Cathrin Reisenauer, Nadine Ulseß-Schurda
Ich bin für dich da
Über die Gestaltung pädagogischer Beziehungen
ISBN Print: 978-3-0355-1128-4
ISBN E-Book: 978-3-0355-1129-1
Zeichnungen: Eva Rust, www.evarust.ch
1. Auflage 2019
Alle Rechte vorbehalten
© 2019 hep verlag ag, Bern
www.hep-verlag.com
Für alle Schülerinnen und Schüler, die
immer wieder bereit waren und sind, ihre
Erfahrungen mit uns zu teilen. Von euch
können wir am meisten lernen.
Almut Sopper
Bela Pfahl
Carina Walder
Emilia Jung
Nina Kappacher
Paula Wolf
Valentina Bramböck
Ohne euch würde es dieses Buch nicht so
geben. Für eure Offenheit, eure Ehrlichkeit
und euren Mut möchten wir uns von
ganzem Herzen bedanken.
«Every child deserves to be warmly greeted,
to have their name used positively,
and to be hugged, high-fived, hand-shaked,
or at least smiled at by their teacher, daily.
This is the bare minimum.»
Dwayne Reedl
INHALT
Vorwort
Einleitung
TEIL 1 ANERKENNUNG IN DER SCHULE – AUF DEN PUNKT GEBRACHT
TEIL 2 DIE GESTALTUNG PÄDAGOGISCHER BEZIEHUNGEN
1. Ich nehme dich wahr
2. Ich begegne dir
3. Ich trete dir gegenüber
4. Ich spreche dich an
5. Ich gebe dir Rückmeldung
6. Ich versage dir
7. Ich bin für dich da
TEIL 3 DIE AUFGABE BIN ICH
Eine Sammlung von Erinnerungsgeschichten
Literaturverzeichnis
VORWORT
«Mensch sein heißt ja niemals, nun einmal so und nicht
anders sein müssen – Mensch sein heißt immer, immer
auch anders werden können.»
Viktor Frankl
In diesem Buch werden sechs pädagogische Praktiken vorgestellt, die den Aufbau und die Gestaltung professioneller und entwicklungsfördernder Beziehungen durch Anerkennung in den Mittelpunkt stellen. Wer in der Schule erfolgreiches Lernen will, muss die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern gestalten. Pädagogische Beziehungen bewegen sich dabei im Spannungsfeld von Nähe und Distanz und stellen deshalb eine große Herausforderung in der Beziehungsgestaltung dar. Für die vorliegenden Betrachtungen ist der häufig verwendete Begriff der professionellen Distanz irreführend. So kommt das Wort Distanz vom Lateinischen distantia und bedeutet Abstand oder Entfernung; distare bedeutet auseinanderstehen, getrennt oder entfernt sein. Um eine pädagogische Beziehung zu beschreiben, ist die Betonung der pädagogischen Nähe wichtig. Deshalb werden hier Möglichkeiten aufgezeigt, wie eine professionelle Nähe in Schule und Unterricht aufgebaut werden kann und Lernen ermöglicht wird. Erfolgreiches Lernen verstehen wir dabei nicht als bloßes fachliches Lernen und Wissensaneignung, zum erfolgreichen Lernen in der Schule gehört auch Persönlichkeits- und Herzensbildung. Lernen und Bildung hat die Sicherung einer friedvollen und humanen Zukunft für uns alle zum Ziel. Dafür braucht es Menschen, die verantwortungsbewusst, beziehungsfähig, anerkennend und selbstbewusst sind. Darum sollen Schülerinnen und Schüler sich als Subjekt eigener Lernprozesse erleben und nicht als Objekt der Belehrung. Menschliche Entwicklung passiert nicht linear, kann auch nicht von außen gesteuert werden und geht von der sozialtheoretischen Einsicht aus, dass Individuen sich in und durch Beziehungen zu anderen Menschen entwickeln (vgl. Hegel, 1807/1970). In Schulen heutzutage zeigt sich vermehrt, dass Kinder und Jugendliche ein großes Bedürfnis nach Begegnung, Kommunikation und Gemeinschaft haben. Das pädagogische Handeln von Lehrerinnen und Lehrern hat also große Bedeutung, denn durch ihre LehrerInnen können SchülerInnen lernen, sich in einem Wir zusammenzufinden. Hannah Arendt (1972, 194) schreibt in Vita Activa, dass Macht eigentlich niemand alleine besitzt, «sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, wenn sie sich zerstreuen». Für Carolin Emcke (2016, 218) wäre das die schönste Beschreibung von einem Wir in einer demokratischen Gesellschaft: «Dieses Wir ist immer ein Potential und nicht etwas Unveränderliches, Messbares, Verlässliches. Das Wir definiert niemand alleine. Es entsteht, wenn Menschen zusammen handeln, und es verschwindet, wenn sie sich aufspalten.» Auch in einer Schule kann ein solches Wir entstehen, das Sich-in-Verbindung-bringen mit den mitlebenden Anderen wird zur zentralen pädagogischen Aufgabe. So wird ausgehend von einem humanistisch-systemischen Menschenbild der Mensch sowohl als Individuum wie auch als soziales Wesen betrachtet. Schule und Unterricht müssen von einer menschenrechtlich begründeten Pädagogik her gedacht werden. Lehrende stellen als pädagogisch Handelnde ein signifikantes Gegenüber für die Entwicklung und das Lernen von SchülerInnen dar. Anerkennung spielt für die Frage nach dem Aufwachsen in einer Demokratie eine zentrale Rolle. Eine Demokratie ist auf die humane Sozialisation ihrer Bürgerinnen und Bürger angewiesen und hat nicht nur rechtliche, materielle oder strukturelle Dimensionen, sondern auch persönliche. Die Erfahrung von Anerkennung ist die Voraussetzung für Selbstachtung und Freiheit. Annedore Prengel beispielsweise (2013, 13) bezeichnet es als «gesellschaftliche und persönliche Gestaltungsaufgabe», wenn Beziehungen in gesellschaftlichen Hierarchien Anerkennungsbeziehungen sein sollen. Wenn hier eben jene Anerkennungsbeziehungen betrachtet werden, dann geht es nicht darum, sich an unterschiedlichen pädagogischen «Schulen» auszurichten. Die Aufmerksamkeit wird auf das jeweilige Tun der Lehrerin und des Lehrers gelegt und es stellt sich dabei nicht die Frage nach richtiger oder falscher Denkweise. Das Kind steht im Mittelpunkt des Geschehens und all unserer Überlegungen als PädagogInnen, denn mit Janusz Korczak (2015, 27) gedacht ist das Kind ein Experte für Schule und Lernen: «Ohne Mitwirkung von Experten bewältigen wir das Ganze nicht, und Experte ist das Kind.» Bei aller Unterschiedlichkeit der Kinder, mit denen wir im täglichen Handeln zu tun haben, stellt sich die Frage, was beim Kind ankommen muss, um sich zu entwickeln und um ein tragfähiges Selbstkonzept auszubilden. Ausgehend von unseren Forschungen würden wir diese Frage kurzum damit beantworten, dass ein Kind Anerkennung erfahren muss.
EINLEITUNG
«Das Kind hat eine Zukunft, aber es hat auch eine
Vergangenheit: denkwürdige Ereignisse, Erinnerungen,
viele Stunden einsamer, wichtiger Überlegungen. Es
erinnert sich und vergißt, nicht anders als wir, es schätzt
und missachtet, kann logisch denken – und irrt sich aus
Unwissenheit. Bedächtig vertraut und zweifelt es.»
Janusz Korczak
Anerkennung, was ist damit gemeint? Ist Anerkennung wertschätzendes Verhalten von LehrerInnen, SchülerInnen wohlbehütet in eine rosarote Traumwelt gehüllt, ohne wirkliche Rückmeldung, sondern ausschließlich mit Lob und Bestärkung durch die Schulzeit zu führen? Ist Anerkennung das, was Kinder brauchen, um sich immer wohl und glücklich zu fühlen? Bekommen Kinder und Jugendliche dadurch Mut und Kraft, im Leben zu bestehen? Oder ist es die Aufgabe von uns LehrerInnen, Schülerinnen und Schüler auf ihrem Weg zu autonomen, kritischen Menschen, die Verantwortung übernehmen können, zu bestärken, ihnen Grenzen zu setzen und sie zu begleiten?
Eine wichtige Rolle auf dem Weg zu verantwortungsbewussten Erwachsenen spielt, in welcher Weise die Kinder von Lehrenden angesprochen werden: als fähige Menschen, die selbst wissen, was gut für sie ist, oder als unmündige Kinder, denen ein allwissender Lehrer gegenübersteht, als Personen, die lernen und sich weiterentwickeln wollen, oder als «Faulpelze», die sich in der Schule nur eine entspannte Zeit machen wollen und nur Unfug im Kopf haben? Durch die Art und Weise, wie Kinder und Jugendliche angesprochen werden, wird eine Realität mitgeschaffen, die in dieser Form davor unter Umständen noch nicht existiert hat, oder aber eine bereits existierende Realität weiter festgeschrieben. Zentral für die weiteren Ausführungen ist es, dass, wann immer LehrerInnen ihre SchülerInnen ansprechen, pädagogische Handlungen vollzogen werden. Dabei ist keine Wertung im Sinne von positiv oder negativ, absichtsvoll oder unabsichtlich, gerecht oder ungerecht impliziert. Vielmehr ist es wichtig zu verstehen, dass alles, was Lehrerinnen und Lehrer tun, wirkt.
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