„Also wirklich sehr brav, Fräulein Gucki!“, lobt das Fräulein Aistleitner. Schließlich ist sie Oberlehrerin in Ruhe, und mit der Anrede Fräulein ist sie auch konsequent. „Das hätte ich mir gar nicht von Ihnen gedacht, dass Sie so fromm sind. Wo man Sie doch so gut wie nie in der Kirche sieht. Aber das ist jetzt alles vergessen und vergeben. Sie sind herzlich willkommen. Gleich heute Abend. Zur Probe. Vom Kirchenchor. Ein bisserl was anderes anziehen täten Sie halt schon müssen. Bei den Proben eh nicht. Aber in der Kirche schon. Ein Rüscherlbluserl tät Ihnen sicher gut stehen. Hat der Koller in Weißenbach jetzt im Angebot. Nur Neunzehn-neunzig! Um halb acht ist die Probe. Im Pfarrheim. Aber pünktlich! Und jetzt halt ich Sie nimmer länger auf, damit Sie fest gegen die Unkeuschheit schreiben können!“
Ist die Gucki natürlich so fertig, dass sie schon überlegt, ob sie sich nicht gleich ein zweites Bier holen soll. Da läutet aber schon wieder das Telefon. Na, schlimmer kann es nicht mehr kommen! Aber so kann man sich täuschen!
„Mühlviertler Nachrichten, Wurm, grüß Gott!“
„König Karl, Gemeinderat in St. Moritz. Also – FPÖ-Gemeinderat natürlich. Wir waren die Einzigen, die gegen das Puff gestimmt haben. Das gehört nämlich einmal gesagt! Also: geschrieben. In der Zeitung. Und natürlich auch, warum! Weil wir ja nicht einfach gegen alles sind. Wie die anderen immer behaupten.“
„Und …?“
„Was und?“
„Warum sind Sie gegen ein Bordell in St. Moritz?“
„Ja, eh klar! Nicht wegen der Moral und auch nicht wegen dem Heilwasser – wegen die Ausländer sind wir dagegen!“
„Der Herr Schellhammer ist doch ein Österreicher und noch dazu aus St. Moritz gebürtig?“
„Ja, er schon, aber seine Huren nicht! Schauen Sie doch einmal in Freistadt ins Puff: lauter Tschechinnen, Russinnen, Ungarinnen und Thailänderinnen! Da kann ich doch gleich die paar Kilometer über die Grenze fahren und in der Tschechei um das halbe Geld schnackseln!“
„Wie oft gehen Sie denn ins Puff?“ Das ist der Gucki jetzt herausgerutscht. Da hat sie beim besten Willen nichts dagegen machen können.
„Ha …?“
„Ich mein: nur so im Durchschnitt. Einmal pro Woche oder eher einmal im Monat?“
Aufgelegt. Gott sei Dank! Wenn das so weitergeht? Aber es geht so weiter. Wobei ein Lehrer und Jungscharleiter den Vogel abschießt, indem er nicht nur die wundertätige Heilkraft des Mariabrunner Wassers beschwört (fast alle seine Warzen im Gesicht sind verschwunden), sondern die Gucki auch noch zum abendlichen Maibaumaufstellen nach Lasberg einlädt (Dirndlkleid erwünscht) und ihr erklärt, dass ihm ihr Foto in den Mühlviertler Nachrichten so gut gefallen hat, dass er ernsthaft an die Gründung einer Familie denkt. Und treu ist er sowieso.
Nach zwei Stunden Telefonterror ist die Gucki dann so fertig, dass sie am liebsten selber ein Puff aufmachen tät oder zumindest dem Schellhammer mit einer Flasche Messwein zu seiner Idee gratulieren möchte. Drum holt sie sich jetzt wirklich noch ein Bier und schärft der Renate ein, kein einziges Telefonat mehr durchzustellen – und wenn der Bischof höchstpersönlich anrufen sollte.
Man wird es nicht glauben, aber der ruft wirklich an. Nur kann er seine liebe Tochter leider nicht mehr erreichen. Weil sie unterwegs ist.
„Du Heubodentürldepp!“, sagt man dann, wenn ein gewöhnliches Depp nicht ausreicht. Wenn einer wirklich brunzdumm ist. Zum Scheißen zu blöd. Ein richtiger Volkstrottel halt. Aber nicht, dass jetzt wer glaubt, dass ich mit den ganzen Schimpfwörtern so eine Freude hätt! Dass ich praktisch eine ordinäre Drecksau bin. Überhaupt nicht! Nur: Wie soll ich das Heubodentürldepp denn sonst erklären? Weil außer im Mühlviertel wird das ja keiner kennen.
Und dann tät keiner wissen, wie das gemeint ist, wenn die Gucki jetzt zum Herrn Bürgermeister sagt: „Du bist aber wirklich ein fester Heubodentürldepp!“
Ist er natürlich ein bisserl beleidigt. Praktisch Amtsehrenbeleidigung. „Das kommt aber nicht in die Zeitung hinein?“, fragt er die Gucki. Mit einem verzagten Blick auf das kleine Tonband, das auf seinem Schreibtisch liegt. Und außerdem versteht er überhaupt nicht, wie die Gucki auf das Depp kommt. Wenn das kein Argument ist? Arbeitsplätze ist doch das Zauberwort schlechthin. Mit dem kann man alles und jedes rechtfertigen. Egal, ob man jetzt Bundeskanzler von Österreich ist oder Bürgermeister von St. Moritz. Ein Bordell ist schließlich auch eine Firma – und eine Firma heißt Arbeitsplätze! Und das sagt er ihr jetzt auch, dieser Journalistin, die anscheinend absolut keine Ahnung von der Wirtschaft hat. Typisch Frau!
Aber die lacht sogar noch? „Wen willst du denn auf den Strich schicken: deine Frau oder deine Tochter?“
Die Gucki ist nämlich mit dem Herrn Bürgermeister per Du. Weil sie einmal beim Musikerball in St. Moritz Bruderschaft getrunken haben. Und weil er sie dann ein bisserl sexuell belästigt hat. Und weil sie ihm dann eine ordentliche Watschen gegeben hat. Hat aber nicht so weh getan wie die Watschen, die er jetzt kriegt: „Oder willst du selber den Türsteher machen und mit den Nutten einen Betriebsrat gründen?“
Ist das jetzt ernst gemeint oder will sie ihn pflanzen? Weil er ja wirklich Betriebsrat ist. In der VOEST. Also, Türsteher, das wär nix für ihn. Aber so eine Betriebsratssitzung mit ein paar feschen Huren, für so was wär er schon zum haben. Und für die Gucki sowieso. Wie sie da vor ihm sitzt in ihrer schwarzen Lederjacke – eine strengere Herrin findest du weit und breit nicht! Na, das war vielleicht eine Watschen! Damals auf dem Musikerball. Da wird ihm heute noch heiß und kalt, wenn er nur dran denkt. Ob sie es auch für Geld machen tät? Und was sie wohl verlangen tät?
Aber die Gucki macht es für ihn sogar umsonst. „Also, was ist jetzt mit den Arbeitsplätzen? Schlaf mir nicht ein, Egon! Du bist da mitten in einem Interview und nicht auf einem Parteitag!“, pfaucht sie ihn an.
Muss er sich wohl oder übel von seinen schrecklich schönen Fantasien losreißen und ihr in Gottes Namen die großen wirtschaftlichen Zusammenhänge erklären. „Also: Ein Puff bedeutet Schmutz und Dreck!“, beginnt er seine Ausführungen. Fast schon ein Ausflug ins Philosophische. Dabei meint es der Herr Bürgermeister ganz praktisch. „Brauchst du also eine Putzfrau und eine Frau zum Waschen und Bügeln. Das sind schon einmal zwei Arbeitsplätze. Die hat mir der Schellhammer garantiert. Und außerdem macht er den ganzen Umbau vom Mariabrunn mit lauter Moritzer Firmen. Der Baumeister nascht mit, der Zimmerer, der Installateur, der Elektriker und der Spengler. Das sind auch alles wieder Arbeitsplätze! Und dann natürlich auch noch der Fremdenverkehr. Kommt ein Fremder ins Puff und unterhält sich gut und sieht dann am nächsten Tag in der Früh, wie schön es bei uns ist, dann denkt er sich vielleicht: Aha, da könnt ich auch einmal mit der Familie Urlaub machen und ein bisserl Golf spielen, und die Frau soll mit den Kindern Schwammerlsuchen gehen!“
Kommt der Gucki das Lachen aus. Wieder einmal, muss man sagen. Weil das hat sie in den acht Jahren bei den Mühlviertler Nachrichten noch immer nicht gelernt, dass du als Journalistin bei einem Interview auf keinen Fall lachen darfst. Weil dann die Leute beleidigt sind und nichts mehr erzählen. Genauso kommt es auch. Der Herr Bürgermeister sagt kein Sterbenswort mehr. Obwohl er sonst wirklich gern redet.
Aber die Gucki weiß eh schon genug. Das mit der Baugenehmigung stimmt. Leider. Der Schellhammer darf das ehemalige Ausflugsgasthaus Mariabrunn direkt neben der Kapelle Mariabrunn und direkt neben der Heilquelle Mariabrunn zu einem Puff mit zehn Zimmern umbauen. Ob er das Puff auch Mariabrunn nennen wird? Das muss sie ihn als Allererstes fragen!
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