Mark Coleman bedient sich eines dynamischen Geflechts aus Achtsamkeit, Selbstmitgefühl und wirkungsvollen therapeutischen Strategien, die tausenden von Menschen halfen, zu echter Selbstliebe und ihrem intrinsischen Gutsein zu finden. Die Weisheit von Jahrzehnten fachkundiger Arbeit steckt in diesem Buch – und weist einen Weg, der die Beziehung zu unserem inneren Wesenskern radikal transformieren wird.
Mit diesem klar und eingängig geschriebenen Buch halten Sie einen Begleiter und Unterstützer auf dem Weg heraus aus dem Gefängnis der Minderwertigkeitsgefühle und mangelnder Selbstachtung in den Händen. Bitte machen Sie sich das Geschenk des ersten Schrittes, vertiefen Sie Ihre Liebe zu dem Leben, das jetzt und hier zu finden ist. Wenn Sie sich auf die Unterweisungen und Meditationsübungen einlassen, werden Sie zu einem so offenen und weiten Herzen finden, dass Sie alles Leben überall umarmen.
Mit Liebe und Segen,
TARA BRACH
EINFÜHRUNG
WIE ICH DEN INNEREN KRITIKER ENTDECKTE UND EINEN AUSWEG FAND
Ich arbeite frühmorgens, bevor mein garstiger Zensor aufsteht – er erhebt sich gegen Mittag. Bis dahin habe ich einen Großteil meiner Tagesarbeit geschafft.
VIRGINIA WOOLF
Als junger Mann um die Zwanzig hatte ich eine Menge Wut in mir. Ich war Punkrocker, Anarchist und ständig auf der Suche nach Zielscheiben für meinen Zorn. Der Punkrock und die Anti-Establishment-Bewegung im politischen Untergrund in London waren die idealen Ventile für meinen Zorn. Dieser richtete sich vor allem gegen die Regierung, gegen die großen Konzerne und gegen die Ungerechtigkeit. Leichte Ziele, könnten Sie sagen.
Was mir nicht klar war, war, dass ich unbewusst selbst zur Zielscheibe meines Hasses wurde. Mein Kopf war voller Selbstgeißelungen, ich hielt mich nie für gut genug, für tüchtig genug. Die Melodie der Unzulänglichkeit war das Mantra, das sich unentwegt in meinem Kopf abspielte. Jede Entscheidung, alles, was ich tat, war aus der Sicht meines inneren Kritikers entweder verkehrt, dumm oder vergeblich.
Vieles von dem, was man mir beigebracht hatte anzustreben oder zu wollen, lehnte ich ab – akademischen Erfolg, Status, Wohlstand, sogar die Entspannungsdrogen, mit deren Hilfe meine Freunde sich berauschten. Aber ich suchte trotzdem. Allerdings gestaltet sich eine Suche immer schwierig, wenn man nicht genau weiß, wonach man sucht. Manchmal aber erinnert uns das Leben daran, dass die Antwort näherliegt, als wir glauben. Das geschah, als ich der Achtsamkeitsmeditation begegnete; ich traf sie buchstäblich um die Ecke des Hauses, das ich illegal besetzt hatte. Dort sollte ich die Antworten finden, nach denen sich meine Seele sehnte.
Meine innere Reise begann, als ich in etwas hineinstolperte, was seinerzeit – 1984 – noch ziemlich selten war: ein Meditationszentrum. Mitten im heruntergekommenen Londoner East End. In dem Moment, in dem ich das Zentrum betrat, spürte ich, dass die Menschen dort etwas Besonderes an sich hatten. In ihren Augen und in der Art, wie sie sich bewegten und redeten, war so eine Klarheit, eine Gelassenheit und Zielstrebigkeit. Es waren Qualitäten, die die meisten Menschen meiner Umgebung vermissen ließen. Ich hätte nicht sagen können, was genau es war, aber ich wusste unmittelbar, dass ich es dringend wollte und brauchte.
Dies war der Ort, wo ich meinem ersten „Werkzeugkoffer“ in die Hand bekam. Und damit meine ich keine gewöhnlichen Werkzeuge, sondern eine Reihe von Fähigkeiten, die ganz anders waren als alles, was ich kannte. Es war ein Werkzeugkoffer für den Verstand.
Bis zu diesem Moment hatte ich nie darüber nachgedacht, meine Aufmerksamkeit nach innen zu richten. Mir wäre nie eingefallen, in mich hineinzuschauen, um herauszufinden, warum ich unglücklich war, und was mich mental so quälte. Ich war zu beschäftigt damit, nach außen zu schauen, nach jemandem oder etwas, dem ich die Schuld geben konnte. Doch nun sollte ich diese Wendung nach innen kultivieren.
Achtsamkeitsmeditation führt, wie ich herausfand, zu einer Bewusstheit und fokussierten Klarheit, mit der wir erkennen, was im Körper und im Geist geschieht. Sie befähigt uns, all die Gedanken und Stimmen in unserem Kopf zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Sie hilft zu erkennen, wo die wirklichen Wurzeln unseres Leidens liegen und wie die Probleme, die es verursacht, zu lösen sind. Was ich entdeckte, war befreiend – wirksamer als jede Pille, Philosophie oder andere vermeintliche Wundermittel. Und es funktionierte viel besser als alle Auflehnung gegen die Gesellschaft.
Also was war in jenem Koffer und warum war es so hilfreich? Zu Beginn lernte ich, dass wir zwei wesentliche Fähigkeiten brauchen, um durch die inneren und äußeren Stürme des Lebens zu navigieren: Bewusstheit und Mitgefühl. Sie sind wie die zwei Flügel eines Vogels, ohne die er unmöglich fliegen kann.
Bewusstheit und Gewahrsein entstehen durch das Praktizieren von Achtsamkeit, wobei die Aufmerksamkeit und das Einsichtsvermögen trainiert werden. Mitgefühl bewirkt, dass wir uns selbst und dem Leben insgesamt mit Freundlichkeit, Güte und Anteilnahme begegnen. Nachdem ich zwanzig Jahre lang mit Menschen überall in der Welt gearbeitet habe, sehe ich, wie wichtig warmherziges Mitgefühl ist. Es gibt so viel Schmerz und Leid in der Welt. Und es macht traurig, Menschen zu sehen, die das Elend noch vergrößern, indem sie sich selbst unnötig quälen. Es ist die Liebe in unseren Herzen, die uns verwundbar genug macht, um zu erkennen, welche Bürde wir tragen. Die Liebe gibt uns eine leise Kraft, die es ermöglicht, den Kritiker in Schach zu halten, unseren Schmerz sanft zu ertragen und uns auf die Reise zur Heilung zu begeben.
Als ich mir diese Flügel zugelegt hatte, hieß das noch lange nicht, dass ich auch gleich fliegen konnte. Wie alles im Leben vollzieht sich wirkliche Veränderung nach und nach. Aber diese beiden Qualitäten lehrten mich allmählich, wie ich den Fokus der Aufmerksamkeit nach innen, auf meinen eigenen Geist und mein Herz richten konnte, freundlich und mit Klarheit – und das ist nicht so leicht, wie es klingt. Wie die Schriftstellerin Anne Lamott 1einmal schrieb, „Meine Gedankenwelt bleibt eine üble Nachbarschaft, in die ich mich möglichst nicht allein begebe.“
Was entdeckte ich, als ich begann, nach innen zu schauen? Ich sah, dass ich mich dauernd selbst irgendwie bestrafte. Ich erkannte, wie grausam und erbarmungslos ich mit den eigenen Schwächen und Unsicherheiten umging. Ich sah, wie ich alles, was ich sagte und tat, be- und verurteilte. Und jedes Mal, wenn ich etwas Neues ausprobierte, spürte ich gleich zu Beginn die unlogische Erwartung, dass ich perfekt darin sein müsse. Anstatt ein Vermasseln und In-die-Irre-Gehen als wesentlich für den Lernprozess zu akzeptieren, schalt und maßregelte ich mich innerlich in einer Tour. All das brachte mich zu der Erkenntnis, dass mein innerer Zensor und Kritiker mein Leben ins Elend manövrierte. Wenn ich weiter auf ihn hörte, würde ich mich auch weiterhin hoffnungslos, wütend, unwürdig und depressiv fühlen.
Und dann, als ich die Werkzeuge der Achtsamkeit und des Mitgefühls in die Hand nahm, begann der langsame Prozess, die kritischen inneren Stimmen auszudünnen und damit auch die unmöglich hohen Ansprüche und Maßstäbe, die sie mir einflüsterten. Es begann damit, dass ich mich nicht mehr so stark von den Attacken des inneren Kritikers beeinflussen ließ. Ich sah nicht nur das Licht am Ende des Tunnels, sondern, viel wichtiger, das Licht war direkt vor mir, es leuchtete aus der Strahlkraft meiner eigenen Bewusstheit. Bewusstheit und Gewahrsein waren die Scheinwerfer auf meinem Weg der Entdeckung und der Schlüssel, um das in mir lodernde Feuer einzudämmen.
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