Tab. 1.1Laufstrecken von Feldspielern abhängig von ihrer Position
Tab. 1.2Laufstrecken von Feldspielern abhängig von Position und Geschlecht (in Metern)
Die Daten in Tabelle 1.1stellen eine Zusammenschau verschiedener Studien dar, die bis ins Jahr 1967 zurückreichen. Manche Autoren verzichten in ihren Arbeiten bis heute auf eine Unterscheidung nach Positionen auf dem Spielfeld. Deswegen enthält unsere Vergleichstabelle an erster Stelle eine neutrale Rubrik. Lange Zeit fand auch keine Differenzierung zwischen Innen- und Außenverteidigung, zentralem Mittelfeld und Außenbahnen statt. Eine genauere wissenschaftliche Definition dieser Positionen geht erst auf Di Salvo et al. (2007) zurück, und jüngere Arbeiten verfolgen diesen Ansatz inzwischen ebenfalls. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Positionen werden zwar deutlich, aber Alter, Spielklasse oder Geschlecht wurden in den Angaben nicht berücksichtigt. In Tabelle 1.2vergleichen wir die Durchschnittswerte nach Geschlechtern getrennt.
Bei geschlechtsspezifischer Betrachtungsweise – noch ohne Berücksichtigung von Spielklasse und Alter – fällt auf, dass Frauen auf den meisten Positionen vergleichbare oder sogar weitere Laufstrecken als Männer zurücklegen. Nur zentrales Mittelfeld und Außenbahnen stechen als Ausnahmen hervor. Leider ist die Zahl der Fachpublikationen, die sich mit solchen Vergleichen zwischen beiden Gruppen befasst, sehr unterschiedlich. Frauen sind deutlich unterrepräsentiert. Ich hoffe, dass das wachsende Interesse am Frauenfußball einen Wandel einleitet, und dass Qualität und Reichweite der gewonnenen Informationen unser Wissen und damit die Grundlagen individueller Trainingsansätze im Frauenfußball erweitern werden.
Wie können wir solche Informationen zu den unterschiedlichen Spielpositionen sachgerecht ins Konditionstraining einfließen lassen? Mir geht es darum, anhand von Unterschieden bei Faktoren wie Geschlecht oder Alter potenzielle Charakteristiken einzelner Spielertypen in verschiedenen Spielsituationen herauszuarbeiten, ohne dabei das Training bestimmter Aspekte körperlicher Leistung für einzelne Positionen zu vernachlässigen. Beispielsweise legt ein Innenverteidiger in hochintensiven Laufphasen deutlich weniger Distanz zurück als Spieler auf den meisten übrigen Positionen. Dennoch müssen Innenverteidiger in der Lage sein, Fähigkeiten wie Sprint oder Beschleunigen auf Höchsttempo wiederholt abzurufen. Beim Training wiederholter Sprints sollten also das Verhältnis zwischen Belastung und Regeneration sowie die pro Sprint zurückgelegten Distanzen angepasst werden – selbst wenn dieser Aspekt verglichen mit Außenverteidigern oder einer Position im Mittelfeld nachrangig ist. Angesichts der Häufigkeit und Intensität beim Beschleunigen und Abbremsen in einem Spiel und unter Berücksichtigung der Situationen, in der solche Aktionen stattfinden, legen wir größeres Augenmerk auf Kraftanstieg und verbesserte Wendigkeit von Innenverteidigern. Darauf gehen wir in den Kapiteln »Konditionstraining«sowie »Periodisierung und Programmplanung«ausführlich ein. Zunächst wollen wir jedoch die Trends und individuellen Merkmale der verschiedenen Spielpositionen untersuchen.
DENKANSTOSS
Frauen, Jugend und Amateure sind in der fußballerischen Sportleistungsdiagnostik üblicherweise kaum präsent. Vermutlich stehen für diese Gruppen kaum Forschungsmittel zur Verfügung, anders als beim professionellen Männerfußball. Das betone ich deswegen, weil selbst die wenigen vorliegenden Studien signifikante Unterschiede bei den jeweiligen Leistungsniveaus aufzeigen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Trainingsmodelle aus dem Profifußball nicht allgemein anwendbar sind. Eine zunehmend ausgefeilte Leistungsüberwachung führt auf allen Ebenen zu einem Austausch von Informationen und erfolgreichen Methoden. Das gilt insbesondere für die körperliche Vorbereitung der Spieler und kann theoretisch eine Optimierung der Trainingsprozesse in allen Alters- und Spielklassen herbeiführen.
Innenverteidigung
Unabhängig vom Geschlecht fällt auf dieser Position die körperliche Beanspruchung wohl am geringsten aus. Darüber besteht in der Fachliteratur weitgehend Einigkeit (Reilly/Thomas 1976; Mohr/Krustrup/Bangsbo 2003; Scott/Drust 2007; Dellal et al. 2011; Alexander 2014). Mehrere, auch aktuelle Theorien stützen diesen Befund. In der Regel schützen Innenverteidiger überwiegend nur ihre Spielfeldhälfte mit Zentrum und Halbräumen und werden kaum außen aktiv ( Abbildung 1.2).
Gelegentlich verlassen Innenverteidiger ihre angestammte Zone, etwa als Offensivverteidiger bei Spielzügen aus dem Halbfeld heraus oder um für einen vom Gegner überraschten Außenverteidiger einzuspringen. Innerhalb der Länge (90–120 Meter) und Breite (45–90 Meter) eines regulären Spielfelds nimmt das in Abbildung 1.2dargestellte Aufgabengebiet der Innenverteidigung etwa 55 × 40 Meter ein. Vor dem Hintergrund räumlicher Enge und tendenziell hoher Dichte von Teamkameraden und gegnerischen Spielern lassen sich die Besonderheiten dieser Position gut abschätzen. Studien verzeichnen für Innenverteidiger übereinstimmend die geringste Laufstrecke ( Tabelle 1.1), ohne Berücksichtigung von Geschlecht, Spielklasse oder kulturellen Einflüssen. Das gilt auch für die in hochintensiven Laufphasen absolvierten Strecken.
Traditionell sind Innenverteidiger größer und schwerer als andere Feldspieler (Reilly/Bangsbo/Franks 2000; siehe Abbildung 1.3).
Diese Attribute kommen den körperlichen Anforderungen bei der Abwehr gegnerischer Offensivspieler auf engem Raum oder bei kämpferischen Tacklings beim Abblocken von Angriffen im Halbraum zugute. Die Testergebnisse bezüglich Sprint und Höchstgeschwindigkeit entsprechen bei Innenverteidigern typischerweise nicht den kleiner gewachsenen und weniger schweren Mittelfeldspielern oder Außenverteidigern, wie aus den geringfügig schwächeren Sprintleistungen ( Abbildung 1.3 dund e) hervorgeht. Aufgrund ihres robusteren Körperbaus fehlen ihnen die Wendigkeit und die Leichtfüßigkeit ihrer kleineren Teamkameraden.
1.2 Das Spielfeld der Innenverteidigung
1.3 Durchschnittliche Werte aus Anthropometrie und Sportleistungsdiagnostik abhängig von den Spielpositionen: (a) Körpergröße; (b) Körperfettanteil; (c) Körpergewicht;
Aus: J. Boone/R. Vaeyens/A. Steyaert/L. Bossche/J. Bourgois, »Physical Fitness of Elite Belgian Soccer Players by Player Position«, in: Journal of Strength and Conditioning Research 26,8 (2012), 2051–2057.
1.3 (d) 5-Meter-Sprint; (e) 5-bis-10-Meter-Sprint und (f) Counter Movement Jump (Sprung ohne Ausholbewegung mit angelegten Armen, Höhe in cm)
Innenverteidiger müssen vor allem über kurze Distanzen rasant beschleunigen und kräftig abbremsen, weil sie dicht besetzte Räume in der Mitte oder im letzten Drittel des Spielfelds sowie innerhalb des Strafraums verteidigen. Kraft ist entscheidend für die Standfestigkeit bei Zweikämpfen und Tacklings, beim Rangeln um die beste Ausgangsposition für den Sprint dorthin, wo bei einem Spielzug der Ball landen wird, und überhaupt während des Spielverlaufs (denken wir an das Beispielszenario am Kapitelbeginn). Oder der Fall tritt ein, dass ein Team im Ballbesitz zum Angriff übergeht, aber abrupt den Ball verliert, und ein langer Ball wird über den Kopf des Innenverteidigers hinweg oder am Boden in die eigene Hälfte gespielt. Der Innenverteidiger muss zur Ballrückeroberung kurzfristig über eine längere Distanz sein Höchsttempo abrufen und den gegnerischen Angreifer hinter sich lassen. Für Innenverteidiger wurden die längsten Regenerationszeiten von allen Spielern zwischen Tempoläufen ermittelt (194,6 ± 48,4 Sekunden; Carling/Le Gall/Dupont 2012). Solche Momente mit hoher Belastungsintensität unterstreichen die Notwendigkeit entsprechender Vorbereitung von Innenverteidigern, auch wenn sie seltener vorkommen als bei den übrigen Spielpositionen.
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