EINLEITUNG
DER HERAUSGEBER
Der Begriff der «Badenfahrt», zwar seit dem späten Mittelalter im Gebrauch, ist aufs Engste mit dem 1818 erschienenen gleichnamigen Buch des Zürchers David Hess verbunden. Hess hat mit seinem umfangreichen Werk quasi den Prototyp einer Badekur in Baden beschrieben und gleichzeitig ein historisches Sittengemälde der Stadt und ihrer Zeit verfasst.
Auf dem Beckenhof, dem väterlichen Landgut in Zürich, wurde David Hess am 29. November 1770 geboren. Wie sein Vater Johann Rudolf Hess schlug der 17-Jährige eine Offizierslaufbahn ein, ein typischer Karriereweg für Söhne des Zürcher Patriziats. Als Mitglied eines Schweizer Regiments in holländischen Diensten erlebte er den Ersten Koalitionskrieg und die französische Besatzung der Niederlande. Der Französischen Revolution, die 1798 auch zur Umgestaltung der Schweiz führte, stand er ablehnend gegenüber. Immer näher gegen die Schweiz habe der «verheerende Strom der Revolution seine trüben Fluten aus Frankreich» hingewälzt, schreibt Hess in der «Badenfahrt». 1796 kehrte er in die Heimatstadt zurück, wo er während der Mediations- und Restaurationszeit im Grossen Rat sass. Das väterliche Erbe ermöglichte es ihm, als «tätiger Müssiggänger» seiner dichterischzeichnerischen Doppelbegabung nachzugehen. Bereits als Jugendlicher hatte er beim Zürcher Maler Heinrich Freudweiler das Zeichnen gelernt; in Den Haag liess er sich von holländischen und englischen Karikaturen etwa eines James Gillray inspirieren. So verarbeitete er den französischen Einmarsch in die Niederlande 1795 in einer Serie von 20 Karikaturen mit dem Titel Hollandia regenerata, die wenig später in England erstmals gestochen wurde. Die politische Karikatur war dem konservativen Hess eine «Geissel des Spottes», mit der er die politischgesellschaftlichen Verhältnisse der napoleonischen Zeit und der Regeneration kritisierte. Neben Zeichnungen, Radierungen und Aquarellen schuf Hess als Autor ein umfangreiches Werk, das Gedichte, Erzählungen, Essays und Biografien umfasst. Er starb am 11. April 1843 in Zürich.
Als David Hess ab 1805 regelmässig nach Baden zur Badekur fuhr, steckte der Bäderort in einer Krise. Seine grosse Zeit als traditionelles Heilbad war vorbei, der Wiederaufstieg zur internationalen Tourismusdestination stand noch bevor. Im Spätmittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit war Baden der wichtigste Heilkurort nördlich der Alpen. Der europäische Adel und die Eliten der eidgenössischen Orte reisten nach Baden. Diese «Badenfahrten» dauerten meist sechs bis acht Wochen und bestanden neben der eigentlichen Kur in den Thermalbädern aus einem regen gesellschaftlichen Leben. Im 16. Jahrhundert konnten die Badener Gasthöfe gleichzeitig 500 bis 700 Personen beherbergen; während der sechsmonatigen Badesaison dürften jährlich mehr als 2000 Kurgäste nach Baden gereist sein. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts stagnierte der Bäderort. Kriege, neue Konkurrenz im In- und Ausland, mangelnde Investitionen in die Infrastruktur, die teilweise Zerstörung der Stadt durch die Eidgenossen 1712 und die Verlegung der Tagsatzung von Baden nach Frauenfeld, später auch die Einquartierung napoleonischer Truppen liessen vor allem ausländische Gäste ausbleiben. Baden blieb sein Schweizer Stammpublikum, vorab Angehörige der Zürcher Oberschicht wie David Hess. Dieser spart denn auch nicht mit Kritik am Zustand der Bäder und meint etwa, die meisten Häuser des Hinterhofs, des damals neben dem Staadhof wichtigsten Badener Gasthofs, seien «im Laufe der Jahre in allmählichen Verfall geraten» und würden «die Bedürfnisse der Zeit nicht mehr befriedigen». In den 1820er- und 1830er-Jahren, wenige Jahre nach dem Erscheinen von Hess’ «Badenfahrt», setzte im Bäderquartier allerdings ein Modernisierungsprozess ein. Die Infrastruktur wurde den veränderten Ansprüchen der medizinischen Kur und der Gäste angepasst, viele noch aus dem Mittelalter stammenden Gasthäuser wichen komfortableren Neubauten. Die vormals elitäre «Badenfahrt» wandelte sich allmählich zu einem touristischen Massenphänomen. 1913, auf dem Höhepunkt des Booms, zählte Baden 149 000 Logiernächte. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs läutete den neuerlichen Abstieg der Bäder zu Baden ein, und mit Blick auf die Gegenwart fragt sich, ob dem Bäderquartier mit dem Neubau von Stararchitekt Mario Botta eine Renaissance bevorsteht.
1815 stellte David Hess das Manuskript der «Badenfahrt» fertig. Der 586-seitige Band, der sich in der Zentralbibliothek Zürich befindet, beinhaltet die farbigen Bilder mit Ansichten von Baden und seiner Umgebung, die von Hess zusammen mit seinem Sohn Adolf und seinem Schwager Peter Vischer gezeichnet und für die Druckausgabe von Franz Hegi gestochen wurden. Gedruckt wurde das Werk bei der Verlagsbuchhandlung Orell, Füssli & Co. in Zürich. Die Herstellung des Buchs war ein anspruchsvolles Unterfangen und dauerte rund eineinhalb Jahre ab Dezember 1816. Wie aus der Korrespondenz Hess’ mit dem Verlag hervorgeht, sollte das Buch ursprünglich bis im Frühjahr 1817 fertiggestellt werden. Vorgesehen war, das Werk auf 25 Bogen à 24 Seiten zu drucken, wobei wöchentlich mindestens ein Bogen hergestellt werden sollte. Der Verlag wechselte jedoch auf Bogen von 16 Seiten. Wegen des grösseren Formats und knapper Produktionskapazitäten verzögerte sich der Druck. Hess gab im Juli 1817 die letzten Bogen zum Druck frei, das Buch erschien schliesslich 1818. 1924, im Jahr nach dem ersten Badenfahrt-Volksfest in Baden, brachte der Orell-Füssli-Verlag eine Faksimileausgabe der «Badenfahrt» heraus. 1969 veröffentlichte der Baden Verlag eine leicht gekürzte, sprachlich modernisierte Neuausgabe des Buchs. Beide Neuausgaben sind inzwischen vergriffen.
Die vorliegende Neuausgabe geht vom modernisierten Text der Ausgabe von 1969 aus. Während Orthografie und Interpunktion nochmals aktualisiert wurden, sind veraltete Begriffe wie etwa alte Monatsnamen bewusst wieder in den Text aufgenommen worden, um näher am Original zu sein. Lektürehilfe leistet hier ein kurzes Glossar im Anhang. Auch wurden altdeutsche und französische Textpassagen wieder originalsprachlich gesetzt. Bei den Abbildungen orientiert sich die Neuausgabe am Manuskript von David Hess. So erscheinen erstmals die farbigen Originalbilder im Druck. Ebenfalls erstmals in Farbe ist der 1817 von Leonard Schulthess gezeichnete Plan des Bäderquartiers beigelegt. Ergänzt wird der Band um eine kleine Serie illustrierter Aphorismen, «Papp-Figürchen von Amelmehl und Zucker mit Devisen», die nicht aus dem Manuskript in die Erstausgabe übernommen worden war. Zwei Stiche aus der Erstausgabe, für die Ludwig A. Hess die Vorlage gezeichnet hat, stammen nicht aus dem handschriftlichen Manuskript und sind im schwarzweissen Druckoriginal eingefügt. 200 Jahre nach ihrer Entstehung, und pünktlich zur Badenfahrt 2017, ist «Die Badenfahrt» von David Hess damit endlich wieder greifbar.
Baden, April 2017
Alexander Jungo, Bruno Meier
Nachlass David Hess. Zentralbibliothek Zürich, FA David Hess, Nrn. 30/30a/54.
Andrea Schaer, «Die Bäder: 2000 Jahre europäische Badekultur», in: Fabian Furter, Bruno Meier, Andrea Schaer, Ruth Wiederkehr, Stadtgeschichte Baden, Baden 2015,S. 9–92.
David Hess. Artikel im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch.
Vorwort des Autors
DIE BADENFAHRT
Vorbereitungen
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