Einige dieser Bäder gebrauchen, wie schon gesagt, Manns- und Frauenpersonen zugleich, wenn sie untereinander durch Bande des Bluts oder der Freundschaft verbunden sind. Mancher besucht täglich drei bis vier solcher Bäder und bringt da den grössten Teil seines Tages mit Singen, Trinken und nach dem Bade mit Tanzen zu. Selbst im Wasser setzen sich einige hin und spielen Instrumente. Nichts aber kann reizender zu sehen oder zu hören sein, als wenn eben mannbare oder schon in voller Blüte stehende Jungfrauen mit dem schönsten offenen Gesicht, an Gestalt und Benehmen Göttinnen gleich, in diese Instrumente singen, ihr leichtes zurückgeworfenes Gewand auf dem Wasser schwimmt und jede eine andere Venus ist. Dann haben sie die artige Sitte, wenn Männer ihnen von oben herab zusehen, sie scherzweise um ein Almosen zu bitten. Da wirft man, zumal den Hübschen, kleine Münzen zu, die sie mit der Hand oder mit dem ausgebreiteten Linnengewand auffangen, indem eine die andere wegstösst, und werden bei diesem Spiel eben nicht selten auch die geheimeren Schönheiten enthüllt. Ebenso wirft man ihnen auch aus allerlei Blumen geflochtene Kränze hinab, mit denen sie sich das Köpfchen schmücken. 30
Diese vielfältige Gelegenheit, das Auge zu ergötzen und den Geist zu ermuntern, hatte einen so grossen Reiz für mich, dass ungeachtet ich selber täglich zweimal badete, ich noch die übrige Zeit mit dem Besuch anderer Bäder zubrachte und ebenfalls Münzen und Kränze hinunterwarf wie die anderen. Denn unter diesem immerwährenden Geräusch und Klang und Gesang war da weder zum Lesen noch zum Denken Zeit. Und hier allein weise sein wollen, wäre die grösste Torheit gewesen, zumal für einen, der kein selbstpeinigender Menedem und dem nichts Menschliches fremd ist. Zur höchsten Lust mangelt freilich noch die Unterhaltung durch Gespräche, die denn doch unter allen die vorzüglichste ist. Mir blieb also nichts übrig, als die Augen an den Schönen zu weiden, ihnen nachzugehn, sie zum Spiele zu führen und wieder zurückzugeleiten. Auch war zum näheren Umgange Gelegenheit da und so grosse Freiheit dabei, dass man sich eben um die gewohnte Stufenleiter der Bewerbung um Gunst und Zuneigung nicht zu bekümmern brauchte. Ausser diesen Vergnügungen gab es dann noch eine andere von nicht geringem Reize. Hinter den Höfen, allernächst dem Flusse, liegt nämlich eine grosse, von vielen Bäumen beschattete Wiese. Hier kommt nach dem Essen jedermann zusammen und belustigt sich mit Gesang, Tanz und mancherlei Spielen. Die meisten spielen Ball, aber nicht wie bei uns, sondern Manns- und Weibspersonen werfen sich, jedes dem, den es am liebsten hat, einen solchen Ball zu, worin viele Schelten sind. Alles läuft zu, ihn zu haschen; wer ihn bekommt, hat gewonnen und wirft ihn wieder seinem Geliebten zu, alles streckt die Hände empor, ihn zu fangen, und wer ihn hält, tut, als ob er ihn bald dieser, bald jener Person zuschanzen wollte. So viele andere tausend lustige Ergötzlichkeiten muss ich der Kürze wegen übergehen und gab Dir nur das Pröbchen von einigen, um Dir einen Begriff zu machen, was hier für eine grosse Gesellschaft von Epikuräern sei. Bald glaube ich, da sei der Ort, wo der erste Mensch geschaffen worden, den die Hebräer «Gan Eden», d. i. den Garten der Wollust, nennen; denn falls anderes uns diese Glückseligkeit verschaffen kann, so sehe ich nicht, was dem Orte hier fehlte, um solche vollkommen zu gewähren.
Fragst Du mich denn, Freund, weiter, zumal nach der Kraft des hiesigen Wassers, so ist dieselbe eben sehr verschieden und mannigfaltig, in einigen Stücken aber besonders gross und fast göttlich. Denn auf der ganzen Welt, glaube ich, ist kein Bad, welches mehr die weibliche Fruchtbarkeit fördert. Kommt eine Frauensperson hierher, deren Leib verschlossen ist, so erfährt sie bald die bewunderungswürdige Wirkung dieser Bäder, wenn sie nur geflissen die Mittel anwendet, welche die Kunst den Unfruchtbaren vorschreibt.
Unzählbar ist übrigens die Menge der Vornehmen und Gemeinen, die, nicht sowohl der Kur als des Vergnügens wegen, von hundert Meilen weit hier zusammenkommen. Alle die lieben, alle die heiraten wollen oder wer sonst das Leben im Genusse setzt, strömen hierher, wo sie finden, was sie wünschen. Viele geben körperliche Leiden vor und sind nur am Gemüte krank. Da sieht man hübsche Frauen die Menge, die ohne ihren Mann, ohne Verwandte, nur in Begleitung zweier Mägde und eines Dieners hier anlangen, oder etwa ein altes Mütterchen von Muhme, die sich leichter hintergehen als bestechen lässt. Jede aber zeigt sich so viel als möglich in Gold, Silber und Edelstein, sodass man denken sollte, sie wären nicht ins Bad, sondern zu der prächtigsten Hochzeit gekommen. Auch Nonnen oder, richtiger zu reden, floralische Jungfrauen, Äbte, Mönche, Ordensbrüder und Priester leben hier noch in grösserer Freiheit als alle übrigen. Letztere baden sich wohl gar mit dem Frauenzimmer, schmücken ihr Haar mit Kränzen und vergessen allen Zwang ihrer Gelübde. Alle nämlich haben einerlei Absicht, Traurigkeit zu verbannen, Vergnügen zu suchen, keinen Gedanken zu haben, als wie sie das Leben und seine Freuden geniessen mögen. Keiner bemüht sich, dem Gemeinschaftlichen etwas zu entziehen, vielmehr sucht jeder das Besondere allgemein zu machen. Und zum Erstaunen ist es, wie bei einer so grossen Menge (es mögen immer an die tausend Menschen da sein), bei so verschiedenen Sitten, in einem so freudentrunkenen Gemisch keine Händel, kein Zwist, kein Schimpfwort, kein Murmeln noch Beschweren des einen über den andern entstehen. Da sehen Männer, wie mit ihren Weibern getändelt wird, und treffen sie mit einem wildfremden Mann unter vier Augen an; das alles bewegt sie nicht, sie wundern sich über nichts und glauben, dass alles auf die eingezogenste Art, im Vertrauen des redlichsten Hausfreundes geschieht. So ist der Teufel der Eifersucht, der anderswo alle Männer plagt, hier ein unerhörter Gast, und da sie die Sache nicht kennen, auch dem Namen nach unbekannt. Sitten, wie unähnlich den unsrigen! Wir Welsche sehen alles von der schlimmsten Seite an und finden an Verleumden und Verkleinern Geschmack, dass, wo der schwächste Schein zum Argwohn ist, wir sofort auf die schwärzesten Verbrechen schwören. Schon mehr als einmal habe ich daher die unzerstörbare Gemütsruhe dieser guten Menschen beneidet und dagegen unsere verkehrte Denkart verwünscht, die wir immer klagen, immer begehren, durch keinen Gewinn befriedigt, durch keinen Wucher gesättigt, Himmel und Erde umkehren wollen, um nur Geld zu erwerben. Da werden wir von ewigem Kummer und Angst umhergetrieben und erbeben meist vor erst künftigem Elend. Um nicht unglücklich zu werden, hören wir nie auf, unglücklich zu sein, starren mit unverwandtem Blick unseren Mammon an und wissen weder dem Leib noch dem Geist gütlich zu tun. Diese Glücklichen hingegen, mit Wenigem vergnügt, leben nur für heute, machen sich jeden Tag zum Feste, verlangen nicht nach Reichtum, der ihnen wenig nützen kann, freuen sich dessen, was sie haben und zittern nie vor der Zukunft. Begegnet ihnen Widriges, so tragen sie es mit Geduld, und ihr grösster Schatz ist der Wahlspruch: Der lebte, der sein Leben genoss!
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