INDIVIDUELLE ODER ABSOLUTE SCHWELLENWERTE?
Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, dass Geschwindigkeitsschwellenwerte von Spielern individuell betrachtet werden sollten, um den Stoffwechselaufwand unter Trainings- und Wettbewerbsbedingungen genau abzubilden. Die Forschung ist zwar noch im Gange; die bereits vorliegenden absoluten Schwellenwerte weisen jedoch bereits auf signifikante Unterschiede zwischen den Spielpositionen hin. Das könnte uns zu einem entsprechend getrennten Athletiktraining führen. Mit abnehmender Fehlerquote müssen wir individualisierte Analysen wie Geschwindigkeitsschwellen in Betracht ziehen, um am besten darzustellen, was die Spieler leisten und wie sie auf bestimmte Stimuli reagieren.
Auch dies entspricht einem bereits Anfang der 1970er-Jahre erkannten Trend. Wir fragen nicht mehr »Was ist die höchste Belastung, die in einem Spiel geleistet wird?«, sondern »Wo liegen die höchste Qualität und Belastungsintensität in einem Spiel?«. Wenn wir uns auf die aus mehreren Spielklassen eines Landes ermittelte durchschnittliche Gesamtlaufstrecke, womöglich auf nur ein Geschlecht bezogen, beschränken, schließen wir mehrere Variablen aus, die nachweislich wichtige Faktoren zur Bestimmung der körperlichen Beanspruchung im Fußball sind. Wir sehen auf Basis einer auf sieben Jahre angelegten Studie Belege dafür, dass hochintensive Belastungen und die entsprechende Leistungsfähigkeit noch immer signifikant wachsen (Barnes et al. 2014). Darauf müssen wir uns konzentrieren, wenn wir unser Wissen um die körperlichen Beanspruchungen im Fußball vergrößern wollen.
Der physiologische Belastungsunterschied zwischen Frauen und Männern ist im Fußball sehr bedeutsam. Erst seit etwa 2000 liegen Untersuchungen zur körperlichen Beanspruchung im Frauenfußball vor. Die wenigen Studien deuten geschlechtsspezifische Unterschiede an, aber die Untersuchungsstandards sowie die Validität der Stichproben wurden häufig angezweifelt. Eine gründliche Untersuchung von 2013 stellte erstmals die Belastungsunterschiede zwischen Frauen und Männern anhand vergleichbarer Standards dar (Bradley et al. 2013). Der auffälligste Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern ergab sich bei der Belastung während hochintensiver Geschwindigkeitsphasen. Tabelle 1.3zeigt die sowohl von Männern als auch von Frauen zurückgelegte Strecke, aufgeschlüsselt nach Spielposition, bei einer Geschwindigkeit von 18 km/h (5 m/s).
Tab. 1.3Laufstrecke bei 18 km/h nach Position (in Metern)
Position |
Männer |
Frauen |
Innenverteidigung |
797 ± 42 |
602 ± 41 |
Außenverteidigung |
1368 ± 101 |
756 ± 86 |
Zentrales Mittelfeld |
1276 ± 70 |
778 ± 46 |
Außenbahn |
1456 ± 99 |
931 ± 78 |
Offensive |
1151 ± 64 |
1051 ± 78 |
Aus: P. S. Bradley/A. Dellal/M. Mohr/J. Castellano/A. Wilkie, »Gender Differences in Match Performance Characteristics of Soccer Players Competing in the UEFA Champions League«, in: Human Movement Science 33 (2014), 159–171.
Der für die Laufgeschwindigkeit gewählte Ausgangswert weicht zwar von dem vieler anderer Untersuchungen ab, aber innerhalb der Studie sind alle Werte vergleichbar. Kaum eine Studie lieferte bisher ähnlich kontrollierbare Variablen, die kleine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen sichtbar machen (Bradley et al. 2014). Dabei ist von Bedeutung, welche Standards an die körperliche Leistung der untersuchten Athleten innerhalb ihrer Spielklasse angelegt werden. Die von den Forschern beobachteten Unterschiede stammen aus den höchsten Ligen des Klubfußballs. Wir gehen hier darauf ein, weil wir den Bedarf nach einer Individualisierung der Trainingspläne nach Geschlecht und Spielniveau klären wollen.
KÖRPERLICHE ANFORDERUNGEN IM JUGENDBEREICH
Die Jugendarbeit setzt im organisierten Fußball auf zahlreiche unterschiedliche Amateurformate. In vielen Ländern sind die wettbewerbsfähigsten Vereine in ein Ligasystem überführt worden, das üblicherweise Hin- und Rückspiele sowie eine regionale Reisetätigkeit vorsieht. Diese Spieler trainieren wöchentlich drei bis fünf Tage und reisen an ein bis zwei Tagen pro Woche zu Wettkämpfen an. Welchen körperlichen Beanspruchungen diese Gruppe unterliegt, findet mangels verlässlicher Datenerhebungen kaum Niederschlag in Veröffentlichungen. Begrenzte Ressourcen und unzureichende Investitionen in moderne Technologie erschweren die wissenschaftliche Untersuchung dieser Spielebene bisher. Obwohl die folgende Stichprobe aus einem einzelnen nordamerikanischen Verein nicht repräsentativ für die Jugend der ganzen Welt stehen kann, möchte ich diese Daten mitteilen. Sie bilden einen Ansatz für mögliche Modifikationen und liefern eine Entscheidungsgrundlage für die Gestaltung von Trainingsabläufen. Die Tabellen 1.4und 1.5zeigen, wie sich die körperliche Beanspruchung verschiedener Altersgruppen bei einem Fußballspiel schrittweise entwickelt.
Tab. 1.4Laufstrecken im männlichen Jugendfußball in den Altersgruppen U19, U17, U15 und U14
Alle Angaben in Metern. In der U15 beträgt die Spieldauer 80 Minuten, in der U14 70 Minuten.
Tab. 1.5Laufstrecke während hochintensiver Aktionen im männlichen Jugendfußball in den Altersgruppen U19, U17, U15 und U14
Alle Angaben in Metern. In der U15 beträgt die Spieldauer 80 Minuten, in der U14 70 Minuten.
Niemals zuvor war das Informationsangebot im Fußball so groß. Aufgrund der weltweiten Beliebtheit von Fußball gibt es jetzt wissenschaftlich belegbare Leistungsvariablen, die Spielern und Trainern früher gar nicht zur Verfügung standen. Im Konditionstraining sollten deshalb auch die Unterschiede bei den Spielpositionen genau betrachtet werden.
Innenverteidiger benötigen Kraft, Beschleunigungs- und Abbremsvermögen auf kurze Distanzen. Sie müssen genügend Wendigkeit zur Deckung kleiner gewachsener gegnerischer Stürmer und Außenbahnspieler besitzen. Spitzengeschwindigkeit ist ein zentrales Leistungsmerkmal, es kommt aber wegen der längeren Regenerationszeiten zwischen den einzelnen Tempoläufen nicht so sehr auf die Fähigkeit zum wiederholten Sprint an.
Außenverteidiger bewegen sich viel in hochintensiven Geschwindigkeitsphasen und legen dabei längere Distanzen zurück. Die Fähigkeit zum wiederholten Sprint und eine effiziente Regenerationsphase zwischen den Tempoläufen sind von entscheidender Bedeutung.
Zentrale Mittelfeldspieler müssen schnell die Richtung wechseln, sehr wendig sein und auf kurze Distanzen beschleunigen und abbremsen können. Je nach Spielstil ist ihr räumliches Einsatzgebiet ziemlich groß, dabei kann es notwendig sein, längere Laufstrecken mit hoher Intensität zurückzulegen. Besonders ermüdend wirkt bei dieser Position das häufige Ändern der Laufrichtung in dicht besetzten Bereichen des Spielfelds.
Die Belastung der Außenbahnspieler entspricht hinsichtlich hochintensiven Aktionen und Laufstrecke der von Außenverteidigern. Beim Konditionstraining sollte auf die Fähigkeit zu wiederholten Sprints und ausreichende Regenerationszeiten geachtet werden.
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