6. Þorsteins saga Víkingssonar, Kap. 21
Wie bei der Egils saga einhenda handelt es sich auch bei der Þorsteins saga Víkingssonar um eine junge Fornaldarsaga aus dem Spätmittelalter. 50
Es war berichtet worden, wie Þorstein seinen Gegner Beli überwunden hatte, dem auf dem Boden Liegenden das Leben geschenkt und mit ihm fóstbrœðralag geschlossen hatte. Im weiteren Verlauf des Erzählgeschehens macht Þorstein den Vorschlag, daß Beli und Angantyr ebenfalls fóstbrœðr werden sollen:
Nú vil ek bjóða Þér Þann kost, ęf Þú gefr Bela líf, at
við sverjumst í fóstbrœðralag. Angantýr segir: Þat Þikki
mér jafnaðarbóð, at við Beli gerumst fóstbrœðr, en í Því
Þikki mér mikit veitt, ef ek skal vera Þinn fóstbróðir. Var
petta síðán bundit fastmælum; Þeir vöktu sér blóð í lófum,
ok gengu undir jarðarmen, ok sóru Þar eiða, at hverr skyldi
annars hefna, ef nokkur Þeirra yrði með vöpnum veginn! 51
Þorsteins Angebot lautet ganz genauso wie dasjenige Árán von Tattaríás in der Egils saga einhenda („vil ek… at við sverjumst í fóstbrœðralag“ bzw. „vil ek, at vit sverjumz í fóstbrœðralag“). Beide wiederum sind der Gísla saga sehr ähnlich, wo der Vorschlag von Gisli ausgesprochen wird („… sé ek gott ráð til Þessa, at… ok sverjumz í fóstbrœðralag“).
Auch in der Þorsteins saga Víkingssonar wird – wie in der Gísla saga und der Egils saga – das Blut „geweckt“ („Þeir vöktu sér blóð“). Darüber hinaus erfahren wir an dieser Stelle, daß dies durch eine Verwundung der Innenseite der Hand geschah („í lófum“).
Weiters erscheint die Blutmischung, die zwar nicht erwähnt wird, aber für die das Blut offenbar „geweckt“ wurde, auch hier wiederum in Verbindung mit dem „ganga undir jarðarmen“ („Þeir vöktu sér blóð í lófum, ok gengu undir jarðarmen“). Wegen einer Aneinanderreihung der Satzteile durch zweimalige Verwendung der Konjunktion „ok“ wird es ziemlich schwierig, zu entscheiden, ob eine Aufeinanderfolge oder aber eine Gleichzeitigkeit der erwähnten Handlungen gemeint ist.
Der Eid jedenfalls, den die sich Verbrüdernden sich schwüren, fand zweifellos unter dem „jarðarmen“ statt („ok sóru Þar eiða“). Sein Inhalt besteht auch hier wiederum in der Pflicht zur Blutrache („at hverr skyldi annars hefna, ef nokkur Þeirra yrði með v
pnum veginn“).
Wie in der Egils saga einhenda sind auch in der Þorsteins saga Víkingssonar die Schlüsselbegriffe der Beschreibung der Blutsbrüderschaft mit denen der Gísla saga so gut wie identisch:
við sverjumst í fóstbrœðralag – sverjumz í fóstbrœðralag;
gengu undir jarðarmen – jarðarmen… Þeir skyldu Þar undir ganga;
Þeir vöktu sér blóð – nu vekja Þeir sér blóð
sóru Þar eiða, at hverr skyldi annars hefna –
sverja Þann eið, at hverr skal annars hefna.
Auffällig ist allerdings die Bemerkung der Þorsteins saga, daß das Blut aus den Innenflächen der Hände der Beteiligten stamme, denn davon steht in der Gísla saga nichts.
Neben dem wohl kaum zu bestreitenden Einfluß, den die Schilderung der Blutsbrüderschaft im 6. Kapitel der Gísla saga, die in der späteren literarischen Tradition Islands offenbar exemplarischen Charakter hatte, auf die Beschreibungen der Egils saga einhenda und der Þorsteins saga Víkingssonar ausgeübt haben wird, erscheint mir die Möglichkeit, daß eine ferne – und sicherlich auch dementsprechend fragmentarische – Erinnerung an diese Institution, unabhängig von der rein literarischen Tradition, noch relativ lange weitergelebt haben könnte, doch durchaus erwägenswert.
Schließlich wird die Verwendung von Blut im Rahmen einer Verbrüderung auch noch in der
Illuga saga Griðarfóstra erwähnt.
Allerdings findet sich in dieser Saga das „Wecken des Blutes“ in keiner mittelalterlichen Handschrift, sondern in einer frühen gedruckten Ausgabe (Uppsala 1695). Offenbar hat der Herausgeber (Gudmund OLOFSSON) den Nebensatz „vökvuðu Þeir sér síðan blóð“ in Analogie zu einer der oben genannten Stellen als Kommentar hinzugefügt. Es heißt dort ( Kapitel 1):
Sigurðr konungsson ok Illugi lögðu leika með sér, átti
Sigurðr marga leiksveina, ok bar
ann lángt af Þeim, hvat
sem Þeir Skyldu reyna, en Illugi vann hann í öllu; ok svâ
kom at Þeir sórust í stallbrœðralag 52, ok skyldi hvorr
annars hefna, ef Þeir væri með vopnum vegnir 53, var nú
allkært Þeirra á milli. 54
Diese Stelle sei nur der Vollständigkeit wegen erwähnt; als ein Beleg für eine tatsächliche Blutsbrüderschaft kann sie natürlich nicht gelten.
Ich gebe im folgenden eine tabellarische Übersicht über jene Belege, die eine Verwendung von Blut zum Zwecke der Verbrüderung expressis verbis erwähnen.
B) „KÜNSTLICHE“ BRÜDERSCHAFT IM HEIDNISCHEN SKANDINAVIEN
Nach den Belegen, in denen die Verwendung von Blut zum Zwecke der Verbrüderung tatsächlich erwähnt wird, nun zu jenen Stellen, die der Blutmischung nicht expressis verbis gedenken, die aber aufgrund verschiedener Kriterien den Schluß zulassen, daß eine regelrechte Blutsbrüderschaft oder zumindest eine ihr sehr ähnliche Institution gemeint ist.
Fóstbrœðra saga
Die Fóstbrœðra saga, eine Isländersaga, die um 1200 von einem Geistlichen, der in der Nähe von Reykjahólar lebte, geschrieben wurde, erzählt vom Schicksal der Blutsbrüder 55Þorgeirr Hávarsson und Þormóðr Bersason. Der Schauplatz des Geschehens ist der äußerste Nordwesten Islands, die Gegend am Ísafj
ðr. 56
In dieser Gegend wachsen Þorgeirr und Þormóðr gemeinsam auf. Bald schließen sie Freundschaft. Da sie sehr kriegerisch veranlagt sind, erfaßt sie die Vorahnung, daß sie im Kampfe fallen werden. Dies ist der Grund für ihre Verbrüderung, durch die der Überlebende sich verpflichtet, den anderen zu rächen, falls dieser getötet wird:
Þvi toku Þeir Þat rað með fastmælum, at sa Þeira
skylldi hefna annars, er lengr lifði, en Þo at Þa
veri menn kristner kallaðer, Þa var Þo i Þann tið
vng kristni ok miog vanger, sva at marger gneistar
heiðinnar voru Þo Þa epter ok i uueniu lagðer.
Hafði su siduenia verit hofð fregra manna, Þeira
er Þat laugmal settu sin imilli, at sa skylldi annars
hefna er lengr lifði, Þa skilldu Þeir ganga vnder iij.
iarðar men, ok var Þat eiðr Þeira. Sa leikr var a
Þa lund, at rista skylldi . iij . torfur or ioðu
langar; Þeira endar skylldu aller faster i iorðu,
ok heimta vpp lyckiurnar sva at menn mætti ganga
vnder. Þann leik fraumdu Þeir Þormoðr ok Þorgeirr
i sinum fast mælum. 57
Als Þorgeirr Þormóðr einmal fragt, wer von ihnen wohl der Stärkere wäre, wenn sie miteinander kämpften, führt dies zum Bruch der Freundschaft; Þormóðr trennt sich von seinem fóstbróðir. Þorgeirr findet nach einer langen Reihe von Gewalttaten den Tod. Aber auch durch ihre Trennung war die einstmals geschworene Rachepflicht nicht erloschen.
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