Oswald Spengler
Preußentum und Sozialismus
Oswald Spengler
Preußentum und Sozialismus
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021
EV: C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, 1921
1. Auflage, ISBN 978-3-962818-70-8
null-papier.de/719
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die Revolution
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Sozialismus als Lebensform
8.
9.
Engländer und Preußen
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
Marx
19.
20.
21.
Die Internationale
22.
23.
24.
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Ihr
Jürgen Schulze
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Diese kleine Schrift ist aus Aufzeichnungen hervorgegangen, die für den »Untergang des Abendlandes«, namentlich den zweiten Band bestimmt, die teilweise sogar der Keim waren, aus dem diese ganze Philosophie sich entwickelt hat. 1
Das Wort Sozialismus bezeichnet nicht die tiefste, aber die lauteste Frage der Zeit. Jeder gebraucht es. Jeder denkt dabei etwas andres. Jeder legt in dieses Schlagwort aller Schlagworte das hinein, was er liebt oder hasst, fürchtet oder wünscht. Aber niemand übersieht die historischen Bedingungen in ihrer Enge und Weite. Ist Sozialismus ein Instinkt oder ein System? Das Endziel der Menschheit oder ein Zustand von heute und morgen? Oder ist er nur die Forderung einer einzelnen Klasse? Ist er mit dem Marxismus identisch?
Der Fehler aller Wollenden ist, dass sie das, was sein sollte, mit dem verwechseln, was sein wird . Wie selten ist der freie Blick über das Werden hin! Noch sehe ich niemand, der den Weg dieser Revolution begriffen, ihren Sinn, ihre Dauer, ihr Ende überschaut hätte. Man verwechselt Augenblicke mit Epochen, das nächste Jahr mit dem nächsten Jahrhundert, Einfälle mit Ideen, Bücher mit Menschen. Diese Marxisten sind nur im Verneinen stark, im Positiven sind sie hilflos. Sie verraten endlich, dass ihr Meister nur ein Kritiker, kein Schöpfer war. Für eine Welt von Lesern hat er Begriffe hinterlassen. Sein von Literatur gesättigtes, durch Literatur gebildetes und zusammengehaltenes Proletariat war nur so lange Wirklichkeit, als es die Wirklichkeit des Tages ablehnte, nicht darstellte. Heute ahnt man es – Marx war nur der Stiefvater des Sozialismus. Es gibt ältere, stärkere, tiefere Züge in ihm als dessen Gesellschaftskritik. Sie waren ohne ihn da und haben sich ohne ihn und gegen ihn weiter entfaltet. Sie stehen nicht auf dem Papier, sie liegen im Blut. Und nur das Blut entscheidet über die Zukunft.
Wenn aber der Sozialismus nicht Marxismus ist – was ist er dann? Hier steht die Antwort. Heute schon ahnt man sie, aber den Kopf voller Pläne, Standpunkte, Ziele, wagt man nicht, sie zu wissen. Man flüchtet vor Entscheidungen von der ehemaligen energischen Haltung zu mittleren, veralteten, milderen Auffassungen, selbst zu Rousseau, zu Adam Smith, zu irgendetwas. Schon ist jeder Schritt gegen Marx gerichtet, aber bei jedem ruft man ihn an. Indessen ist die Zeit der Programmpolitik vorbei. Wir späten Menschen des Abendlandes sind Skeptiker geworden. Ideologische Systeme werden uns nicht mehr den Kopf verwirren. Programme gehören in das vorige Jahrhundert. Wir wollen keine Sätze mehr, wir wollen uns selbst.
Und damit ist die Aufgabe gestellt: es gilt, den deutschen Sozialismus von Marx zu befreien. Den deutschen, denn es gibt keinen anderen. Auch das gehört zu den Einsichten, die nicht länger verborgen bleiben. Wir Deutsche sind Sozialisten, auch wenn niemals davon geredet worden wäre. Die anderen können es gar nicht sein.
Ich zeichne hier nicht eine jener »Versöhnungen«, kein Zurück oder Beiseite, sondern ein Schicksal . Man entgeht ihm nicht, wenn man die Augen schließt, es verleugnet, bekämpft, vor ihm flüchtet. Das sind nur andere Arten es zu erfüllen. Ducunt volentem fata, nolentem trahunt . Altpreußischer Geist und sozialistische Gesinnung, die sich heute mit dem Hasse von Brüdern hassen, sind ein und dasselbe. Das lehrt nicht die Literatur, sondern die unerbittliche Wirklichkeit der Geschichte, in der das Blut, die durch nie ausgesprochne Ideen gezüchtete Rasse, der zur einheitlichen Haltung von Leib und Seele gewordne Gedanke über bloße Ideale, über Sätze und Schlüsse hinwegschreitet.
Ich zähle damit auf den Teil unserer Jugend, der tief genug ist, um hinter dem gemeinen Tun, dem platten Reden, dem wertlosen Plänemachen das Starke und Unbesiegte zu fühlen, das seinen Weg vorwärts geht, trotz allem; die Jugend, in welcher der Geist der Väter sich zu lebendigen Formen gesammelt hat, die sie fähig machen, auch in Armut und Entsagung, römisch im Stolz des Dienens, in der Demut des Befehlens, nicht Rechte von anderen, sondern Pflichten von sich selbst fordernd, alle ohne Ausnahme, ohne Unterschied , ein Schicksal zu erfüllen, das sie in sich fühlen, das sie sind. Ein wortloses Bewusstsein, das den einzelnen in ein Ganzes fügt, unser Heiligstes und Tiefstes, ein Erbe harter Jahrhunderte, das uns vor allen anderen Völkern auszeichnet, uns, das jüngste und letzte unsrer Kultur.
An diese Jugend wende ich mich. Möge sie verstehen, was damit ihrer Zukunft auferlegt wird; möge sie stolz darauf sein, dass man es darf.
1 »Untergang des Abendlandes«, bei Null Papier erschienen. <<<
Die Revolution
Die Geschichte kennt kein Volk, dessen Weg tragischer gestaltet wäre. In den großen Krisen kämpften alle anderen um Sieg oder Verlust; wir haben immer um Sieg oder Vernichtung gekämpft: von Kolin und Hochkirch über Jena und die Freiheitskriege, wo noch auf französischem Boden versucht wurde, durch eine Aufteilung Preußens die Verständigung zwischen dessen Verbündeten und Napoleon zu erreichen, über jene verzweifelte Stunde von Nikolsburg, in der Bismarck an Selbstmord dachte, und Sedan, das die Kriegserklärung Italiens und damit eine allgemeine Offensive der Grenzmächte eben noch abwandte, bis zu dem Gewitter furchtbarer Kriege über den ganzen Planeten hin, dessen erste Schläge eben verhallt sind. Nur der Staat Friedrichs des Großen und Bismarcks durfte es wagen, an Widerstand überhaupt zu denken.
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