„Seit in der Früh läutet ununterbrochen das Telefon! Alles wegen der Puff-Geschichte! Als Erstes hat der Pfarrer von St. Moritz angerufen. Dass er sich recht schön bedanken möchte und dass du vorbeischauen sollst, weil er dir einen ganzen Karton von dem Messwein schenkt, der dir beim Interview so geschmeckt hat.“
„Kreuzsakrahaxen!“, rutscht da der Gucki heraus. Was die für Flüche draufhat!
„Als Nächstes hat dann der Bürgermeister angerufen. Hat sich zuerst einmal beschwert, dass du ihn nicht interviewt hast. Und hat dann gesagt, dass er dir das mit der Baugenehmigung ganz genau erklären kann. Wenn du ihn interviewen tätest. Und du brauchst ihn nur anrufen. Und er hat immer Zeit.“
„Aber Messwein will er mir keinen spendieren?“
„Pass auf, jetzt kommt ja erst das Beste! Der Zuhälter – der Zuhälter hat gleich drei Mal angerufen! Das erste Mal hat er gefragt, ob du da bist, das zweite Mal, wann du kommst, und beim dritten Mal hat er gesagt, ich soll dir ausrichten, dass er dir den Arsch aufreißt. Wortwörtlich: Ich reiß ihr den Arsch auf!“
Die Gucki ist aber anscheinend nicht sonderlich beeindruckt. „Also, erstens ist der Schellhammer kein Zuhälter, sondern Bordellbetreiber“, stellt sie klar, „und zweitens werden wir schon noch sehen, wer da wem den Arsch aufreißt!“
„Genau, den machst du zur Sau, Gucki! Auf das trinken wir! Salute!“
Und während jetzt die Bierflaschen scheppern – die Damen trinken selbstverständlich aus dem Flaschl – kein Wunder bei dem Spruch, den sie führen –, muss ich vielleicht doch einmal erklären, warum ich immer Gucki sag – und nicht Frau Magister Gudrun Wurm.
Bei uns hat praktisch ein jeder einen Spitznamen. Drum hat sich ja die Gucki am Anfang so hart getan, wie sie vor acht Jahren ins Mühlviertel gekommen ist. Weil sie sich bei jedem neuen Gesicht ja nicht nur den Vornamen und den Nachnamen merken hat müssen, sondern bei den Bauern auch noch den Hausnamen und bei den meisten Männern dazu auch noch den Spitznamen. Weil einen richtigen Spitznamen haben bei uns nur Männer. Ein abgekürzter Vorname – sagen wir einmal Rosi statt Roswitha – ist ja noch kein Spitzname. Eine Frau kann höchstens den Spitznamen von ihrem Mann angehängt kriegen. So ist – zum Beispiel – die Spray-Anita keine Friseurin, sondern eine Krankenschwester, der ihr Mann vor Jahren einmal eine Spraydose in ein Lagerfeuer geschmissen hat und seither natürlich nur mehr Spray heißt, weil es die Spraydose gar so schön zerrissen hat.
Die Gucki ist aber eine Ausnahmefrau und hat daher auch bald einen Spitznamen gehabt. Das war so: Beim allerersten Mal Tarockieren in St. Anton hat sie ziemlich gewonnen. Hat der Fuzzi gesagt: „Eine, die rucki-zucki drei Tausender gewinnt, kann nicht Wurm Gudrun heißen! Das ist die Rucki-zucki-Gucki!“ Und das Gucki ist ihr dann geblieben. Obwohl mit den drei Tausendern Schilling gemeint waren – und nicht Euro.
Dabei hat der Fuzzi nicht die geringste Ahnung gehabt, dass sie sowieso schon seit ihrer frühesten Kindheit nur Gucki genannt worden ist. Ihr Opa hat diesen Namen aufgebracht, und der hat sie dann durch die ganze Schulzeit in Linz begleitet und ist zum Studieren mit ihr nach Wien übersiedelt. Und wie sie dann ins Mühlviertel gekommen und mit achtundzwanzig Jahren praktisch das erste Mal in ihrem Leben mit Gudrun angeredet worden ist, war das für sie, als wäre sie auf einmal ein anderer Mensch. Hat aber eh nicht lang gedauert und schon war sie wieder die Gucki.
Ich glaub ja nicht, dass das ein Zufall war, dass der Fuzzi so schnell auf Gucki gekommen ist. Ihr wacher, neugieriger Blick aus den großen bernsteinbraunen Augen ist halt einmal das Auffälligste an der Gucki. Und das ist ihm sofort ins Auge gestochen – so wie es 25 Jahre vorher dem Opa ins Auge gestochen ist. Wie es jedem Mann sofort ins Auge stechen müsste, wenn er sich nicht von den elendslangen Haxen, dem prächtigen Arsch und dem kecken Busen ablenken ließe.
Jetzt ist es aber genug! Jetzt hätt ich mich selber bald ablenken lassen. Ich wollt ja nur erklären, wie die Gucki zu ihrem Spitznamen gekommen ist und keine pornografische Schilderung abliefern. Da tät mich die Gucki schön zusammenstauchen! Der weibliche Körper als Ware – da kann sie sich grün und blau ärgern.
Das ist es ja auch, was sie dazu gebracht hat, diesem Bordellbesitzer in den Mühlviertler Nachrichten eine aufzulegen, ohne dass sie wirklich recherchiert hätte. Was für eine Blamage! Dass sie sich dann auch noch zu der populistischen Metapher von der moralischen Umweltverschmutzung hinreißen hat lassen. Der reinste Schwachsinn! Und trotzdem wird sie genau diese schwachsinnige Moralschiene weiterfahren müssen, wenn sie diesen Hurenbeutel erledigen will. Und das will sie! Eigentlich hat sie ja die ganze Geschichte nur gebracht, weil sie sonst keinen Aufmacher gehabt hätte. Praktisch Verlegenheitslösung. Ist ihr doch in Wirklichkeit völlig wurscht, ob in St. Moritz ein Puff aufgemacht wird oder nicht. Jetzt ist das anders. Jetzt geht es ihr wirklich darum, dass dieses Puff nicht aufsperren kann. Dass sie diesen arroganten Hund zur Sau macht. Und wenn sie sich auf das unterste Niveau des Journalismus begeben muss!
Dabei ist sie, wenn sie ehrlich ist, sowieso schon längst auf dem untersten Niveau des Journalismus angelangt. Bei den Mühlviertler Nachrichten nämlich. Packende Reportagen über Feuerwehrzeughaus-Einweihungen, nette Fotos von rüstigen Hundertjährigen samt Geschenkskorb und eifrig gratulierenden Bürgermeistern und leidenschaftliche politische Debatten über weltbewegende Fragen wie Braucht Pregarten eine öffentliche Toilettenanlage? Kurzum: eine Regionalzeitung. Also wirklich nicht das, was sich die Gucki erträumt hat, wie sie angefangen hat, Publizistik zu studieren. Hat aber keinen anderen Job gekriegt, wie auf einmal ihre Mama gestorben ist und sie dann ganz ohne Geld dagestanden ist. Hat sich aber am Anfang noch nicht viel gedacht, weil sie sowieso davon ausgegangen ist, bald bei einer anderen, einer richtigen Zeitung zu schreiben. Hat eine Bewerbung nach der anderen abgeschickt. Monatelang, jahrelang. Umsonst. Bis sie dann aufgegeben hat. Bis sie dann vor einem Jahr doch ihre Diplomarbeit in Theaterwissenschaft abgeschlossen hat. Sentimentale Motive im dramatischen Werk von Peter Turrini hat sie geheißen. Eh so ein schönes Thema, und trotzdem hat die Gucki bei keinem einzigen Theater eine Arbeit gekriegt.
So ist sie halt bei dem Mühlviertler Nachrichten picken geblieben und hat die Hoffnung fast schon aufgegeben, dass sie aus diesem Sumpf des Mittelmäßigen, vor allem aber völlig Uninteressanten jemals wieder herauskommt. Wobei sie aber eines bis jetzt immer gescheut hat wie der Teufel das Weihwasser: dass sie sich in diesem Provinzblatt als Stimme des Volkes aufspielt. Das ist ja die Spezialität ihrer verhassten Chefin, der Hatzl: dass sich die Frau Redaktionsleiterin auf jede populäre Forderung irgendeines Provinzdeppen draufsetzt wie eine Henne aufs Ei und laut gackernd populistische Schlagzeilen und Leitartikel ausbrütet.
Genau das hat die Gucki aber jetzt auch vor. Ist Dummheit wirklich ansteckend? Hat sie sich am Ende bei der Hatzl angesteckt? Ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis sie Rüscherlbluserl trägt und Whiskey aus dem Kaffeehäferl sauft? Nein, wirklich nicht! So tief ist sie noch nicht gesunken! Sie braucht ja nur ordentlich recherchieren, dann wird sich schon irgendwas finden lassen, das diesem Bordellbetreiber das Genick bricht. Zeit genug hat sie ja. Die Mühlviertler Nachrichten sind ja eine Wochenzeitung. Sprich: Redaktionsschluss am nächsten Dienstag.Und heute ist Mittwoch. Zeit über Zeit!
Sollte man meinen. Ist aber nicht so. Weil nämlich ununterbrochen das Telefon scheppert. Weil alle möglichen – besser gesagt: alle unmöglichen – Leute der Gucki zu ihrem Leitartikel gratulieren wollen. Die erste Anruferin ist noch dazu das Fräulein Aistleitner, eine ganz eine besondere Freundin von der Gucki. Sie ist nämlich die Ortsberichterstatterin der Mühlviertler Nachrichten in St. Anton. Und weil die Gucki halt einmal in St. Anton wohnt, muss sie „Das ist aber lieb, dass sie anrufen, Fräulein Aistleitner!“ sagen. Und nicht: „Halt doch sofort deine verlogene Goschen, du alte Tratschen!“
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