Woods, Philip A., Nigel Bennett, Janet A. Harvey und Christine Wise. 2004. «Variabilities and dualities in distributed leadership: findings from a systematic literature review». Educational Management Administration & Leadership 32 (4): 439–457.
Zala-Mezö, Enikö, Inka Bormann, Nina-Cathrin Strauss und Daniela Müller-Kuhn. 2019. «Distributed leadership practice in Swiss ‹eco-schools› and its influence on school improvement». Leadership and Policy in Schools 26: 1–23. doi:10.1080/15700763.2019.1631855.
Theoretisch- konzeptionelle Perspektiven
Teacher Leadership und Professionalität
David Frost1
Man könnte davon ausgehen, dass die Führungsaufgaben in Schulen vollständig bei den Schulleitungen liegen. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Führung bei Stellenausschreibungen von Schulleitungen im Mittelpunkt der Stelleninserate steht. Immer mehr wird aber an Schulen die Verantwortung für Führung geteilt. Dies sieht man beispielsweise am Begriff Teacher Leadership. In diesem Beitrag möchte ich eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten des Begriffs beleuchten und die Formen der professionellen Praxis, in denen Teacher Leadership praktiziert wird, darstellen. Ich werde dies auch dort tun, wo der Begriff Teacher Leadership gar nicht verwendet wird.
Der Begriff Teacher Leadership hat seinen Ursprung in den Vereinigten Staaten. Er wurde in den 1980er-Jahren zum Merkmal der Professionalisierungsbewegung. Berichte wie «A Nation at Risk» (Gardner et al. 1983) und «Nation Prepared: Teachers for the Twenty First Century» (Carnegie Forum 1986) verdeutlichten den Bedarf an Professionalisierung und die Umsetzung von Instructional Leadership. Forschende wie Judith Warren Little (1988) und Ann Lieberman (1988) konzentrierten sich in ihren Arbeiten auf Teacher Leadership als Schlüsselfaktor für Veränderung. Funktionen und Begriffe wie leitende Lehrperson, Mentorin, Lehrpersonenberater und Meisterlehrerin verbreiteten sich und wurden als Manifestation von Teacher Leadership gesehen. Die nachfolgende Beobachtung zeigt zwanzig Jahre später das Spektrum an Aktivitäten, das, zumindest in den Vereinigten Staaten, als Ausdruck von Teacher Leadership betrachtet wird:
«Seit Mitte der 1980er-Jahre werden Lehrpersonen mit zunehmender Regelmäßigkeit als Akteure von Schul- und Unterrichtsveränderungen betrachtet. Ihre Führungskompetenz wurde auf unterschiedlichste Weise gefördert, von der Beteiligung an Entscheidungsprozessen auf Schul- und Gemeindeebene über die Schaffung spezifischer Führungsrollen im Zusammenhang mit der Professionalisierung von Lehrpersonen und der Verbesserung des Unterrichts bis hin zur Förderung informeller und kooperativer Führungsaufgaben in Teams, als Teil der professionellen Gemeinschaft der Schule und durch Initiativen zur Entwicklung verteilter Führung. Die Vielzahl an Möglichkeiten für die Entwicklung von Teacher Leadership in den letzten Jahren zeigt ein großes Vertrauen in deren Wirksamkeit zur Förderung der Professionalisierung von Lehrkräften und Schulentwicklung.» (Smylie u. Mayrowetz 2009, 277)
In dem im Zitat genannten Startjahrzehnt, den 1980er-Jahren, war Teacher Leadership sowohl in den USA als auch weltweit noch nicht sehr verbreitet. Ich war zu dieser Zeit selbst Lehrer in England und habe den Begriff damals nie gehört. Aber vielleicht ist die Frage der Terminologie gar nicht wesentlich. Produktiver ist es, sich darauf zu konzentrieren, wo und in welchem Ausmaß Lehrkräfte «mit zunehmender Regelmäßigkeit als Akteure von Schul- und Unterrichtsveränderungen betrachtet» werden, um mit Smylie und Mayrowetz zu sprechen.
Die Spannung zwischen Management und Leadership
Der aktuelle Fokus auf Teacher Leadership im internationalen Diskurs (Bangs 2017) ist aus dem Spannungsverhältnis zwischen den Konzepten von Management und Leadership hervorgegangen. Im britischen Bildungssystem gibt es seit mehreren Jahrzehnten ein recht gut entwickeltes System von Schulmanagement. Darin werden Entscheidungsbefugnisse an diejenigen delegiert, die fachbezogen formelle Positionen besetzen, wie zum Beispiel die Leitung der naturwissenschaftlichen Abteilung. In vielen Bildungssystemen konnte in den 1970er- und 1980er-Jahren die Entwicklung von Schulmanagementsystemen beobachtet werden. Beispiele dafür sind Australien (Barcan 2010), Kenia (Atebe 2009) oder Singapur (Dimmock u. Goh 2011). Bei diesen drei Beispielen mögen die kulturellen Verbindungen zum Vereinigten Königreich einen Einfluss gehabt haben. Der Trend zeigt sich jedoch verbreitet auch anderswo. Eine OECD-Studie untersuchte das Bildungsangebot in so unterschiedlichen Ländern wie Griechenland, Japan, Mexiko, Niederlande und Schweden und zeichnete die Entwicklung der Schulführung nach (Shuttleworth 2003). Die Verbreitung von Schulmanagement wird mit Ideen wie «Modernisierung» und «Professionalisierung» verbunden. In einem neueren OECD-Bericht wurden die politischen Verantwortlichen aufgefordert, Schulführungsstrukturen aufzubauen und Anreize wie Karrierestrukturen, in denen Lehrkräfte angesichts der Übernahme von mehr Verantwortung auch mehr Lohn erhalten, zu schaffen (Pont, Nusche u. Moorman 2008). In den letzten Jahrzehnten haben die Regierungen erkannt, dass der Bildung eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und beim Aufbau von Nationen zukommt. Die Entwicklungen und schnellen Reformen im postsowjetischen Kasachstan veranschaulichen dies deutlich (Katsu 2014).
Natürlich haben Lehrpersonen im mittleren Management, die damals eingesetzt wurden, durchaus auch Führungs- und nicht nur Verwaltungsfunktionen übernommen. Dies war aber zumindest explizit nicht die Erwartung an sie. Die Einsicht, dass Management nicht unbedingt gleichbedeutend mit Führung ist, wuchs schließlich in den 1990er-Jahren. Beeinflusst wurde sie durch die zahlreicher werdende Literatur über Führung und insbesondere über pädagogische Führung. In den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich, aber auch in Kanada und Australien wurde dazu viel publiziert. Zu den wichtigsten Texten gehören «School Leadership: Beyond Education Management» von Gerald Grace (1995) oder die beiden Bücher von Thomas Sergiovanni (1992, 1996) «Moral Leadership: Getting to the Heart of School Improvement» und «Leadership for the Schoolhouse»2. Diese Autoren griffen auf Ideen und Konzepte zurück, die außerhalb des Bildungswesens diskutiert wurden. Dazu gehörten zum Beispiel die Idee von Servant Leadership (Greenleaf 2012) oder Führung als Kulturentwicklung (Schein 2010). Besonders relevant waren Aussagen, die ein Nachdenken über Führung ermöglichten, wenn diese zum Beispiel erschien als
«Prozess, bei dem intentionaler Einfluss auf Personen ausgeübt wird, um Aktivitäten und Beziehungen in Gruppen oder Organisationen zu lenken, zu strukturieren und zu fördern» (Yukl 2010, 21).
Auch wenn es in diesem Zitat nicht um Schulen geht, ist es dennoch hilfreich, über Führung unabhängig vom organisatorischen Kontext nachzudenken. Natürlich gab es auch Bedenken, ob Führungspraktiken, die im kommerziellen oder militärischen Umfeld funktionieren, für die Führung von Schulen ebenfalls geeignet sind. Solche Bedenken drücken sich beispielsweise im Untertitel von «Leadership for the Schoolhouse – How is it different? Why is it important?» (Sergiovanni 1996) aus. Dennoch wurden viele der Konzepte aus der nichtpädagogischen Führungsliteratur produktiv sowohl in der Forschung als auch im professionellen Diskurs eingesetzt.
Eine der wichtigsten Einsichten, die sich in der Literatur jener Zeit herauskristallisierten, war die Idee, dass das Ziel von Führung nicht einfach die Aufrechterhaltung des Status quo ist. Führung kann und soll auch zu Veränderungen führen. Dies hatte Auswirkungen auf die zunehmende Kritik am anhaltenden Fokus auf Management statt auf Leadership. Das Konzept der transformationalen Führung (Bass 1985, 1999; Bass u. Avolio 1994), das aus den Organisationswissenschaften stammt, ermöglichte die Erkenntnis, dass Führung auf Wandel ausgerichtet sein muss. Michael Fullan, ein kanadischer Wissenschaftler, der seit Anfang der 1990er-Jahre die Debatte um Führung und Wandel vorantrieb, hob in Büchern wie «Change Forces» (Fullan 1993a) und «Leading in a Culture of Change» (Fullan 2001) die Beziehung zwischen Führung und Wandel hervor. Ein anderer kanadischer Wissenschaftler, Ken Leithwood, initiierte Forschung zur Frage, wie ein transformationaler Führungsansatz das Leistungsniveau von Schülerinnen und Schülern beeinflussen könnte (Leithwood u. Jantzi 1990).
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