Leopold Federmair - Parasiten des 21. Jahrhunderts

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Parasiten des 21. Jahrhunderts: краткое содержание, описание и аннотация

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Leopold Federmair nennt sein neues Werk «Essais» nach französischer Schreibart, das auf das Hauptwerk von Michel de Montaigne anspielt. Es handelt sich also um erzählende, mäandernde Annäherungen an einen Komplex von Themen, die sich unter der Vorstellung des Parasitentums zusammenfassen lassen.
Das Buch beginnt mit einem «Lob des Parasiten». In dem Text arbeitet der Autor das kreative Potenzial parasitärer Existenzformen heraus. Überflüssig geworden sind heute nicht nur zahllose berufliche Existenzen, sondern möglicherweise die Menschheit selbst, die sich mehr und mehr auf intelligente Maschinen verlässt. Mit dem Ausdruck «beide Welten» ist ebendiese Duplizität des Virtuellen und des Realen gemeint. Hinzu kommt eine zweite Wortbedeutung: Federmair hat gleichzeitig mehrere Weltgegenden im Auge, vor allem Westeuropa und Ostasien. Im zweiten Essai steht die Digitalisierung und der «neue Mensch» im Zentrum. Für den dritten Essai hat Federmair in seiner Heimat sowohl Flüchtlinge als auch ihre österreichischen Helfer befragt, die diese zugewanderten «Parasiten» während der sogenannten Flüchtlingskrise betreuten.
Abgerundet wird der Band mit einer Auseinandersetzung zum Konzept eines neoliberalen «Terrors der Ökonomie». Ist diese Interpretation unserer Gegenwart noch haltbar? Sind wirklich alle Utopien überflüssig geworden?

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Leopold Federmair

PARASITEN DES

21. JAHRHUNDERTS

Essais aus beiden Welten

Die Drucklegung dieses Buches wurde gefördert von den Kulturabteilungen von - фото 1

Die Drucklegung dieses Buches wurde gefördert von

den Kulturabteilungen von Stadt und Land Salzburg sowie vom

Land Oberösterreich.

wwwomvsat ISBN 9783701312894 eISBN 9783701362899 2021 OTTO MÜLLER - фото 2

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1289-4

eISBN 978-3-7013-6289-9

© 2021 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIEN

Alle Rechte vorbehalten

Satz: Media Design: Rizner.at

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck-Germany

Covermotiv: Collage von Thomas Hartz aus der Serie „Parasit“

Pigmentdruck 90 x 60 cm, 2017

Copyright © Thomas Hartz

www.thomashartz.com

Grafische Gestaltung: Leopold Fellinger

INHALT

Vorwort

I Lob des Parasiten

II Ironie off!

III Flüchtlingsgespräche in Oberösterreich

IV Gräuel der Gegenwart

VORWORT

Welche zwei Welten? Zunächst einmal die beiden, in denen im 21. Jahrhundert so gut wie jeder lebt, und zwar gleichzeitig und weltweit: die digitale und die „analoge“, die virtuelle und die reale, die sekundäre und die (immer noch) primäre, in der wir essen, trinken, schlafen, lieben, uns als beseelte Körper bewegen.

Zwei Welten, aber in Wahrheit sind es noch mehr, es sind viele Welten. Nur daß sich oft zwei aus dieser Vielheit gegenübertreten, Gegensätze bilden und/oder einander ergänzen. Wir können nicht alles auf einmal überblicken, nicht alles gleichzeitig haben. Das wäre eine schlechte, abstrakte Globalisierung, deren digitaler Nebel die Einzelnen und ihr konkretes Leben umspinnt, so daß sie vor lauter Wald die Bäume nicht mehr sehen.

Eine zweite Bedeutung der Formulierung verweist darauf, daß ich meine Lebenserfahrungen in sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten gemacht habe und dazu neige, sie miteinander zu konfrontieren, zu vergleichen, in den Texten nebeneinander zu montieren. Ich kann nicht behaupten, daß ich alle Welten kenne, bei weitem nicht. Aber einige kenne ich, soweit man sie eben kennen kann – „Was weiß ein Fremder?“ –, und diese Außenperspektive erlaubt manchmal Erkenntnisse, die allzu große Vertrautheit mit dem „Meinigen“ nicht zuläßt. Diese Erfahrungen wirken dann zurück und verfremden den Blick auf das Meinige, das – für mich – Ursprüngliche: Oberösterreich, Österreich, Mittel- und Westeuropa.

Michel de Montaigne ließ sich von einem Mann, der zwölf Jahre lang in Brasilien gelebt hatte und nach Darstellung des Autors ein naiver Charakter und eben deshalb glaubwürdig war, ausführlich über die Sitten und Gebräuche in jener „neuen Welt“ berichten. Auch Montaigne kannte einiges von der Welt, hatte Reisen in Italien gemacht und davon berichtet, war aber höchst neugierig in Bezug auf neue, fernere, exotische Welten. Trotz aller Naivität scheint sein Gewährsmann die südamerikanischen Gesellschaften, die er kennenlernte, in etwas rosigem Licht dargestellt zu haben. Das spielt für die Qualität der Essais aber keine Rolle, denn erstens ist der Blick, ob naiv oder reflektierend, immer subjektiv, und zweitens kam es im 16. Jahrhundert darauf an, der geläufigen Verachtung der „Wilden“ etwas entgegenzusetzen. Ähnlich wie später Rousseau hegte Montaigne die Vorstellung, im Anfang der Zeiten, vor aller Zivilisierung, hätten die Menschen ein paradiesisches Leben ohne „künstliche Zwangsmittel“ geführt.

Im 21. Jahrhundert bestünde nun dank fortgeschrittener Zivilisierung und Technisierung die Möglichkeit, sich im Alltagsleben von vielen dieser Zwangsmittel zu befreien. Das Gegenteil ist der Fall. Als wollten wir alle das Parkinsonsche Gesetz vom unweigerlichen Wachstum der Bürokratie bestätigen, ziehen wir die sozialen Daumenschrauben immer weiter an. Auch diese Sehnsucht nach einem einfacheren, dabei aber reflektierten Leben teile ich mit Montaigne.

Ob er tatsächlich immer nur „sich selbst gemalt“ hat und sein einziger Gegenstand war, wie Montaigne im Vorwort zu den Essais behauptet, kann man getrost bezweifeln. Hier wird wohl auch das Understatement eine Rolle spielen. Montaigne steigert dieses klassisch-rhetorische Mittel bis zu dem Paradox, daß er dem Leser, an den er sich eingangs wendet, von seinem Buch abrät, weil dessen Gegenstand nicht sonderlich interessant sei. Die Rezeptionsgeschichte sollte erweisen, daß er interessanter war als das meiste, was in jener Epoche geschrieben wurde. Aber nicht nur deshalb, weil er oft Innenschau hielt, sondern wegen seiner Neugier auf die diversen Welten.

Der Essai – heute meist in der englischen Schreibweise – ist ein eminent und essentiell subjektives Genre. Interessant wird er dann, wenn die Persönlichkeit des Autors dies und jenes aus den Welten, den zeitgenössischen wie den historischen, durch Bücher vermittelten, aufgenommen hat und zu bewerten und durch seine Sprache und seinen Geist transformiert wiederzugeben weiß. Indem Montaigne von sich selbst erzählte, schrieb er über beide Welten – mindestens. Der Subjektivismus des Essays kann im 21. Jahrhundert, das sich so gern und so total dem Trug von Objektivierung und Optimierung ausliefert, als Kampfmittel gegen einen Zeitgeist dienen, der der Mehrheitsgesellschaft selbst gefährlich werden könnte, je mehr diese Tendenz kraft Automatisierung zur zweiten Natur wird. In diesem Sinn ist der Essai ein ebenso parasitäres wie notwendiges Genre.

In Ricardo Piglias Tagebüchern und in einem seiner Romane kommt eine „Bar beider Welten“ vor, irgendwo am Rand des Randes der Welt, in Mar del Plata. Frequentiert wird sie vom jugendlichen Autor und von einem „Engländer“, einem virtuellen Schriftsteller, den es absurder Weise in diese argentinische Provinzstadt verschlagen hat. El bar Ambos Mundos , die Konjunktion von alter und neuer Welt, wie sie Spanien einst verfolgte. (Heute gibt es sogar in Tokyo eine Bar, die sich so nennt.) Auf deutsch hat der Ausdruck zwei Bedeutungen: Wer zuviel hin und her schwingt, sich zuviel an mehreren Orten gleichzeitig aufhält, könnte die Orientierung verlieren und am Ende mit leeren Händen dastehen, ohne die eine, ohne die andere Welt, ein im atlantischen oder indischen Ozean versunkener Kolumbus. Verloren im transversalen Liniengewirr, in der gespenstischen Leere des Netzes: Dieser Gefahr zu wehren, hat sich der Verfasser der vorliegenden Essais vorgenommen.

I

LOB DES PARASITEN

Es ist noch nicht lange her, da erhielt ein südkoreanischer Spielfilm mit dem Titel Parasite den Oscar für den besten Film des Jahres, also die berühmteste Auszeichnung, die es weltweit auf diesem Gebiet gibt. Ich war, als ich den Film sah, fasziniert wie die meisten Zuschauer, doch fiel es mir schwer, bei den gegen Ende immer grausameren Szenen, die das Werk vollends zum Horrorfilm werden lassen, den Blick auf die Leinwand geheftet zu lassen. Diese Parasiten da, für die man zu Beginn des Films Sympathie oder wenigstens Mitleid empfinden konnte, werden Schritt für Schritt zu Schlächtern. Die Underdogs, die sich aus dem Elend erhoben haben, erweisen sich, sobald sie etwas wie Macht und Einfluß bekommen, als noch weit ärger als jene, denen sie einst ihren Wohlstand neideten. Letzten Endes sind alle Beteiligten Parasiten, die Reichen, die sich auf die Dienste der Armen stützen, um ihren Reichtum zu mehren, und die Armen, die die ganze Hand an sich reißen, sobald ihnen ein kleiner Finger gereicht wird. Im Normalfall spielt sich das ganze Geschehen als Austausch ab, die soziale Maschinerie schnurrt dahin, tagein, tagaus, die Dienste werden recht und schlecht bezahlt, so haben alle ihr Auskommen, ihren angestammten, überlieferten, schwer zu verlassenden Platz in der sozialen Hierarchie.

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