Neben der kirchenrechtlich brisanten Sakramentenpastoral findet das religiöse Gemeinschaftsleben der Kommunität in weiteren Andachts- und Frömmigkeitsformen seinen Ausdruck. Wie die Publikationen der Kommunität nahelegen, werden in den CCN-Zentren, also in Bildungs- und Exerzitienhäusern, regelmäßig Heilige Messen gefeiert. In einigen Kirchen und Kapellen der Gemeinschaft finden eucharistische Anbetungsstunden statt, in den klösterlich geprägten Niederlassungen werden einzelne Horen des Stundengebetes gemeinsam verrichtet. 275Auch bestimmte Formen der Marienfrömmigkeit werden gepflegt. 276Nichtkatholischen CCN-Mitgliedern oder Veranstaltungsteilnehmern steht es frei, an den katholisch geprägten Andachtsformen teilzunehmen. Es finden sich keine Hinweise darauf, dass Gottesdienstformen aus der protestantischen oder orthodoxen Tradition zum festen Tages- oder Wochenprogramm gehören. Ausdrücklich erwähnt wird die Möglichkeit für nichtkatholische CCN-Mitglieder oder nichtkatholische Kursbesucher an Sonntagen Fahrmöglichkeiten zur nächstgelegenen Kirche ihrer Konfession anzubieten. 277
Einen festen Platz in der Sakramentenpraxis von CCN hat das Bußsakrament. Den Christen anderer Konfessionen wird anstelle der Beichte ein nichtsakramentales Beichtgespräch angeboten. Mitglieder der Kommunität und Kursbesucher merken an, die Unterschiede zwischen den Konfessionen würden oft in den kleinen Riten und Gesten deutlich. Protestantische Christen knieten z. B. während der Messe nicht oder bekreuzigten sich nicht. Das Beten der Allerheiligenlitanei oder bestimmte Formen der Marienverehrung führen gelegentlich zum Klärungsbedarf. Diesen Unterschieden begegnet CCN nach eigener Einschätzung mit einer Haltung der Flexibilität und Toleranz.
2.4 Weitere spirituelle Einflüsse
2.4.1 Die theresianische Spiritualität
Das CCN-Magazin Tychique aus dem Jahr 1991 nennt als weitere Komponenten im spirituellen Gesamtensemble der Gemeinschaft die theresianische Spiritualität, die sich auf das Leben und die Lehre der heiligen Theresia von Avila gründet. Die Kommunität, so beschreibt es der Tychique-Artikel, ginge an der Hand zweier Erwachsener – des heiligen Ignatius von Loyola und der heiligen Theresia von Avila. 278Der Tychique-Artikel charakterisiert Theresia von Avila als eine Frau des Gebetes und der Kontemplation und als eine Heilige voller Wärme, Begeisterung und Spontaneität. Theresia verkörpere für eine gemischt feminine und maskuline Gemeinschaft wie CCN das weibliche Element. Ihre Spiritualität stehe in einer Gemeinschaft, die sich apostolische Aktivitäten auf die Fahne geschrieben hat, für den notwendigen Gegenpol – die Kontemplation. 279Worin die geschichtlich gewachsenen Bezüge der Kommunität zur heiligen Theresia bestehen oder welche konkreten Gebets- und Andachtsformen theresianischer Natur sind, wird nicht aufgezeigt. Allgemein verweist der unbekannte Autor des Artikels darauf, dass es in Leben und Lehre der heiligen Theresia Parallelen zum ignatianischen Gedankengut gebe, weshalb diese Frömmigkeitsrichtung eine Ergänzung und Bestärkung sei. 280In den Quellen mit amtlichem Charakter wie den Konstitutionen, der Vorstellungsbroschüre oder der Homepage der Kommunität finden sich keine Hinweise auf die theresianische Spiritualität. 281
Jacqueline Coutellier, die Frau, die neben Fabre einen wichtigen Beitrag zur Gründung der Kommunität geleistet hat, gibt sich als Befürworterin und Anhängerin der theresianischen Spiritualität aus. 282Coutellier verweist auch in neueren Veröffentlichungen darauf, dass diese Frömmigkeitsform zum Erbe und zum Auftrag von CCN gehöre. Coutellier berichtet von einer Exkursion anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Kommunität nach Spanien, wo man die Lebensstationen des heiligen Ignatius und der heiligen Theresia besucht habe. 283Sie greift in ihrer Darstellung erneut das Bild von der kleinen Gemeinschaft auf, die an den Händen zweier Erwachsener geht, nämlich von Ignatius und Theresia. Diese Veröffentlichungen führen zu dem Eindruck, Einzelpersonen oder kleine Gruppierungen innerhalb der Kommunität favorisieren spirituelle Akzente, die nicht auf der großen Linie „charismatisch-ignatianisch-ökumenisch“ liegen.
2.4.2 Spuren monastischer Spiritualität
Der Prozess der spirituellen Selbstfindung scheint noch nicht abgeschlossen zu sein. In den letzten Jahrzehnten wurde der Kommunität eine Reihe von Klöstern übertragen. In Frankreich hat CCN vier traditionsreiche, früher monastisch ausgerichtete Abteien übernommen. Teils wurden sie der Kommunität zur Nutzung überlassen, teils befinden sie sich in ihrem Eigentum: Hautecombe, Notre Dame des Dombes, Boquen, Sablonceaux. 284In den Niederlanden zog CCN in das Kloster Oosterhout ein, und in Spanien übernahm die Kommunität 2013 das ehemalige Trappistenkloster Aula Dei. 285Im algerischen Tibhirine übernahm CCN das Trappistenkloster, das durch einen Anschlag muslimischer Extremisten weltweit Bekanntheit erlangt hatte. 286CCN hat nicht nur die Klostergebäude übernommen, sondern auch etwas vom klösterlichen Geist. Timothy Watson, der die Entwicklungen bei CCN sehr zutreffend reflektiert, bemerkt, dass sich durch das Hineinwachsen der Gemeinschaft in eine klösterliche Atmosphäre auch die Liturgie gewandelt habe. Diese habe „stabilere Formen“ 287angenommen. Das von Watson verwendete englische Wort „stable“ bedeutet in der deutschen Übersetzung: stabil, dauerhaft, ausgeglichen, gleichbleibend. Im Blick auf den charismatischen Charakter der Gemeinschaft, den Watson in seinem Artikel ausführlich beschrieben hat, liegt es nahe, dass er die neue monastisch inspirierte Liturgie von CCN der spontanen und emotionalen Gebetspraxis der Charismatiker gegenüberstellt.
CCN erhebt den Anspruch auch das Erbe des heiligen Benedikt, wie sie es in der Abtei Dombes vorgefunden habe, auf ihre Weise fortführen zu wollen. 288Ein gewisser klösterlicher Lebensrhythmus bestimmt die Abläufe der dortigen CCN-Fraternität. Es gibt feste Gebetszeiten, zu denen Glockengeläut einlädt. Auch den benediktinischen Grundsatz des ora et labora betrachten Vertreter der Kommunität als Hilfe und Bereicherung für ihr Gemeinschaftsleben. Das benediktinische Erbe sei zumindest teilweise in das Gesamtprofil integrierbar, meinen die Mitglieder der CCN-Fraternität von Dombes. 289In den klösterlich geprägten CCN-Niederlassungen werden bestimmte Horen des Stundengebetes gehalten, vornehmlich Laudes und Vesper. 290Bestimmte Mahlzeiten werden im Schweigen und unter Vortrag einer lectio divina eingenommen. 291Der Dienstagabend wird in einigen der klösterlichen CCN-Kommunitäten im Schweigen verbracht, auch darin lässt sich eine Spur monastischer Tradition finden. 292Das Liedrepertoire wurde für die vom monastischen Geist inspirierte Liturgie erweitert. Das ursprünglich sehr rhythmische charismatische Liedgut wurde ergänzt. CCN greift dazu auf Gesänge und Lieder von André Gouzes zurück und verwendet dessen kompositorisches Werk, die „Liturgie chorale du Peuple de Dieu“. Gouzes lässt sich bei seinen Kompositionen von der alten musikalischen Tradition der Kirche inspirieren, unter anderem auch von der Gregorianik. Das Ziel seiner liturgischen Gesänge ist es, eine Atmosphäre der Sammlung zu schaffen und den Reichtum der spirituellen und theologischen Tradition anzubieten. 293Dieses auf der monastischen musikalischen Tradition beruhende Liedgut wurde von CCN aufgegriffen. Zum Chorgebet und anderen öffentlichen liturgischen Feierlichkeiten tragen die CCN-Mitglieder weiße Kapuzenmäntel. Diese Kleidung erinnert ebenfalls an monastische Gebräuche. Die Kapuzenmäntel ähneln den Kukullen, dem Gewand, das von Mönchen zu den Chorgebeten getragen wird. 294Die weißen Gebetsmäntel verleihen den monastischen Einflüssen bei CCN ein hohes Maß an visueller Wahrnehmbarkeit.
2.5 Zusammenfassende Überlegungen zur Spiritualität
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