Gunter Preuß
NICCOLÒ
und die drei Schönen
pernobilis edition
Bibliografische Information durch Die Deutsche Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Copyright (2014)
pernobilis edition
im
Engelsdorfer Verlag
Alle Rechte beim Autor
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
Die Liebe allein versteht das Geheimnis,
andere zu beschenken
und dabei selbst reich zu werden.
(Clemens Brentano)
Cover
Titel Gunter Preuß NICCOLÒ und die drei Schönen pernobilis edition
Impressum Bibliografische Information durch Die Deutsche Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2014) pernobilis edition im Engelsdorfer Verlag Alle Rechte beim Autor 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
Zitat Die Liebe allein versteht das Geheimnis, andere zu beschenken und dabei selbst reich zu werden. (Clemens Brentano)
1. Teil: Paula Klett
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2. Teil: Imke Liebstöckel
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3. Teil: Niccolò und Rebekka Mandelstern
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Niccolò drückte die Tür des Häuschens hinter sich zu, in dem er mit seiner Mutter und seinem Großvater wohnte. Hüpfend lief er die abschüssige Straße hinunter. Sie führte aus der Siedlung zur kleinen Stadt Scheunitz, die sich am Rand des Auenwaldes lang und schmal hinzog. Auf der einen Seite seines Schulwegs standen Einfamilienhäusern, vor denen hinter niedrigen Zäunen frisch gepflanzte Stiefmütterchen und Primeln dem andauernden Wintergrau bunte Tupfer aufsetzten. Auf der anderen Seite breitete sich ein dunkelerdiges Feld aus, auf dem es grün spross. Am Horizont waren die Spitzen der beiden Hochhäuser der Großstadt L. zu sehen.
Der frühe Morgen war ganz nach Niccolòs Geschmack. Die Sonne stieg wie ein orangefarbener Fesselballon auf. Obwohl der Frühling nach dem Kalender noch nicht begonnen hatte, würde es heute wohl warm werden. Niccolò liebte die Sonne. Aber er mochte auch den Regen. Ihm gefielen die Blumen, die Tiere, und überhaupt das ganze Leben. Doch am meisten liebte er seine Mutter. Gleich danach kam der Großvater. Den dritten Platz hatte bisher sein Freund Ole Grabow eingenommen. Niccolò wusste nur nicht, wie er die drei Schönen, die sich plötzlich in sein Leben gedrängt hatten, einordnen sollte.
Niccolò war zwölf Jahre alt. Bisher hatte er sich wie alle Jungen seines Alters hauptsächlich für die Fußballbundesliga, die Autorennen der Formel 1 und Computerspiele interessiert. Etwas Aufregenderes als ein Championligaspiel zwischen Bayern München und Manchester United hatte er sich nicht vorstellen können. Doch dann hatte sein Herz innerhalb von ein paar Wochen dreimal heftig zu klopfen begonnen. Das Blut war ihm in den Kopf geschossen, als hätte einer seiner brasilianischen Lieblingsfußballer gerade ein Traumtor erzielt.
Den ersten „Schwindelanfall“ hatte er bei der Weihnachtsfeier in der Schule bekommen. Da hatte er noch geglaubt, dass dahinter eine Erkältung steckte und ein plötzliches Fieber ihn verwirrte. Alle Schüler und Lehrer hatten sich vor den Ferien in der Aula versammelt. Die kleine Bühne war weihnachtlich geschmückt. Der Schulchor sang alte und neue Weihnachtslieder. Niccolò hatte leise mitgesungen. Doch dann hatte er nur noch eine Stimme gehört. Hell und weit schwingend, wie Glockenläuten in einer Sternennacht, hatte sie geklungen – „ ... Al-les schläft, ein-sam wacht nur das trau-te, hochhei-li-ge Paar. Hol-der Knabe im lok-ki-gen Haar, schlaf in himm-li-scher Ruh, schlaf in himm-li-scher Ruh! ...“
Er war auf seinen Stuhl gestiegen und hatte die Bühne abgesucht. Die Aufregung hatte ihn heftig schlucken lassen, seine Kehle war trocken, und hinter der Stirn schienen ihn tausend Nadeln zu pieken. Einen Sänger nach dem anderen sortierte er aus, und mit einmal war er sich sicher: Ihr gehörte die traumhafte Stimme! Bevor die Feier zu Ende war, hatte er herausgefunden, wer sie war: Imke Liebstöckel, eine Schülerin der zehnten Klasse.
Nach den Weihnachtsferien, er war noch immer von Imke beeindruckt, da erlitt er den zweiten Schwindelanfall. Die untersten Klassen hatten eine neue Lehrerin bekommen. Die Jungen aus den höheren Klassen schickten scharfe Pfiffe hinter ihr her, wenn sie auf hochhackigen Schuhen, in einem glänzend schwarzen Lederrock und hautengem dunkelrotem Pulli vorbeiklackte. Sie nannten sie, wenn sie unter sich waren, nach dem mexikanischen Vulkan „Señorita Popocatepetl“. Mehr noch als von den anderen äußeren Reizen der neuen Lehrerin, fühlte Niccolò sich von ihren geheimnisvollen dunklen Augen angezogen. Einmal war er ihr ziemlich nahe gekommen, als sie in einer Unterrichtspause über den langen Schulflur durch eine enge Gasse von gaffenden und pfeifenden Jungen gehen musste. Der Stoß Bücher, den sie vor sich hertrug, war ihr aus den Händen gerutscht. Niccolò sprang hinzu und half ihr die Bücher aufzusammeln. Sie knieten einander gegenüber, beim Vorbeugen stießen ihre Stirnen zusammen und sie mussten lachen. Als die junge Frau längst im Lehrerzimmer verschwunden war, atmete Niccolò noch ihren Duft, der ihn in Unruhe versetzte. Die zweite Schöne hieß Rebekka Mandelstern und war erst vor ein paar Jahren von Israel nach Deutschland gekommen. Sie hatte hier studiert und unterrichtete nun an ihrer ersten Schule. Mehr konnte Niccolò erst einmal nicht über sie erfahren.
Keine Woche später war Niccolò zum dritten Mal ins Schlingern gekommen, als wäre er ein winziges Schiff, das auf hoher See in einen Sturm geraten war. Das passierte in der Hofpause. Niccolò und sein Freund Ole waren einem Papierflieger nachgerannt, den der Wind über den Schulhof trieb. Ole, lang aufgeschossen, mit Burattinonase, war plötzlich stehen geblieben, weil er sich wohl schämte, wie ein Erstklässler umherzuhaschen. Doch Niccolò war weitergerannt und hatte in hohen Sprüngen nach dem wirbelnden Papier gegriffen. Dann war er mit irgendetwas zusammengestoßen.
Als er die Augen wieder öffnete, saß er neben Paula Klette auf dem Schulhof. Seit seiner Einschulung ging er mit ihr in dieselbe Klasse. Im Klassenzimmer saß sie eine Reihe vor ihm. In all den Jahren hatten sie nur ein paar Worte miteinander gewechselt.
Paula Klettes Augen rollten zornig hinter ihrer roten Herzbrille.
„He, kannst du denn nicht aufpassen, Rosenbusch!“
„Tut mir leid, Klette. Tut’s denn weh?“
„Du kannst vielleicht dreimal bekloppte Fragen stellen. Das wird bestimmt eine Beule wie ein Riesenkürbis. Warum musst du auch herumspringen wie ein verliebter Affe.“
„Wie springt denn der?“ Niccolò drückte die Faust auf seine schmerzende Stirn. Die zierliche Paula Klette hatte einen ziemlich harten Kopf.
„Der Affe springt gerade so wie du“, sagte Paula und kicherte.
„Aber ich bin überhaupt nicht verliebt“, entgegnete Niccolò.
„Und warum wirst du dann rot wie ein Feuerwehrauto?“
Niccolò stand auf, reichte Paula die Hand und zog sie hoch. Er wünschte „Gute Besserung“ und ging zu Ole, der in der Nähe der Großen stand, um ihre Gespräche aufzuschnappen.
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