Andreas Pittler
Wiener Bagage
14 Wiener Kriminalgeschichten
Wiens dunkle Seite Stephansdom, Hofburg, Schloss Schönbrunn – selbst das malerischste Gebäude ist nicht davor gefeit, zum Tatort eines Verbrechens zu werden, und so rückt Inspektor Bronstein von der Wiener Mordkommission ein ums andere Mal aus, um vor glanzvoller Kulisse den Tätern zu Leibe zu rücken. Doch nur die Hälfte der historischen Geschichten basiert auf einer wahren Begebenheit, die andere Hälfte ist frei erfunden, was der Leserschaft Gelegenheit bietet, selbst zum Detektiv zu werden. Im Anhang findet sich schließlich die Lösung, gemeinsam mit touristischen Erläuterungen zu den diversen Sehenswürdigkeiten der Donaumetropole. Spannung, Rätselspaß und City-Guide, vor allem aber eine vergnügliche Lektüre.
Andreas Pittler wurde 1964 in Wien geboren und absolvierte dort auch seine Ausbildung. Später wandte er sich dem Journalismus zu. Seit 1985 veröffentlicht er Sachbücher, meist historischen Inhalts, sowie Biographien. Pittler ist als Historiker auch ein gern gesehener Gast in Radio und TV. Von Bundespräsident Heinz Fischer wurde er mit dem Berufstitel Professor und mit dem Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Bronstein (2019)
Die Spur der Ikonen (2017)
Der göttliche Plan (2016)
Mischpoche (2011)
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
5. Auflage 2020
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Imagno / Getty Images
ISBN 978-3-8392-4536-1
Tödliche Eifersucht
»Was ist denn mit Ihnen los, Bronstein? Wieso sind Sie immer noch im Amt? Haben Sie kein Privatleben, oder wie seh’ ich das!« Bronstein sah verwirrt von seinen Akten auf und blickte direkt in die blauen Augen seines Vorgesetzten. »Äh, wie bitte?«
»Na ich bitt Sie, Bronstein, irgendein Pläsier werden S’ doch haben! Wenn schon nicht Frau und Kind daheim warten, dann vielleicht die alten Herren Ihrer Verbindung in der Bierklinik. Oder wenigstens der Briefmarkensammlerverein im Kaffeehaus. Irgendwo muss doch der Beamte in Ihnen enden und der Mensch beginnen.«
Bronstein blies gepresst Luft aus. »Wie Sie wissen, bin ich ledig und habe keine Kinder. Ich war nie in einer Studentenverbindung, und Briefmarken sammle ich auch keine mehr, seit ich die Blaue Mauritius habe.«
Die Augen des Vorgesetzten sprangen schier aus den Höhlen. Doch noch ehe er seine logische nächste Frage aussprach, dämmerte ihm, dass Bronstein gerade einen Witz gemacht hatte. Die Miene wandelte sich von Erstaunen zu Mitleid. »Bronstein, Bronstein! Bei mir sind Ihre Witzchen fehl am Platz. Die holde Weiblichkeit müssen S’ umgarnen damit. Sie sind 43, Mensch! Wann wollen S’ denn endlich zu leben anfangen?«
Eigentlich wollte Bronstein diese Worte souverän abschmettern, doch irgendetwas in ihm hielt ihn zurück. Eigentlich hatte der Chef ja recht. Ohne, dass er es gemerkt hätte, war er alt geworden. Das Leben zog an ihm vorbei. Seit Jahr und Tag bestand das Sein für ihn nur aus Aufstehen, zur Arbeit Gehen, Heimgehen und Schlafengehen. Wären alle Wiener wie er, Nachtlokalbesitzer, Kabarettisten, Theaterdirektoren und Kinobetreiber könnten umgehend Konkurs anmelden. Ohne es zu wollen, seufzte er.
»Schau’n S’, Bronstein. Ich geh jetzt ins Theater. Da entspannt man sich, tut etwas für seine Bildung, und unterhalten tut man sich auch. Schau’n S’ doch, dass Sie wieder einmal unter die Leut’ kommen, Bronstein! Sonst sind S’ am End genauso verstaubt wie Ihre Akten.«
»Ich werde Ihren Rat beherzigen, Herr Hofrat«, quälte sich Bronstein ab, während sein Chef mit einem nonchalanten »Machen S’ das, Bronstein, machen S’ das« seiner Wege zog.
Was hatte er sich da wieder aufschwatzen lassen? Bronstein stöhnte still in sich hinein, ehe er wieder auf die Opernkarten blickte. Gleich am Morgen war der Hofrat bei ihm im Zimmer angetanzt und hatte ihm zwei Billetts für die Aufführung von Rigoletto am selben Abend auf den Tisch gelegt. »Meine Frau ist unpässlich, und ich muss ohnehin mit dem Herrn Präsidenten soupieren. Also ist das die willkommene Gelegenheit für Sie, endlich einmal wieder etwas Kulturluft zu schnuppern. Gehen S’ ruhig! Ist eine gute Oper. Verdi. Da ist immer etwas los. Und die Titelpartie wird von diesem jungen Rumänen gesungen, von dem alle sagen, er ist der neue Caruso. Der soll noch besser sein als der Kiepura.«
Natürlich sagte der Name Traian Grozavescu Bronstein rein gar nichts. Auch Jan Kiepura war ihm völlig unbekannt, und Caruso bedeutete ihm kaum mehr als ein fernes, fernes Klingeln in den hintersten Bereichen seines Gehirns, welches ein »da war doch was« umschrieb. Ja, er wusste nicht einmal, worum es in Rigoletto überhaupt ging.
»Nehmen S’ Ihnen ein fesches Mäderl mit, das können S’ mit den Karten da beeindrucken!«
»Aber Herr Hofrat, ich wüsste nicht, wen …«
»Ach papperlapapp! Die kleine Doleschal von der Registratur, die schaut Sie doch eh immer so sehnsüchtig an. Ich bin mir sicher, die sagt Ja, noch bevor Sie sie gefragt haben.« Bronstein bemühte vergeblich die Schatztruhen seines Gedächtnisses. Eine Doleschal kam da nicht vor. »Wer soll denn das sein? Die hagere Brünette? Die üppige Blondine? Die blade Schwarze?«
»Bronstein, wie reden S’ denn daher! Ich muss doch sehr bitten! So spricht man doch nicht über Damen. Obwohl, zugegeben, die Bruckner is scho ziemlich blad. Aber die is ja auch keine Dame, bitte schön. Na, na, die Doleschal. Das ist die Brünette mit den sinnlichen Lippen. Ich geb schon zu, ihr fehlt’s a bisserl an dem, was Männer wild macht, aber Sie sollen ja mit ihr auch in die Oper und ned ins Separee. Alsdern, Bronstein, fragen Sie sie. Sie wird ned Nein sagen.«
»Aber …«
»Sagen S’ jetzt nur ned, Sie haben heut Abend schon was vor, weil sonst werd’ ich fuchtig! Wissen S’ was, Bronstein, das is eine Weisung.« Der Hofrat grinste breit, und Bronstein konnte nur noch nicken.
In der Mittagspause nahm er all seinen Mut zusammen. Er trank noch schnell einen Slibowitz, dann nahm er einen alten Akt, der schon lange auf Pokornys Schreibtisch verschimmelte, und ging unsicheren Schritts in die Registratur.
»Na so was, der fesche Herr Major Bronstein! Beehrt mich da mitten am helllichten Tag! Sie sind mir aber ein ganz Forscher. So schamlos die weibliche Schwäche ausnützen, das hamma schon gern.«
»Äh …«
»Sie kommen sicher wegen dem Akt, gell. Ich kenn aber einen viel besseren Akt. Soll ich Ihnen den zeigen, Herr Major? Soll ich?«
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