Und dann dachte ich: »Koinzidenz.« Und gleich war mir klar, daß Koinzidenz die Antwort auf beide Fragen ist. Der Platz der Dralas in dieser Welt hat etwas mit Koinzidenz zu tun, und das plötzliche Kaltwerden des Wassers war auch Koinzidenz – und zugleich bedeutungsvoll. Ich könnte sagen, es war eine Botschaft von den Dralas, die mir mitteilte, daß »bedeutsame Koinzidenz« die Antwort auf die Frage nach ihrem Ort in der jetzigen Welt enthält. Koinzidenz ereignet sich in einem bestimmten Augenblick, jetzt . Und Wissenschaftler haben absolut nichts über bestimmte Augenblicke zu sagen. Die Wissenschaft ist außerstande, etwas zu irgendeinem bestimmten realen Augenblick zu sagen.
Nun gibt es sicherlich eine ganz handfeste Ursache für das Ausfallen des warmen Wassers heute morgen – wahrscheinlich ist irgendwas mit der Heizanlage nicht in Ordnung. Wissenschaftlich wäre jedoch niemals zu erklären, wie und wieso ausgerechnet an diesem Morgen all die Faktoren zusammenkamen, die einen Ausfall des warmen Wassers bewirkten – an dem Morgen, an dem es so wichtig war, daß mir die Koinzidenz wieder einfiel. Verstehst Du? Da spielt noch etwas anderes mit.
Wie kommt es, daß in diesem bestimmten Augenblick eine bestimmte Erfahrung stattfindet? In dieser Frage ist die Idee der Zeit selbst angesprochen. Wir glauben, daß unser Leben entlang einer universalen Zeitlinie verläuft, die für jeden und überall im Universum die gleiche ist. Nehmen wir uns also einen Augenblick Zeit, um eben diese unser Leben so sehr beherrschende Zeit zu betrachten.
Um seine berühmten Bewegungsgesetze formulieren zu können, nach denen ein von einer Kraft angestoßener Materieklumpen sich bewegt oder die Planeten die Sonne umrunden, mußte Newton einiges voraussetzen. Er mußte voraussetzen, daß es einen feststehenden Hintergrund für alle Bewegungen gibt; er mußte auch annehmen, daß es überall im Universum stets denselben, fixen Hintergrund geben muß, vor dem und dem gegenüber sich alles bewegt. Diesen Hintergrund nannte er »absoluter Raum«. Dieser Raum war leer und passiv, und es gab keinerlei Interaktion zwischen ihm und seinen Inhalten. Er war wie die Bühne, auf der das Schauspiel des Universums spielt.
Außerdem mußte er sich eine universale Zeit vorstellen, die für alle Planeten und alles andere im Kosmos dieselbe war, die aber nicht an irgend etwas im Universum gebunden war. Er nannte sie die »absolute Zeit«.
Vergiß bitte nicht, daß Newton sich diesen Raum und diese Zeit lediglich vorstellte. Er sagte das auch selbst: »Das sind nur Hypothesen.«
Aber nach und nach glaubten die Menschen, Newtons absoluter Raum und die absolute Zeit seien der wirkliche Raum und die wirkliche Zeit der wirklichen Welt, in der wir wirklich leben. Dieser absolute Raum und die absolute Zeit, beide imaginär, sind der Raum und die Zeit, die Du unbewußt mit Dir herumträgst und durch die Du die Welt wahrnimmst – ganz so, wie Du die Welt durch die Fluchtlinien siehst, von denen ich Dir im zweiten Brief geschrieben habe. Dieser absolute Raum und die absolute Zeit bilden die Bühne, auf der, wie wir (und die Wissenschaftler) meinen und wie Newton meinte, die Welt spielt. Auf dieser Bühne, in diesem leeren Raumzeit-Behältnis, haben Wissenschaftler seit Newton ihre Modellwelt ersonnen und aufgebaut. Und sie haben uns eingeredet, dies sei die reale Welt unserer Erfahrung.
Wir reden und denken und wir organisieren unser Leben so, als gäbe es wirklich eine absolute Zeit. Wissenschaftler versuchen ihre Modellwelt so anzulegen, als läge die Zeit außerhalb der Ereignisse in der Welt. Wir haben zu glauben gelernt, daß die absolute Zeit auf einer einzigen geraden Linie von der unendlichen Vergangenheit in die unendliche Zukunft fließt – ohne Schleifen oder Verzweigungen und auch nicht als große Kreisbahn. Unser Leben ist nur ein kurzes Aufblitzen in dieser Zeit. Daran denken wir nicht häufig, denn es ist ein wenig deprimierend. Aber unser Leben ist vollkommen beherrscht von diesem Begriff der absoluten Zeit, die für jeden dieselbe und überall im Universum dieselbe ist. Die Zeit geht ohne uns weiter und wird weitergehen, wenn wir gestorben sind.
Wir empfinden die Zeit als Hintergrund zu allem, was wir tun, zu jedem Augenblick unseres Lebens, sie ist eine Art leeres Behältnis, in dem wir unser Leben unterzubringen suchen. Unsere vage Vorstellung von Zeit ist die einer Linie auf weißem Papier. Wir teilen sie in Jahre, Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden ein. Die Sekunden ticken dahin, und die Zeit geht uns aus. Manche hasten umher und versuchen so viel wie nur eben möglich an Erinnerungen und Gedanken und Bilder unseres Lebens in die Zeit zu stopfen.
Was wir tun, erleben wir eigentlich nicht dann, wenn wir es tun. In jedem Augenblick ändert sich unser Leben, aber wir fühlen es nicht, wir empfinden die Qualität des Augenblicks nicht. Erst am Ende des Tages oder des Jahres blicken wir zurück und ziehen Bilanz, um zu sehen, wie erfolgreich wir waren. Als ich klein war, sagte meine Mutter bei allem, was Spaß machte, immer: »Also, das wird uns eine nette Erinnerung sein, nicht?« So sind wir immer mehr darauf aus, unserem Gedächtnis immer mehr Erinnerungen einzuverleiben – ohne sie wirklich zu erleben. All das ist sehr traurig.
Dabei gibt es in Wirklichkeit keine absolute Zeit außerhalb der wechselnden Ereignisse. Auf keinem Gebiet der Wissenschaft gibt es irgend etwas, das auf die tatsächliche Existenz einer linearen, universalen, objektiven Zeit hindeutete. Die Wissenschaft hat einfach angenommen, daß es diese Zeit gibt, und wir glauben inzwischen an sie und lassen unser Leben von ihr vorwärtspeitschen – häufig bis zum Zusammenbruch. Wir können uns ein Leben ohne sie nicht vorstellen.
Wenn Du jeden Augenblick Deiner sich ändernden Erfahrung einmal genau betrachtest, findest Du außerhalb der Veränderung als solcher nichts, was Zeit genannt werden könnte. Die Zeit ist nicht getrennt von den wechselnden Erscheinungen. Wir messen die Zeit ja sogar anhand von wechselnden Zahlen oder wandernden Zeigern. Auch bei den Atomuhren der Wissenschaftler beruht Zeitmessung auf Veränderung.
Vieles beeinflußt den gegenwärtigen Augenblick. Dabei können auch Einflüsse von außerhalb der geraden und schmalen Linie der absoluten Zeit kommen (die ja, um es zu wiederholen, imaginär ist, eine Erfindung). Und es gibt Phänomene, die dieser Auffassung von Zeit direkt widersprechen. Eines dieser Phänomene nennt man »bedeutsame Koinzidenz«; ein anderes ist die Präkognition, also das Vorherwissen zukünftiger Ereignisse.
Präkognition existiert zwar wie gesagt für die konservativen Wissenschaftskreise nicht, aber tatsächlich ist sie inzwischen durch ernstzunehmende wissenschaftliche Untersuchungen gut dokumentiert. In einem späteren Brief werde ich Dir von ein paar wissenschaftlichen Experimenten erzählen, mit denen sich die Präkognition nachweisen läßt. Hier will ich nur erwähnen, daß Statistiker 1989 die Resultate aller in den letzten fünfzig Jahren zum Thema Präkognition durchgeführten Experimente zusammengetragen und statistisch ausgewertet haben (man nennt das eine Meta-Analyse). Sie bezogen 309 Studien von zweiundsechzig Forschern ein; erfaßt wurden fast zwei Millionen Einzelversuche, an denen über fünfzigtausend Probanden teilgenommen hatten. Die Frage, ob die Präkognition damit alles in allem als nachgewiesen angesehen werden kann, wurde eindeutig mit Ja beantwortet. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Resultate all dieser Experimente durch Zufall zustande kamen, ist 1 zu 10 24(wobei 10 24eine 1 mit 24 Nullen ist).
Sehen wir uns jetzt aber mal ein paar Geschichten über Präkognition an.
Am 12. Oktober 1966 kam in der Grubenstadt Aberfan in Wales eine Kohlenhalde ins Rutschen und begrub eine Schule unter sich, wobei 128 Kinder und sechzehn Erwachsene ums Leben kamen. Am Abend des 20. Oktobers erzählte eine Frau sechs Bekannten von einem Wachtraum, den sie gehabt hatte: »Erst sah ich eine alte Schule in einem Tal, dann einen walisischen Kumpel und dann eine Kohlenlawine, die den Berg herunter kam …« Als sie dies träumte, befand sie sich mehr als dreihundert Kilometer von Aberfan entfernt. Eine andere Person sagte sieben Tage vor der Katastrophe zu zwei Freunden: »Ich hatte einen grauenhaften Traum von einer furchtbaren Katastrophe in einer kleinen Zechenstadt. Das war in einem Tal mit einem großen Gebäude voller Kinder. Berge von Kohle und Wasser kamen das Tal heruntergestürzt und begruben das Gebäude. Die Schreie der Kinder waren so echt, daß ich selber schrie.«
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