Wahl hat schon in den 80er-Jahren empirisch belegt, dass sich langjährige Ausbildungen von Lehrpersonen – nachgelagertes Referendariat einbezogen – kaum auf professionelles Handeln in der Schulpraxis auswirkt (Schubiger 2010). Das in Ausbildungen angereicherte Wissen scheint sich in der Praxis nicht als handlungswirksam zu erweisen. So unterscheiden sich 14-jährige Schüler bei einer Falllösung eines pädagogischen Fallbeispiels nicht signifikant von Studenten der Lehrerbildung im 1. Semester, und auch nicht von Studenten am Ende der Ausbildungen bzw. von Lehrpersonen mit mehrjähriger Erfahrung (Wahl, 2005, Wahl, Weinert & Huber, 1984, Wahl, 1976).
In dieser Zeit taucht auch der Begriff des «trägen Wissens» auf. Dieser stammt aus der Kognitions- und Lernpsychologie und wurde unter anderem von Renkl (1994, 1996) für den Sachverhalt vorgeschlagen, dass Wissen nicht handlungswirksam wird. Wissen kann drei Wirkungen auf die Planung, Durchführung und Auswertung von Handlungen haben. Im positiven Sinne steuert und beeinflusst Wissen unser Handeln oder anders gesagt: macht Handeln überhaupt möglich. Im neutralen Sinne beeinflusst träges Wissen unser Handeln in keiner Weise. Das heisst, unser Handeln wird durch erlerntes Wissen nicht verändert. Es ist zwar durchaus durch Prüfungen abrufbar. In der konkreten Praxissituation können wir es jedoch nicht für unser Handeln nutzbar machen. Drittens kann Wissen für das Handeln auch hinderlich sein. Das heisst: Träges Wissen stellt sogar eine ungünstige Voraussetzung für erfolgreiches Handeln dar (Wahl, 2005; Gruber, Mandl & Renkl, 2000).
Selbst das Planungshandeln, das im Gegensatz zum Interaktionshandeln in Ruhe und auf Distanz ausgeführt werden kann, scheint von jahrelangen Ausbildungen unbeeinflusst zu bleiben.
Anton Haas (1998) zeigt in seiner Untersuchung auf eindrückliche Weise, dass trotz jahrelangem didaktischem Studium das alltägliche Planungshandeln von Lehrkräften in keiner Weise von didaktischen Prinzipien und Theorien geleitet wird. Der Planungsprozess wird laut Haas meist routiniert und beschränkt sich im Wesentlichen auf die Stoffaufarbeitung und deren zeitliche Verteilung.
Auch Weiterbildungen, die im Normalfall sehr kontextbezogen sind, zeigen ein ähnliches Phänomen. Trotz Zufriedenheit über die Erfahrungen und Erlebnisse im Rahmen eines Kontaktstudiums Erwachsenenbildung und subjektiv positiv eingeschätztem Lernzuwachs können mittels Beobachtung in der Lehrpraxis keine Veränderungen des didaktischen und methodischen Handelns wahrgenommen werden (Eckert, 1990). Die «happy sheets», wie die Zufriedenheitsfragebögen auch mit Schmunzeln genannt werden, beinhalten keine Aussage über eine Umsetzung in der Praxis. In seinem Buch «Die Weiterbildungslüge» entlarvt Gris (2008) die «hochgelobte» praxisorientierte betriebliche Weiterbildung.
Selbst dann, wenn in Weiterbildungsveranstaltungen problemlösende Veränderungen für die Praxis erarbeitet wurden, beobachtet Mutzeck (1988) nur eine marginale Umsetzung dieser Absichten. Anscheinend genügt auch die Absicht für die Realisation in konkretes Handeln nicht.
Wahl (1991) hat bei Lehrpersonen in bestimmten Unterrichtshandlungssituationen, zum Beispiel in Störungssituationen, die subjektiven Theorien von Lehrkräften rekonstruiert. Er stellte dabei fest, dass diese unverwechselbar individuell und mit überzufälliger Prognose zukünftiges Handeln in vergleichbaren Situationen voraussagen. Subjektive Theorien erweisen sich somit als äusserst veränderungsstabil.
Dieses Phänomen des fehlenden Transfers einer Lernsituation in die konkrete Anwendungs- respektive Praxissituation wurde auch ausserhalb der Domäne der Lehrpersonenausbildung beobachtet.
So schneiden Studierende der Wirtschaftswissenschaften in einer Computersimulation einer Jeansfabrik nicht besser oder gar schlechter ab als Studierende anderer, wirtschaftsfremder Fakultäten (Gruber, Mandl & Renkl, 2000). Den Wirtschaftsstudenten gelingt es nicht, ihr umfangreiches «Expertenwissen» in einer realitätsnahen Simulation wirksam anzuwenden.
Selbst in einer Domäne wie der Pflegeausbildung in der Schweiz, wo dem Theorie-Praxis-Transfer besondere Beachtung geschenkt wird, stellt Schwarz-Goevers (2005) fest, dass die erlernten theoretischen Konzepte auch nach vierjähriger Ausbildung in der Praxis nicht herangezogen werden.
Man würde meinen, dass die gut bezahlten Fondmanager aufgrund ihrer Portfolioentscheidungen ihr Geld wert sind. Auch wenn der experimentelle Vergleich von Affenentscheiden mit Entscheiden von Börsianern ein Mythos ist und so auch nie stattgefunden hat, sieht die genauere Betrachtung auch für die Fondmanager nicht gerade schmeichelhaft aus: Forscher der Cass Business School (Clare, Thomas & Motson, 2013) realisierten dieses Experiment mit virtuellen randomisierten Affenentscheiden und stellten fest, dass die virtuellen Affen besser abschlossen als die tatsächlichen Fondmanager.
Grosse Hoffnungen wurden in die Vermittlung von Lernstrategien gesetzt: Wenn Lernende erst lernten zu lernen, würde sich damit zukünftiges Lernen verbessern (Weinert, 1983). Leider wurde diese Hoffnung in einen generalisierenden und weiten Transfer in verschiedensten Studien relativiert. Eine Metastudie von Hattie, Biggs und Purdie (1996) zeigt, dass dieser unspezifische Transfer nicht nachgewiesen werden kann. Die erlernten Strategien konnten nur in ähnlichen Aufgabenstellungen im selben Kontext angewandt werden. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Mähler und Hasselhorn (2001) sowie Leutner und Leopold (2003). Letztere zeigen, dass das Lernen der Strategien nicht automatisch zu deren Anwendung führt. Vielmehr ist ein bereichsspezifisches und zielführendes Training für eine Anwendung von Lernstrategien notwendig.
Trotz aufwendiger Interventionen und integriertem Lernstrategietraining konnten auch nach zwei Jahren bei Studierenden an einer höheren Fachschule (Schubiger, 2010) nur marginale Zuwächse von generalisierten Lernstrategieanwendungen nachgewiesen werden. Wurde das Training nur in einem Fach implementiert, so zeigte sich sogar ein negativer Transfer. Dieser kann nach Klauer (2011) theoretisch durchaus durch eine Strategieumstellung, eine Arbeitskapazitätsbelastung respektive eine Überforderung begründet werden.
Demgegenüber belegen die Autoren Hattie, Biggs und Purdie (1996) in ihrer Metastudie, dass sich bei einem Training einzelner Strategien und Techniken ohne Weiteres beachtliche Effekte beim Transfer auf neue Aufgabenstellungen zeigen. Diese Effekte zeigten sich bei folgenden Interventionen:
•Anbieten von Advance Organizern
•Technik des Zusammenfassens
•Einsatz von Wiederholungsstrategien
•Aufgabenspezifische Lernstrategien
•Wissensstrukturen wie Mapping
•Lernen durch Schreiben (produktiver Ansatz)
•Umstrukturierungstechniken
Die Beschränkung auf nur eine Lern- oder Arbeitsstrategie scheint einen nahen Transfer zu begünstigen. Das bedeutet, allmähliche Steigerung der Komplexität und geringe Belastung der Arbeitskapazität begünstigen eine Verhaltensänderung. Gut gemeinte, allumfassende integrierte und curricular eingebundene Lernstrategiemassnahmen überfordern nach heutigem Kenntnisstand die Arbeitskapazität der Lernenden.
Es scheint, dass sich der Transfer umso unwahrscheinlicher einstellt, je grösser die Transferdistanz ist. Klauer (2011) konnte diesen linearen Zusammenhang belegen, auch wenn dabei klar wurde, dass nicht nur die Distanz Stärken respektive Schwächen des Effekts erklärt. Praktisch in allen Studien zeigt sich, dass ein Transfer mit grosser Distanz nur schwer erreichbar ist.
Wenn Lernaufgaben und daran anschliessende Anwendungs- bzw. Testaufgaben identische Elemente beinhalten – dann ist naher Transfer grundsätzlich möglich.
Wer erinnert sich nicht an Musterlösungen und vorgeführte Lösungsbeispiele durch eine Lehrperson. Auch ich habe als Junglehrperson im Mathematikunterricht verschiedenste Musterbeispiele zuerst mit der Klasse gemeinsam gelöst, bevor ich Raum zum freien Üben gab. Renkl, Gruber, Weber, Lerche und Schweizer (2003, zit. nach Klauer, 2011) konnten in einem Transfertest zeigen, dass Studierende mit vordemonstrierten Lösungsbeispielen einer anderen Gruppe überlegen waren, welche die Lösungen selbständig erarbeiten musste. Die Autoren geben jedoch zu bedenken, dass dabei vornehmlich die Beherrschung der Lösungsstruktur und deren identischer Übertragung im Vordergrund steht. Demnach handelt es sich eher um einen «low road»-Transfer.
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