Innerhalb einer Gemeinschaft von Suchenden, in einer Gemeinde von Gläubigen wirft das die Frage nach dem ‘richtigen’ Glauben für jeden einzelnen und für die Gemeinschaft auf. In Mystizismus kaschierte Gotteslästerung, die Ausblendung ihrer Wahrnehmung zwingt zur Definition des rechten Glaubens, zu Minimierung und Relativierung angemaßter Grenzverletzung. Jeder Gläubige wähnt sich rechtgläubig, beansprucht Besitz des rechten, des richtigen Glaubens, die Gemeinschaft auch. Jeder wähnt den anderen im Irrglauben, der so auch dessen jeweilige Gemeinde trifft. Was bleibt, ist die Gewißheit, keiner hat den richtigen, niemand hat den rechten Glauben. GOTT bleibt die Krise des Menschen.
Überhöhung erfährt die Krise in Institutionalisierung des Glaubens und der Forderung nach seinem Bekenntnis einschließlich des Bekenntnisses zur Institution und in seiner militanten Missionsabsicht. In Aufhebung des freien Willens verlangt Glaubensinstitut mit dem Anspruch unbedingten Gehorsams unbedingte Anerkenntnis der Unsterblichkeit der Seele, Dasein/Existenz Gottes und weiterer Dogmata. Mit dem Anerkenntniszwang und daran gebundener Bekenntnisverpflichtung verliert Wille Freiheit, wird Religion Kernelement antinomer Unfreiheit, verlangt Gehorsam, Unterwerfung, verleugnet Vernunft.
Ungeachtet solch kritischer Konstellation führt der nicht endende Versuch der Annäherung an GOTT zu einer Endlosschleife ritualisierter Kommunikationsversuche, für die sich durch Überlieferung und Fortschreibung liturgische Abfolgen einstellen, welche in einer institutionalisierten Kirche aufgehen, innerhalb derselben weiterentwickelt und bis in Feiertagskalender, Liturgie, Anbetungs- und Gebetsrituale verwaltet werden. Kirche erfährt daraus das Bewußtsein, sie sei erster, einziger und unabdingbarer Verwalter des Zugangs zu GOTT, begreift die Erkenntnisse der Gemeinde als Auftrag, solche Erkenntnis zu verbreiten, zu verkünden, ignoriert das nach Glaubensauffassung von Gott geschaffene Wesen, verneint damit die Glaubensgrundlage. Katholische Kirche zieht aus solchem Vorgang die irrige Schlußfolgerung, sie sei einzig zulässiger Weg zum Christengott, verkennt, sie ist hervorgegangen aus der freiwilligen Verbindung einzelner, gleichgesinnter Individuen untereinander. Kirche ist Folge, nicht Ursache, nicht Urheber des Glaubens. Kirche ist verwaltende Institution. Kirche ist Glaubensstillstand.
Im günstigsten Fall flüchtet sich der Gottessucher aus der Krise in den von Dritten angebotenen Glauben, will diesen als Kontaktanzeige, als Angebot an Gott verstanden wissen: Schau her, hier ist ein Mensch, der DICH sucht, der mit DIR in Verbindung treten möchte. Kirche wird hier zum Medium, zum Organ, in welchem die Kontaktanzeige öffentlich wird. Der Inserent bedient sich der Verwaltungsfunktion, nutzt das Medium Kirche als Mittler zur scheinbaren Herstellung des Kontaktes, eines direkten oder initiierten Kontaktes zu GOTT. Den kann das Medium weder herstellen, noch ersetzen, nicht den Kontakt, erst recht nicht GOTT. Kirche kann nicht einmal die Kommunikation zwischen Mensch und GOTT ersetzen, überführt die Vielzahl der Kontaktanfragen in gemeinsam vorgetragene Formulierung, läßt Individuum in liturgischer Ritualität münden, dekretiert Form, bis Form Inhalt ersetzt, zu Formalismus erstarrt. Allenfalls könnte Kirche über reine Administration hinaus für das Gespräch vermittelnd helfen, Aufgehobenheit in der Gemeinde, der Gemeinde Raum, Tempel, Kirchengebäude, Gebetshaus zur Anrufung Gottes anbieten; auch hier nicht aus sich heraus, sondern kraft der von der Gemeinde erbrachten materiellen Leistungen und des von ihr verliehenen Amtes. Der Versammlungsraum der Gläubigen, versehen mit der Bezeichnung Gotteshaus, erhält diese Bezeichnung durch Versehen der Gläubigen. In Erwartung, ein Gasthaus nach dem ‘Geschmack’ Gottes errichtet zu haben, wollen Gläubige annehmen, Gott sei der Wirt, lassen sich vom Kellner, vom sogenannten Priester abspeisen, zahlen Kirchenbesucher die Zeche und bekommen den Wirt nicht zu Gesicht, außer im Spiegel, in welchen gläubige Gäste gelegentlich und keineswegs uneitel blicken, darin nur Physis, das Menschliche gespiegelt finden, Gott im Gotteshaus nur des Menschen Gusto findet. Streift nicht der Herbergsvater, einem guten Gastwirt gleich, durch den Speisesaal, sich seinen Gästen zu zeigen, sie zu begrüßen, sich ihrer Zufriedenheit und ihres Wohlwollens zu versichern? Das Personal legt Beschwerdebücher für die Gäste aus, und nicht einmal die Kirchenangestellten nehmen sich unmittelbar der verzeichneten Beschwerden an. Gleich einem von Legislative verhängten Kontaktsperregebot wacht Kirche eifernd darüber, jeden persönlichen Kontakt zur höchsten Instanz zu verhindern, gestaltet verwalteten Instanzenweg. Ehe ein Kontakt zwischen Suchendem und GOTT nicht hergestellt ist, bleibt Gott die Krise des Menschen, damit der Kirche sowieso, verfügt diese doch ausschließlich über Verbindungen abwärts in die Gemeinde, nicht über solche aufwärts zu Gott.
GOTT bleibt Krise auch der Kirche, weil sie einerseits nur aus der Gemeinschaft der Glaubenden hervorgegangene Institution, andererseits nicht selbst Suchender und letztlich nicht Sachwalter Gottes ist, sondern ausdrücklich und ausschließlich Interessen des Menschen formuliert und wahrnimmt, Gemeinschaft der Gläubigen darstellt. Wie könnte Kirche wohl die Interessen GOTTES wahrnehmen? Weder Liturgie, noch Exegese, weder Regularien noch Katechese bringen das Institut Kirche näher oder nur auf den Weg zu GOTT. Christliche Kirche zieht zudem aus der hierarchischen scheinbaren Ordnung des dienstverpflichteten Zwölfergremiums der Apostel selbst noch nach 2000 Jahren konstituierten Beherrschungsanspruch gegenüber der Gemeinde, obwohl mit dem für kurzfristig angenommenen Weltende und Jüngsten Gericht die Institution nicht für ein Überdauern über die Apostelgeneration hinaus konstituiert ist. Nicht aber Herrschaft war und ist ihr Auftrag, sondern Dienst und Verkündung. Nicht Einsetzung als Oberhäupter und Kontrollorgan über die Gemeinschaft der Gläubigen ist Wesen des apostolischen Auftrages, so er angenommen werden darf, sondern Mitteilung der Botschaft. Boten sind Diener, Knechte ihres Herrn, nicht Herrscher über sein Volk. In Inquisition und Ohrenbeichte unter Vorgabe eines ubiquitären, allwissenden Gottes raubt Kirche Privatsphäre, verliert der Glaubende durch Kirche das Recht auf Unverletzlichkeit der Persönlichkeit, setzt Kirch gegen die angeblich frohe Botschaft Angstpotentiale, gleicht darin vollständig dem Faschismus.
Khalil Gibran, Dichter und Literat, Libanese arabischer Herkunft, kosmopolitischer Pendler zwischen westlicher Wertegesellschaft europäisch-angloamerikanischen Anspruchs und arabischer Gesellschaft, zugleich gläubiger Christ, glaubt zu wissen und schreibt: Und Gott ist das Gewissen der vernünftigen Welt. Eine gewaltige, eine gewagte These angesichts einer vergleichsweise gewissenlosen, von vorgeblichen Glaubenswissern dominierten Welt gewissenloser Gesellschaften im besinnungslosen Strudel der Unvernunft.
Wo Sprachphilosophie à la Bertrand Russel/Ludwig Wittgenstein das Buchstäbliche des Wortes über den Inhalt, Sinn über Wahrheit stellt, sich von Philosophie und ihrem Wesen abwendet, bedeutet Hinwendung zu Glaubensinhalten weder Freundschaft zum Wissen, noch Liebe zur Wahrheit, schon gar nicht Wahrheitsliebe.
Sprache als Ausdrucksmittel auch des Denkens beschreibt im Idiom des Deutschen gegenüber der zu Unrecht gelobten angelsächsischen Sprachkargheit bis in die Herkunft der Wörter hinein eine logisch nachvollziehbare Gedankenkette in knapper Reflektion. Entsprechend umfaßt das Wort Gewissen den Gedanken, etwas vor dem Tun ge-wußt zu haben und zu wissen . Sprachgebrauch hat diesem Begriff eine Wertigkeit dahingehend beigegeben, daß Handlungen im Einklang mit dem Gewußten, also wissenskonformes Handeln Regelmaß sind, ein Maß, welches bei Beachtung der Regel nicht erwähnenswert scheint, immer dann aber Bedeutung erlangt, handelt ein vernunftbegabtes Wesen wissentlich, ‘bewußt’ gegen sein Wissen und/oder dessen Maß, gegen Gewußtes.
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