Deshalb ist es an der Zeit, Abschied von einer rein immanenten Geschichtsdeutung zu nehmen, die sich letzthin in einer Rekonstruktion der Vergangenheit erschöpft, nachdem alle Versuche einer historischen Sinngebung – bis in die Theologie hinein – gescheitert sind. Und wenn das Zweite Vatikanische Konzil in seiner dogmatischen Konstitution über die Kirche diese wiederholt als »dieses messianische Volk« (vgl. Cap. 2,9) bezeichnet, dann hat auch endlich die heutige Theologie die Geschichte im Spannungsbogen zwischen der messianischen Gegenwart Jesu Christi und ihrer eschatologischen Vollendung in der Wiederkunft Christi zu deuten, ganz wie es im Neuen Testament grundgelegt ist. Die derzeitige Krise der Kirche in der westlichen Welt beruht nicht zuletzt darauf, dass ihr Zusammenhang seit geraumer Zeit überhaupt nicht mehr gesehen wird, sieht man einmal von wenigen Ausnahmen ab. Wir sind vor Jahren nicht zuletzt durch die einschlägigen Arbeiten Erik Petersons angeregt worden, jenem Zusammenhang nachzugehen; doch bereits vor vier bis drei Jahrzehnten haben uns die Überlegungen des jüdischen Philosophen Walter Benjamin zum »Einstand von Moderne und Apokalypse« auf die Spur einer theologischen Deutung der Moderne gebracht. Denn nicht allein die Menschen in der kriegsneutralen Schweiz der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren an einer theologischen Deutung der Vorgänge in der Gegenwart interessiert. Vielmehr waren die Zeichen der Zeit längst absehbar, wie die folgenden vier Aufsätze belegen mögen, die sich auf den Zeitraum von 1834 bis 1936 beziehen; also gut ein Jahrhundert umfassen, das die Geschichte grundlegend verändern sollte. Kaum ein Zufall, dass es sich bei dem Gegenstand der betreffenden Aufsätze um Gedanken aus dem ästhetischen Bereich handelt, gewissermaßen um Vorausbilder der heraufziehenden Wirklichkeit, insofern nach einem Wort Kafkas die Kunst eine Uhr ist, die vorgeht, während die Theologie, der eigentlich die Aufgabe zufiele, die Zeichen der Zeit zu deuten, seit geraumer Zeit eher wie ein erschöpfter Läufer abgeschlagen hinterherhinkt oder dem jeweiligen Zeitgeist hinterherhechelt.
Man muss jedoch nicht aus dem Geist des Evangeliums auf irgendwelche lärmende Parolen des Zeitgeschehens »abfahren«, um in Erfahrung zu bringen, was die Stunde geschlagen hat. Im Schweigen der Kunstwerke, ihrer Deutungen oder von Tagebuchaufzeichnungen, die für keine Veröffentlichung bestimmt waren, werden wir eines anderen Schweigens inne. Oder wie der heilige Ignatius von Antiochien († nach 107), dessen wenige Briefe nach einem Diktum Petersons etwas von dem Flammenden der Bilder El Grecos haben, es einmal in seinem Brief an die Epheser ausdrückt: »Wer das Wort Jesu besitzt, kann wirklich auch seine Stille hören.«
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