Erich Kästner - Emil und die drei Zwillinge
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Erich Kästner
Emil und die drei Zwillinge
Die zweite Geschichte von Emil und den Detektiven
DAS VORWORT FÜR LAIEN
Es gibt Kinder, die ,Emil und die Detektive’ gelesen haben.
Und es gibt Kinder, die das Buch noch nicht gelesen haben.
Die einen will ich im weiteren Verlauf kurzerhand die ,Fachleute’ nennen und die anderen die ,Laien’. Eine solche Einteilung empfiehlt sich, weil ich an jede der zwei Gruppen ein besonderes Vorwort zu richten habe.
"Ordnung muß sein", sagte Onkel Karl und schmiß auch noch den letzten Teller an die Wand.
Es sind tatsächlich zwei Vorworte nötig. Sonst könnte es womöglich geschehen, daß der alte Herr Schlaumeier den zweiten Band heimbringt und daß seine Kinder - also die kleinen Schlaumeier - ganz aufgeregt rufen: "Aber wir haben doch den ersten Teil noch nicht gelesen!" Und dann müßte Herr Schlaumeier senior das Buch sorgfältig wieder einwickeln, in den Buchladen zurückbringen und dort sagen: "Tut mir leid, Herr Buchhändler. Aus dem Geschäft kann nichts werden. Das Buch ist ja der zweite Band."
Sehr geehrte Laien! Auch wer den ersten Band noch nicht kennt, kann den zweiten lesen und verstehen. Verlaßt euch in dieser Angelegenheit ganz auf mich. Ich gehöre, was den Emil Tischbein betrifft, zu den ältesten Fachleuten, die es links und rechts der Elbe gibt.
Da fällt mir übrigens ein, daß ich euch ja schließlich kurz erzählen könnte, worum es sich im ersten Band handelt.
Soll ich? Also gut.
Zuvor muß ich nur die Herren Fachleute bitten, weiterzublättern und gleich das zweite Vorwort aufzuschlagen. Was ich bis dahin erzählen werde, wissen sie längst.
Sehr geehrte Fachleute! Entschuldigt mich eine Weile.
Auf Wiederhören im zweiten Vorwort! Parole Emil!
Der erste Band handelte von der ersten Reise des Neustädter Realschülers Emil Tischbein nach Berlin.
Emil sollte seiner Großmutter hundertvierzig Mark nach Berlin bringen. Aber das Geld wurde ihm in der Eisenbahn gestohlen, während er schlief. Emil hatte einen Mann im Verdacht, der Grundeis hieß und einen steifen Hut trug.
Doch der Junge wußte erstens nicht, ob dieser Herr Grundeis tatsächlich der Dieb war. Und zweitens war Herr Grundeis, als Emil erwachte, nicht mehr im Abteil. - Der Junge war, wie ihr euch denken könnt, sehr verzweifelt.
Am Bahnhof Zoo hielt der Zug. Emil blickte zum Fenster hinaus, sah einen Mann im steifen Hut und rannte, mit seinem Koffer und einem Blumenstrauß bewaffnet, hinter der schwarzen Melone her. Dabei sollte er aber erst am Bahnhof Friedrichstraße aussteigen!
Kinder, Kinder! Die Melone war wirklich Herr Grundeis!
Emil folgte ihm. Der Mann stieg in eine Straßenbahn.
Emil kletterte schleunigst auf den Anhänger. Und nun fuhr der kleine Neustädter Realschüler ohne einen Pfennig Geld durch das riesengroße, fremde Berlin. Er fuhr hinter seinen hundertvierzig Mark her und wußte nicht einmal, ob Herr Grundeis der richtige Dieb war.
Inzwischen wurde Emil von seiner Großmutter und seiner Kusine Pony Hütchen auf dem Bahnhof Friedrichstraße erwartet. Der Zug aus Neustadt kam. Doch wer nicht kam, war Emil! Sie wußten nicht, was sie davon denken sollten.
Schließlich wanderten sie sehr besorgt nach Hause. Das heißt, wandern tat nur die Großmutter. Pony Hütchen fuhr auf ihrem Fahrrad neben der wandernden Großmutter her.
Herr Grundeis stieg auf der Kaiserallee an der Ecke Trautenaustraße von der Straßenbahn und setzte sich auf die Sommerterrasse des Cafe Josty.
(Er hatte selbstverständlich keine blasse Ahnung davon, daß er verfolgt wurde.) Emil stieg ebenfalls aus und versteckte sich hinter einem Zeitungskiosk. Dort sprach ihn ein Berliner Junge an. Und diesem erzählte er, was geschehen war. Der Junge hieß Gustav mit der Hupe. Weil er in der Hosentasche eine Autohupe hatte.
Dieser Junge fegte nun laut hupend durch die Gegend und alarmierte seine Freunde. Mit diesen kam er zu Emil zurück.
Sie hielten einen Kriegsrat ab. Sie gaben ihr Taschengeld her.
Sie gründeten einen Bereitschaftsdienst, eine Telephonzentrale und andere notwendige Unterabteilungen.
Und als sich der ahnungslose Herr Grundeis auf der Kaffeehausterrasse satt gegessen hatte und in einer Autotaxe davonfuhr, fuhren Emil und die □Detektive’ in einer anderen Autotaxe hinterher.
Herr Grundeis nahm im Hotel Kreid am Nollendorfplatz ein Zimmer. Emil und seine Freunde ernannten den Hof des gegenüberliegenden Theaters zu ihrem Standquartier.
Nur Gustav folgte dem Mann im steifen Hut und wurde im Hotel Kreid für einen Tag Liftboy. So erfuhren die Detektive, daß Herr Grundeis am nächsten Morgen um acht Uhr aufstehen wollte.
Na ja. Und als Herr Grundeis am nächsten Tag früh um acht ans Fenster trat, war der ganze Nollendorfplatz voller Kinder!
Aber ich will nicht zu viel erzählen. Wie die Verfolgung weiterging, kann sich jeder richtige Junge an den eigenen Fingern abklavieren. Ich muß nur noch hinzufügen, daß Herr Grundeis tatsächlich der Dieb war und daß er nicht nur Grundeis hieß, sondern mindestens ein halbes Dutzend Familiennamen hatte. Das ist bei besseren Verbrechern bekanntlich immer so.
Jawohl. Und wenn Emil im Zug keine Stecknadeln bei sich gehabt hätte, hätte ihm Kriminalkommissar Lurje die hundertvierzig Mark wahrscheinlich gar nicht zurückgeben können. Die Stecknadeln waren nämlich die Beweise! Aber mehr verrate ich nun wirklich nicht, über die Prämie von tausend Mark zum Beispiel sage ich kein Sterbenswort. Auch nicht über das Denkmal vom Großherzog Karl mit der schiefen Backe oder darüber, wie er eines Tages einen Schnurrbart und eine rote Nase bekam.
Oder über Wachtmeister Jeschke, der hinter Emil mit einer Eisenbahn herfuhr, die von neun Pferden gezogen wurde. - Und daß schließlich Emils Mutter nach Berlin kam, behalte ich auch für mich.
Ein Mann muß, wenn es darauf ankommt, schweigen können.
Ich will nur noch erzählen, daß Emils Großmutter ganz zum Schluß sagte: "Geld soll man nur per Postanweisung schicken."
Sie war, wie ihr seht, eine sehr gescheite alte Frau. Sie war es nicht nur. Sie ist es noch immer. Ihr werdet sie kennenlernen.
Vorher muß ich nur noch das Vorwort für die Fachleute abdrucken lassen.
Ach richtig, die Fachleute!
DAS VORWORT FÜR FACHLEUTE
Zwei Jahre nach Emils Abenteuern mit Herrn Grundeis hatte ich auf der Kaiserallee, an der bewußten Ecke Trautenaustraße, ein höchst seltsames Erlebnis.
Eigentlich wollte ich mit der Linie 177 nach Steglitz fahren.
Nicht, daß ich in Steglitz etwas Besonderes zu erledigen gehabt hätte. Aber ich gehe gern in Stadtvierteln spazieren, die ich nicht kenne und in denen man mich nicht kennt. Ich bilde mir dann ein, ich sei irgendwo in der Fremde. Und wenn ich mich dann so richtig einsam und verlassen fühle, fahre ich rasch wieder heim und trinke in meiner Wohnung gemütlich Kaffee.
So bin ich nun einmal.
Aber aus meiner Steglitzer Weltreise sollte an diesem Tage nichts werden. Denn als die Straßenbahn kam und bremste und ich gerade auf den Vorderwagen klettern wollte, stieg ein merkwürdiger Mann ab. Er hatte einen steifen schwarzen Hut auf und blickte sich um, als habe er ein ziemlich angeschmutztes Gewissen. Er lief rasch an dem Vorderwagen vorbei, überquerte die Straße und ging zum Cafe Josty hinüber.
Ich schaute gedankenvoll hinter dem Mann her.
"Wollen Sie mitfahren?" erkundigte sich der Schaffner bei mir.
"Ich bin so frei", meinte ich.
"Na, dann beeilen Sie sich ein bißchen!" sagte der Schaffner streng.
Aber ich beeilte mich keineswegs, sondern blieb wie angewurzelt stehen und starrte entgeistert auf den Anhängerwagen.
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