht tot, sondern für Urlaub mit dem Auto, wir wollen kein Klischee auslassen. Der Deutsche fährt Auto. Punkt. Und zwar gerne. Und zwar gerne schnell. Heiligs Blechle. Das ist einfach so.
Damit keine Mahnung ins Haus flattert, werden vor dem Urlaub noch ganz ordentlich alle Rechnungen bezahlt, die Steuern hätten aber noch Zeit bis September – soweit alles ganz normal, auch das ritualhafte Blumengiessen vor der Abfahrt – „die Yuccas brauchen noch was” – und natürlich das Wasser an der Waschmaschine abdrehen.
Vorfreude pur. Strassenkarten studieren. Den Weg auf Einstellung Maps nochmal googeln. Koffer packen. Eben, da war doch was: Koffer packen.
„Frau, hast du ein Problem?”
„Ja. Ich weiss nicht, was ich alles mitnehmen soll. Man müsste wissen, wie das Wetter wird.”
„Pack doch einfach ganz normal – und dann nimmst du die Hälfte wieder raus.”
„Witzig. Das hilft mir jetzt auch nicht weiter!”
„Dann weiss ich nur noch einen Rat. Wir machen in Zukunft nur noch Ferien am Polarkreis. Da ist ganz klar, was du einpacken musst, nämlich nur warme Sachen. Das ist dann viel einfacher.”
„Lass mich doch. Wir fahren doch mit dem Auto und müssen es nicht tragen. Da nehm ich gerne etwas zuviel mit. Nachher ärgere ich mich nur, dass ich was zuhause gelassen habe, was ich dort gut gebrauchen könnte.”
„Schon recht. Aber ein Tipp: nimm nichts mit, was gelb ist. Da kommen nur wieder haufenweise diese kleinen schwarzen Fliegen oder Käferchen.”
„Habe ich schon berücksichtigt.”
Das Auto beladen.
Euronen in die Geldbörse, Franken raus.
Grenzübertrittsdokumente parat legen. Die heissen so, obwohl man die Grenze heutzutage kaum noch übertritt, sondern viel öfter überfährt. Da wäre mal eine Anpassung der Regeln und Schilder fällig.
Schlussendlich gehen sie nochmals die Checkliste für ihr organisatorisches Kleinprojekt durch:
„Visum, Einreise- und Aufenthaltsbewilligungen?”
„Brauchen wir nicht. Schengen sei Dank. Vielleicht in ein paar Jahren wieder. Man weiss ja nie, was noch für Abstimmungen kommen.”
„Identitätskarte noch gültig?”
„Ohje, jetzt wird es spannend!”
„Nee, hab ich vor 2 Monaten schon gecheckt. Jetzt wäre es sowieso zu spät.”
„So ein Glück.”
Es folgen der Reihe nach alle möglichen und unmöglichen Sachen, alles wird der Reihe nach abgehakt. Es geht zu wie im Cockpit einer grossen Maschine: der pnf - pilot not flying- liest vor, der pf - pilot flying- arbeitet ab:
„Auslandskrankenversicherung” – „Okay”
„Zeitung” – „Abbestellt”
„Post” – „Umgeleitet”
„Steckdosenadapter” – „Erledigt”
„Stopp! Hast du wirklich den Steckdosenadapter eingepackt?”
„Nein. Aber absichtlich nicht. Die Elektrogeräte, die wir mitnehmen, sind alle zweipolig und passen auf deutsche Steckdosen. Ladegeräte für Handy und Fotoapparat, Rasierapparat und Wecker, alles zweipolig. Weisst du, Frau, deswegen heissen die Eurostecker.”
„Stimmt, ich habe auch nichts anderes dabei. Also weiter.”
„Bügeleisen” – „Aus”
„Wirklich aus?” – „Ja, definitiv aus.”
„Backofen” – „Aus”
„Wasser” – „Abgestellt”
„Also weiter …”
„Nerv jetzt nicht länger, sag lieber, ob du die Haustür abgeschlossen hast.”
„Ja, die ist zu.”
„Soll ich nochmal schauen?”
„Nein, wir fahren jetzt.” „Gut.”
„Wer kümmert sich um die Katze?”
„Wir haben doch gar keine!”
„Spässle macht, Frau, Spässle macht.”
„Gelacht, Mann, gelacht!”
„Alle Ladegeräte dabei, die ganze Wahnsinns-Sammlung?”
„Ja, verflucht. Das müsste auch mal vernünftiger werden. Ladegeräte für Handy, Fotoaparat, Rasieraparat – alle dabei. Da wäre mal eine Normierung gut, dass man endlich nur noch ein einziges braucht.”
„Tanken muss ich noch.”
„Insektenstift und Sonnencreme haben wir vergessen!”
„Kaufen wir dort.”
„Ready for take off.”
„Das heisst: meine Herren, starten sie ihre Motoren!”
„Du machst jetzt aber keinen Blödsinn und spielst Indianapolis auf der deutschen Autobahn?”
„Nee, wir cruisen gemütlich mit lockeren 240, was, Mutter? Das wird cool, haha.”
„Bin ich froh, dass unsere Kiste uns zur gemütlichen Fahrt zwingt. Diese Raserei wäre mir zu blöd. Kann unser Auto eigentlich 150 fahren?”
„Nur bergrunter und mit Rückenwind. Ab 140 wird die Karre aber zu laut und schluckt wie blöd. Da muss ich dann alle halbe Stunde an die Box.”
Ein Blick zurück, verbunden mit der Hoffnung, alles bei der Rückkehr so wieder vorzufinden, und los gehts.
Der Fahrt in den Norden stand nun prinzipiell wirklich nichts mehr im Wege, ausser dem deutschen Zoll, aber der machte gerade Frühstückspause. Z’nüni sagt man hier dazu. Na dann Mahlzeit oder wie man hier sagt „en guete”.
Endlich Urlaub!
Und jetzt waren sie tatsächlich mit dem Auto unterwegs. Endlich auch mal mehr als 120 km/h fahren oder wie die Schweizer sagen, mal den Auspuff durchpusten, der muss ja auch mal sauber werden. Die Schweizer müssen dazu ins Deutsche. In der Schweiz geht es Rasern ganz schnell an den Kragen, denn die Schweiz ist das Land der organisierten Langsamkeit, dafür opfern sie auch weniger Menschen dem Tempowahn. Via sicura.
Gut gemeint, aber trotzdem haarscharf an den wirklich wichtigen Themen vorbei.
Besser wäre wohl ein Projekt namens vita sicura, denn hierzulande hat es dreimal mehr Tote durch Suizid als durch den Strassenverkehr. Ausserdem führen Ansteckungen in den Spitälern der Schweiz jedes Jahr schätzungsweise zu 2000 Todesfällen. Es sterben also jeden Tag 6 Personen durch Spitalkeime. So steht es jedenfalls im Abstimmungsbüchlein zum Epidemiengesetz. Doch die Strasse gilt als gefährlicher, wieso eigentlich? Man ist dort sicherer als im Krankenhaus. Aber lassen wir das jetzt, wir fahren schliesslich und da muss man sich auf den Verkehr konzentrieren.
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