Descartes, Galilei und Newton waren hervorragende Köpfe. Versteh mich also nicht falsch: Ich sage nicht, sie wären Dummköpfe gewesen oder hätten aus schlechten Motiven heraus gehandelt. Mit ihrer Klarheit und Verstandeskraft räumten sie überholte Glaubenssätze beiseite, die von nichts als starrem Autoritätsdenken und der Weigerung hinzusehen getragen waren. So konnten sie einer autoritären Kirche, der alle echte Spiritualität längst verlorengegangen war, die Macht nach und nach entreißen.
Nur bahnten sie eben auch einen Weg, der dazu führte, daß die Welt als gänzlich von mechanischen Gesetzen wie dem der Schwerkraft beherrscht angesehen wurde. Die Sphären und Intelligenzen Thomas von Aquins brauchte man nicht mehr, weil Newtons Gesetze für die Erklärung der Planetenbewegungen ausreichten. Und mit diesen alten »vorwissenschaftlichen« Erklärungen erübrigten sich auch die Prinzipien des Sympathiezaubers, der Korrespondenzen zwischen Körper und Natur, des geistigen Heilens und so weiter. Man verwarf sie nicht, weil Newton oder irgendwer bewiesen hätte, daß sie nicht existieren, sondern weil sie in der neuen mechanischen Welt, von der die Wissenschaftler träumten, irgendwie störten.
In dem Jahrhundert nach Newton dehnte man den mechanistischen Gedanken auf sämtliche Bereiche des Lebens aus – Geschichte, Ökonomie, Politik, Gesellschaftstheorie, Psychologie, Biologie, Physik, Medizin, Architektur, Religion und so weiter. Die Menschen glaubten – oder hofften zumindest –, man werde früher oder später für alle Bereiche des menschlichen Lebens Gesetze ähnlich den newtonschen Gesetzen der Schwerkraft entdecken. Dieses Denken beherrscht uns auch heute noch weitgehend.
Das Universum war jetzt kein lebendiger, vollständiger Organismus mehr, sondern wurde ein lebloses Vakuum mit Klumpen lebloser Materie darin. In dem uns erfahrbaren Universum gab es nirgendwo Geist, und in dieser neuen und aufregenden, aber furchtbar verarmten Sicht der Welt bedurfte es auch keines Geistes mehr.
Dem Leiter eines großen deutschen kernphysikalischen Instituts habe ich einmal ein paar Befunde der Präkognitionsforschung geschildert (von denen ich Dir in einem späteren Brief noch erzählen werde). Ich hatte den Eindruck, daß diese Experimente besonders sauber durchgeführt worden waren und verläßliche Resultate erbracht hatten. Im Gespräch mit diesem Wissenschaftler fragte ich mich nun laut, welche Wege die Physik wohl gehen müsse, um auch solche Beobachtungen erfassen zu können. Er war ein freundlicher, netter Mann, der sich auch für Meditation interessierte, weil sie, wie er sagte, »der experimentellen Methode folgt: schau hin und überzeuge dich selbst«. Die Antwort, die er mir jetzt gab, überraschte mich daher: »Von ein paar Dingen wissen wir einfach, daß es sie nicht gibt, und Präkognition ist eins von ihnen. Deshalb ist experimentelle Beobachtung in diesem Fall gegenstandslos.« Anstatt also seine Annahmen vom Beobachteten beeinflussen zu lassen, benutzte er seine Annahmen, um das Beobachtete zu verneinen.
Auch sogenannte »Fakten« sind letztlich kein Maßstab für Realität. Ob eine Gruppe von Wissenschaftlern etwas als Fakt akzeptiert, hängt von der Gruppenentscheidung des Clubs der Wissenschaftler ab, und die wiederum beruht auf der Theorie, an die sie gegenwärtig gerade glauben. Sie sind zu Mitgliedern dieses Clubs ausgebildet worden und wissen ganz einfach, was als Fakt zu akzeptieren und was als Fiktion zurückzuweisen ist. Auch hier kann wieder eine Beobachtung zum Phänomen der Präkognition als Beispiel dienen. Solche Beobachtungen werden gar nicht erst als physikalische oder neurowissenschaftliche Fragen zugelassen. Sie gelten nicht als Fakten, und zwar deshalb, weil Physiker und Neurowissenschaftler die Abmachung getroffen haben, daß es Präkognition nicht geben kann und man deshalb gar nicht erst hinsehen muß.
Wissenschaftler neigen genauso wie andere Menschen dazu, in ihre Beobachtungen all die Vorurteile einfließen zu lassen, mit denen sie groß geworden sind – die Vorurteile, die wir in diesen Briefen untersuchen. Ohne es selbst zu merken, wählen sie ihre Beobachtungen so aus, daß ihre Vorurteile weiter verstärkt werden. Was für Theorien sie formulieren, was für Beobachtungen sie zur Untermauerung dieser Theorien anstreben und wie sie diese Beobachtungen interpretieren – all das ist von ihren unbewußten Annahmen bestimmt. Unbewußte Annahmen beeinflussen uns sehr weitgehend, auch wenn wir wissenschaftlich ausgebildet wurden.
Heute empfinden wir das mechanistische Weltbild als normal. Dennoch ist es eigentlich nicht schwierig, sich beispielsweise die Erde als lebendigen Organismus vorzustellen – nicht schwieriger als die Vorstellung, sie sei ein toter Gegenstand, den man ausbeuten kann. Die Durchsetzung dieser logischen Ordnung schließt eine ganze Welt aus der Rechnung aus, die Welt der inneren Wirklichkeit und der Intuition. Harmonie und das Leben in einer heiligen Welt sind möglich. Wir sind keine rein logischen und rationalen, keine emotionslosen Wesen, die alles durch objektive Analyse verstehen können. Unser Leben ist voller Widersprüche – wir kennen die Haßliebe, und manchmal befreit uns gerade das, was uns am meisten schreckt. Unsere tiefsten und bedeutsamsten Erfahrungen haben etwas mit dem Empfinden einer lebendigen, unsichtbaren Tiefe und mit Resonanzen aus dieser Tiefe zu tun.
Die Entzauberung der Welt ist sehr traurig und der Grund dafür, daß unser Leben uns manchmal so trostlos und tot vorkommt. Aber wir können auch nicht in die vortechnische Welt des Mittelalters zurück. Es nützt auch nichts, die zwar begrenzten, aber doch gültigen Entdeckungen der Naturwissenschaft oder die Kraft des logischen Denkens zu leugnen. Aber wir können über unsere eigenen finsteren Zeiten hinausgehen und die verzauberte Welt wiederentdecken, ohne die positiven, pragmatischen Seiten der Wissenschaft abzulehnen, die sich unserer Denk- und Betrachtungsweise mitgeteilt haben.
5. Brief
Die verzauberte Welt existiert jetzt
Liebe Vanessa,
gestern habe ich Dir ein bißchen über Geschichte geschrieben. Ich habe erzählt, wie uns die verzauberte Welt vergangener Zeiten verlorenging. Von Galilei, Newton und Descartes war die Rede, und wenn man jetzt all die erstaunlichen Dinge hinzunimmt, die die Wissenschaftler seit jener Zeit entdeckt haben, bist Du vielleicht ein wenig ratlos und fragst Dich: »Gibt es denn irgendwo in der Welt noch Platz für Geist, Bewußtsein, Gefühl oder Seele, für all das, was die Menschen einst empfunden haben und wovon sie sprachen? Haben Geister, Götter, Engel, Kami, Dralas und all die anderen Wesen noch einen Ort, an dem sie sein können?«
Laß mich Dir etwas Merkwürdiges erzählen, etwas, das ich heute morgen erlebt habe. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht mit dem Gedanken, daß ich uns am Ende meines gestrigen Briefes vielleicht in die gleiche Falle geführt habe, in die auch unsere Gesellschaft getappt ist: zu vergessen, daß die Wissenschaft lediglich Geschichten erzählt, und am Ende die Geschichten zu glauben, die den Geist aus dem Universum zu verbannen scheinen. Ich schlief danach nicht allzu gut, denn mich beschäftigte die Frage, wie ich uns aus dieser Falle wieder herausbekomme. Beim Aufwachen heute morgen hatte ich immer noch dieses Gefühl.
Ich ging dann erst mal duschen, und als ich mir den Kopf gerade so richtig eingeseift hatte, wurde das Wasser ohne Vorwarnung plötzlich kalt. Ich habe mich schnell kalt abgespült, abgetrocknet, angezogen und dann Frühstück gemacht. Dabei überlegte ich, wie ich am besten erklären könnte, daß in der Welt, die die Wissenschaft hervorgebracht hat, ganz sicher noch Platz für Götter oder Drala-Energien ist. Zugleich ging mir aber der Gedanke nicht aus dem Kopf, weshalb das warme Wasser gerade an diesem Morgen ausgegangen war.
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