Wieso ist der mit mir per Du? Soll ich ihm eine Zigarette geben? Soll ich auch du zu ihm sagen? Stink ich nach Bier? Oder nach Whiskey? Lauter Fragen und keine Antwort! Gibt sie ihm halt in Gottes Namen eine Zigarette. Muss sie ihm Feuer auch noch geben? Ihre Hand mit dem Zippo zittert derartig, dass er sicher glaubt, sie ist eine Schwerstalkoholikerin auf Entzug. Muss sie wenigstens was sagen: „Das Du-Wort gibt es normalerweise erst nach einem ordentlichen Bruderschaft-Trinken inklusive Küssen.“
Ha, jetzt hat sie ihm die Schneid abgekauft, diesem goscherten Hund! Das traut er sich bestimmt nicht! Aber so kann man sich täuschen. So schnell kann die Gucki gar nicht schauen, hat sie auch schon ein Glas Rotwein in der Hand und trinkt es auf einen Zug aus. Zwei Zigaretten fallen auf den Boden, wo sie fröhlich weiterglimmen. Was aber einem Kachelboden völlig wurscht ist. Und dann ist es auf einmal so still, als ob die ganze Welt verschwunden wäre. Die ganze Welt besteht nur mehr aus diesen blauen Augen. Die kommen näher und näher – und dann wird der Gucki schwarz vor den Augen.
Aber nichts dauert ewig, und so muss sie ihre Augen irgendwann doch wieder aufmachen. Um Gottes willen, so was von peinlich! Sie kann sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wie sie in diese Lage gekommen ist. Die Arme um den Hals von diesem Mann geschlungen, die Beine aber um seine Hüften, hängt sie an ihm wie eine Klette und kann nicht loslassen, weil sie jetzt auch noch seinen Hals, seine Wangen und seine Ohren küssen muss. Und hätte sie nicht auf einmal ihren kleinen Turrini so herzzerreißend winseln gehört, wer weiß, was sie noch alles geküsst hätte?
So aber steht sie im Nu wieder mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität, wie das so schön heißt, obwohl es eigentlich nur der Boden der Gaststube ist, und hat auch schon ihr Taschenmesser kampfbereit in der Hand. Und schaut den Mann mit den blauen Augen hilfesuchend an. Und stammelt: „Mein Hund – der Drache!“
Eigentlich kein zusammenhängender Satz. Trotzdem kennt sich der Sigi aus. „Der Drache ist nur ein Irish Wolfhound und außerdem extrem kindisch. Du bist nicht die Erste, die meine Krimi vor lauter Begrüßungsfreude über den Haufen gerannt hat. Und andere Hunde beißt sie auch nicht – sie schleckt sie höchstens vor lauter Liebe zu Tode.“
Ist die Gucki so erleichtert, dass sie dem Mann mit den blauen Augen am liebsten schon wieder um den Hals gefallen wär. Weil das aber einen schlechten Eindruck machten tät, pfeift sie ihrem kleinen Turrini. Pfeift der Sigi auch seinem Hund. „Folgen tun sie anscheinend alle zwei nicht“, stellt der Sigi fest. Bleibt ihnen nichts anderes über, als dass sie in den Garten hinausgehen. Weil der Turrini ja immer noch winselt, wie wenn es um den Weltrekord im Dauerwinseln gehen tät.
Na, das ist vielleicht ein Anblick! Eine riesige, mindestens 80 Kilo schwere struppig-graue Hündin liegt bäuchlings auf dem Boden und hinter ihr steht ein kleiner schwarzer Hund auf seinen Hinterpfoten und versucht verzweifelt, sich mit den Vorderpfoten im Fell der Hündin festzuhalten. Die Gucki und der Sigi brauchen eine ganze Weile, bis sie draufkommen, was es mit dieser eigenartigen Stellung auf sich hat. Dann brechen sie auch schon gleichzeitig in ein schallendes Gelächter aus. Weil dieses komische Arrangement nämlich wirklich eine Stellung ist: praktisch Geschlechtsverkehr. Nur: Es tut sich nichts! Das Hin und Her, das Rein und Raus fehlt! Praktisch Standbild.
„Ui je!“, sagt der Sigi, muss aber schon wieder so lachen, dass er fast nimmer reden kann. „Dein Hund ist stecken geblieben! So was kommt öfter vor bei Hunden. Da hat das Weiberl einen Scheidenkrampf und das Manderl kann nicht mehr heraus.“
„Und …?“, fragt die Gucki. „Was machen wir da?“
„Gar nix! Das vergeht schon wieder von selber.“ Der Sigi muss schon wieder lachen. „Früher oder später.“
Ein Lachen, das ansteckend ist. „Früher oder später ist gut!“ Die Gucki lacht auch. „Und was machen wir so lange?“
„Jetzt, wo wir doch ziemlich per Du sind, sollte ich mich vielleicht einmal vorstellen“, meint der Sigi und grinst. „Sigi.“ Und hält ihr seine Hand hin.
So ein frecher Hund! Weil sie aber diese Hand unbedingt noch einmal angreifen möchte, ist die Gucki friedlich und sagt: „Gucki.“ Dafür kriegt sie auch eine Hand, die so warm ist und so weich, dass sie ganz vergisst, die Hand wieder loszulassen.
„Noch schöner als auf dem Foto!“, sagt der Sigi mit heiserer Stimme.
Kennt sich die Gucki natürlich nicht aus. „Was?“ „Deine Rehaugen. Ein Bernsteinbraun wie das Wasser der Aist. Zum Versinken und Ertrinken!“
Normalerweise ist die Gucki da recht mitleidlos, wenn Männer so dick auftragen. Weil sie Schmalz nur in Form von Schmalzbroten vertragt. Und tät normalerweise irgendwas Goschertes sagen wie – sagen wir einmal: „Tät ich mir halt Schwimmflügerl zulegen, wenn du nicht schwimmen kannst!“
Jetzt aber nicht. Jetzt wird sie rot. Das ist ihr doch nimmer passiert, seit sie vierzehn war? Kommt sie leicht jetzt mit fünfunddreißig noch einmal in die Pubertät? Kruzisex noch einmal, was ist denn los mit ihr? So einen Notstand kann sie doch gar nicht haben, dass sie vergessen hat, warum sie überhaupt hergekommen ist! „Kommen wir zuerst einmal zum Geschäftlichen, mein lieber Sigi!“, bringt sie jetzt doch noch heraus. „Später können wir uns dann von mir aus über dein augenärztliches Fachinteresse unterhalten.“
„Aber gern, mein schönes Kind! Gleich die entscheidende Frage: Kriegt dein Hund genug Taschengeld, dass er die Alimente zahlen kann, oder nimmst du die Hälfte von den kleinen Hunden? Mehr als acht werden es schon nicht werden!“
Muss die Gucki schon wieder lachen. Und kann dem Sigi nicht bös sein. Obwohl er so ein goscherter Hund ist. Mein schönes Kind – so eine Frechheit! Sie ist doch keine Barbiepuppe, sie ist eine gestandene Frau! Blaue Augen hin, blaue Augen her, jetzt zeigt sie diesem Sigi, wie man mit der Geiß ackert: „Weißt du, mein schöner Prinz, die Leser der Mühlviertler Nachrichten möchten ganz einfach wissen, wie man Puffbesitzer wird. Zeichnet sich so eine Karriere schon in der Volksschule beim Doktorspielen ab, oder braucht man da eine spezielle Ausbildung – sagen wir einmal: 14 Semester Zuhälterei und einen Volkshochschulkurs Nuttenausbeutung für Anfänger?“
Jetzt hat es ihm die Red verschlagen! Nein, er lacht? Aber nur, weil die Hunde jetzt doch irgendwie auseinandergekommen sind. Und der kleine Turrini von der riesigen Krimi von oben bis unten abgeschleckt wird. Wobei er am Rücken liegt und schon wieder – oder noch immer? – eine Erektion hat.
„Die sind anscheinend auch schon per Du“, sagt jetzt der Sigi und schaut die Gucki so eigenartig an. Aber nicht schweinisch. Mehr so anzüglich. Wenn nicht sogar verführerisch.
Wird die Gucki schon wieder rot. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Muss sie wenigstens was Boshaftes sagen: „Wie bist du denn auf Krimi gekommen? Liest du immer Krimis, wenn du nicht schlafen kannst, weil dich die Gewissensbisse wegen der Zuhälterei quälen?“
„Nein“, lacht der Sigi, „Krimi kommt von Kriemhild. Weil mein lieber Papa ein alter Nazi war und seinen Söhnen germanische Namen verpasst hat: Hagen und Siegfried. Hab ich mir also gedacht, Kriemhild wird meinen Papa freuen. Und es hat ihn wirklich so gefreut, dass er mir und nicht meinem lieben Herrn Bruder das Haus vererbt hat. Und dein geiler kleiner Hund, wie heißt der?“
„Turrini.“
„Aha, nach dem Dramatiker. Ist der Hund auch so sentimental?“
„Normal erklär ich den Leuten immer, der Hund ist nach der Freistädter Schlosserei Turrini benannt. Weil er das Haus besser beschützt als jedes Schloss.“
„Da schau dich an! Hat die schöne Frau Magister leicht geglaubt, alle Puffbesitzer müssen ungebildet sein?“
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