2.3 Der personale Sinngehalt der Ehe bei der Revision des Codex Iuris Canonici
Schon vor dem Ende des Konzils hatte Papst Paul VI. dazu ermahnt, bei der Revision des CIC die konziliaren Erkenntnisse zu berücksichtigen. 90Die mit der Redaktion des Eherechts befasste Studiengruppe ( Coetus Studiorum De Matrimonio ) 91war von Anfang an bestrebt, diesen Auftrag auch im Hinblick auf das konziliare Eheverständnis zu beherzigen. Dies erwies sich als nicht ganz einfach: Bereits bei den ersten Zusammenkünften machten die Konsultoren mehrere Vorschläge für einen Canon zur Beschreibung der Ehe. 92Einerseits enthielten alle Vorschläge neben der Hinordnung auf Zeugung und Erziehung von Nachkommen ein partnerschaftliches Element, das in der Mehrzahl der Entwürfe als conformatio 93der Gatten ausgedrückt wurde. 94Andererseits wurde die Zuordnung von prokreativer und partnerschaftlicher Dimension sehr unterschiedlich vorgenommen: Teils wurde eine Hinordnung der Ehe auf die wechselseitige Formung erklärt, 95teils wurde die conformatio als Strebeziel („ Matrimonium […] tendit “ 96) oder als causa der Ehe angesehen. 97Bei der Aufnahme der ehetheologischen Impulse von Gaudium et spes bestand Unsicherheit, welche rechtliche Relevanz den dortigen Aussagen zukommen sollte. 98Dabei wurde auch diskutiert, ob mit den altkodikarischen Begriffen „Primärzweck“ und „Sekundärzweck“ überhaupt noch operiert werden könnte 99und was das Fehlen einer Rangfolge der Zwecke in der Pastoralkonstitution bedeuten sollte. 100Strittig war ebenso die Frage nach der Aufnahme des amor coniugalis und dessen rechtlicher Relevanz. 101Zur Lösung dieser Fragen wurde mehrfach der Wunsch nach einer lehramtlichen Klarstellung geäußert, 102die jedoch offenbar ausblieb. Der Berichterstatter der Arbeitsgruppe, Pieter Huizing, teilte später mit, dass innerhalb des Coetus die Entscheidung gefallen sei, im Anschluss an Gaudium et spes auf den Zweckbegriff und die Zweckhierarchie zu verzichten. 103Zusammengefasst gab es zu Beginn des Revisionsprozesses Stimmen, die ein Umdenken im Sinne der Aussagen über die Ehe in der Pastoralkonstitution als notwendig erachteten, 104wohingegen andere ein Abrücken von der traditionellen Ehezwecklehre für nicht angeraten hielten. 105Eine ausdrückliche Übereinkunft über die strittigen Punkte wurde nicht erreicht. Das Ergebnis dieser ersten Beratungen war der Formulierungsvorschlag: „ Matrimonium est intima totius vitae coniunctio inter virum et mulierem, quae indole sua naturali ad prolis procreationem et educationem ordinatur“ . 106Zwei Konsultoren merkten dazu an, dass die Sekundärzwecke durch die Rede von der intima totius vitae coniunctio ausgedrückt seien 107, der Sekretär lobte, dass mit dieser Formulierung die Nichtigkeit einer Ehe wegen Ausschlusses der Sekundärzwecke vermieden sei. 108
Das Resultat ist – betrachtet man sowohl dessen Zustandekommen als auch das Ergebnis selbst – mehrdeutig. Auffällig ist das oft bezuglos scheinende Nebeneinander von Aussagen und Konzepten in der Diskussion. Einzelne sprachen sich bspw. gegen eine Aufnahme des ius in corpus aus 109, andere gingen darauf nicht weiter ein und schlugen später die Beibehaltung des altkodikarischen Konsensobjekts vor. 110
Die Beschreibung der Ehe als intima totius vitae coniunctio fand Eingang in das SchemaSacr. So lautet c. 243 § 1 des Schemas: „Matrimonium, quod fit mutuo consensu de quo in cann. 295 ss., est (intima) totius vitae coniunctio inter virum et mulierem, quae, indole sua naturali, ad prolis procreationem et educationem ordinatur. “
Auch anlässlich der Sichtung und Beratung der Antworten der Konsultationsorgane im Februar des Jahres 1977 hielt man an der Formulierung fest und entschied sich ausdrücklich dafür, die Begriffe intima 111 , totius 112und coniunctio 113beizubehalten.
Allerdings wurde hinsichtlich der alleinigen Hinordnung auf Zeugung und Erziehung angefragt, ob hierin eine „indirekte Bekräftigung der Hierarchie hinsichtlich der Ehezwecke verborgen“ und es daher angezeigt sei, „auch andere Ehezwecke im Canon aufzuzählen“. 114Daraufhin antwortete ein Konsultor, dass der Coetus mit der Norm keine Zweckhierarchie ausdrücken wollte, die Ehezwecke jedoch in ihr enthalten seien, 115und schlug zur besseren Wiedergabe des Intendierten vor, die Norm um ein etiam zu ergänzen. 116Die Frage nach der Nennung anderer Ehezwecke wurde dahingehend positiv beantwortet, dass die Arbeitsgruppe die Aufnahme eines finis personalis matrimonii befürwortete und sich auf folgenden Formulierungsvorschlag einigte: „ Matrimonium est viri et mulieris intima totius vitae coniunctio quae indole sua naturali ad bonum coniugum atque ad prolis procreationem et educationem ordinatur :“ 117
An diesem Punkt der Revisionsarbeiten begegnet zum ersten Mal der Begriff des bonum coniugum . 118Zur Herkunft des Begriffs finden sich keine Angaben, es wird nur beschrieben, dass die Formulierung aus zwei Vorschlägen zusammengestellt wurde und allgemeine Zustimmung fand. 119Später stellte der Vorsitzende der Revisionskommission fest, dass diesem personalen Aspekt in Bezug auf den Ehekonsens auch rechtliche Relevanz zukomme. 120Nach weiteren Beratungen wurden die cc. 242 und 243 § 1 des Schemas zu c. 1008 Schema/1980 zusammengefasst. Die das Eherecht einleitende Norm lautete jetzt: „§ 1. Matrimoniale foedus, quo vir et mulier intimam inter se constituunt totius vitae communionem, indole sua naturali ad bonum coniugum atque ad prolis procreationem et educationem ordinatam, a Christo Domino ad sacramenti dignitatem inter baptizatos evectum est. § 2. Quare inter baptizatos nequit matrimonialis contractus validus consistere quin sit eo ipso sacramentum. “ 121
In der Relatio über die Änderungswünsche der Kommissionsmitglieder am Schema/1980 findet sich eine grundsätzliche Kritik an dieser Norm. 122Kardinal Pietro Palazzini lehnte das zu starke Abrücken von der theologischen und kanonistischen Tradition ab und verwies auf das Armenierdekret vom 22.11.1439 123, wo die drei augustinischen bona aufgeführt werden, sowie auf Aussagen des Catechismus Romanus 124zum Wesen der Ehe. Auch in Gaudium et spes sei nicht konkret vom bonum coniugum, sondern allgemein von Gütern die Rede, mit denen die Ehe ausgestattet worden sei. Dabei habe man jedoch besonderen Wert auf Zeugung und Erziehung von Nachkommen gelegt. 125Im Einzelnen wandte sich der Relator erstens gegen die Beschreibung der Lebensgemeinschaft als totius, weil das u. a. den sog. Gewissensehen und den Mischehen widerspräche. 126Zweitens sprach er sich gegen die Erklärung aus, die Ehe sei auf das Gattenwohl hingeordnet, weil „der Zweck eines geschaffenen Dinges immer außerhalb dessen Wesens liegt. Nun aber ist das Gattenwohl kein Ding außerhalb der Ehe, sondern bezieht sich auf deren Wesen wie eine wechselseitige Ergänzung […] hauptsächlich auf physischer und psychischer Geschlechtsebene. Es kann nicht als ein Zweck der Ehe dargestellt werden. Es wäre ein finis operantis, aber kein [finis] operis.“ 127Mit Verweis auf Thomas von Aquin hielt er es für „philosophisch absurd, einem Seienden mehr als einen wesentlichen und hauptsächlichen Zweck zuzuweisen“ 128, jedoch fines operantis könne es mehrere geben. 129Die Hinordnung auf das Gattenwohl sei demnach zu streichen. Gleichzeitig wurde von Kardinal Giuseppe Siri die Wiedereinführung der Zweckhierarchie aus c. 1013 CIC/1917 gefordert und von Erzbischof Luis E. Henríquez Jiménez kritisiert, dass der Terminus communio in § 1 unklar sei. 130
Auf diese Grundsatzkritik wurde geantwortet, dass wegen des Beschlusses der Congregatio Plenaria , eine Beschreibung der Ehe einzuführen, diese Beschreibung nicht gestrichen werden könnte. Gleiches würde für den adspectus personalis gelten. Die ordinatio ad bonum coniugum sollte im Canon erhalten bleiben, weil „[d]ie Hinordnung auf das Gattenwohl wirklich ein wesentliches Element des Ehebundes ist und keinesfalls ein subjektiver Zweck eines Nupturienten.“ 131Zur Frage nach der Zweckhierarchie wurde darauf verwiesen, dass in GS 48 auf die Festlegung einer Rangfolge der Güter und Zwecke der Ehe verzichtet worden war. 132Das Attribut totius sei synonym zum in den Digesten verwendeten omnis 133und daher auch nicht zu streichen. 134Weil communio im Schema nicht einheitlich verwendet wurde, wurde der Begriff schließlich durch consortium ersetzt. Weiterhin wurde intima als nicht mehr länger passend betrachtet und getilgt. 135Der resultierende c. 1055 § 1 SchemaNov ist identisch mit der später als c. 1055 § 1 CIC/1983 promulgierten Fassung. 136
Читать дальше