Klassenführung und Disziplin
Bezüglich der Klassenführung zeigen sich in der Forschung klare Unterschiede zwischen «Novizen» (Junglehrkräften) und «Veteranen» (Lehrkräften mit viel Berufserfahrung). Die Novizen setzen «effiziente Klassenführung» weitgehend identisch mit «Disziplin» (Lernende unter Kontrolle haben, mit störenden Lernenden umgehen, sie zum Zuhören bewegen, ihnen klarmachen, wer hier «der Chef» ist). Bei den «Veteranen» kommt der Begriff «Disziplin» dagegen praktisch nie vor. Studien zeigen, dass für sie der Begriff «Klassenführung» etwas komplett anderes bedeutet. Sie verstehen darunter sorgfältiges und rechtzeitiges Planen der Unterrichtsstunde, Organisieren von Unterrichtsmaterial, das bei den Lernenden Interesse weckt sowie rechtzeitiges und entschiedenes Festlegen klarer Regeln des Verhaltens in der Klasse – kurz: Vorbeugung beziehungsweise Prophylaxe (vgl. Good & Brophy 1994; zit. in: Helmke 2003, S. 78–84). Bei der Klassenführung geht es also nicht darum – wie vielfach angenommen –, primär Disziplin und Ruhe im Klassenzimmer herzustellen, sondern darum, die Lernenden «zu motivieren, sich möglichst lange und intensiv auf die erforderlichen Lernaktivitäten zu konzentrieren, und – als Voraussetzung dafür – den Unterricht möglichst störungsarm zu gestalten oder auftretende Störungen schnell und undramatisch beenden zu können» (Weinert 1996, S. 124).
Klassenführung als ein Element von Unterrichtsqualität
Die Klassenführung trägt, zwar nicht explizit, aber doch wesentlich zur Unterrichtsqualität bei. Sie taucht dabei weder bei Meyer (2004) im Buch «Was ist guter Unterricht?» noch bei Helmke (2003) als eigenes Qualitätsmerkmal auf. Pietsch (2010, S. 141) beschreibt effektiven Unterricht anhand «differenzierter Facetten, die jedoch nicht als unabhängig voneinander zu betrachten sind» und bettet die Klassenführung in ein abgestuftes Bündel von Unterrichtsqualität ein.
Lernklima und pädagogische Strukturen sichern |
–Sicherung eines lernförderlichen Unterrichtsklimas–klare Strukturen des Unterrichts–vereinbarte Regeln werden eingehalten–klar formulierte, schülerorientierte Aufgaben |
Klassen effizient führen und Methoden variieren |
–vorausplanendes Handeln der Lehrkraft–Optimierung der aktiven Lernzeit–Variation von Methoden–Lob und Ermutigung zur Verstärkung positiver Lernfortschritte–bedarfsgerechte Anpassung der Unterrichtsgeschwindigkeit |
Schülerinnen und Schüler motivieren, aktives Lernen und Wissenstransfer ermöglichen |
–Motivation der Lernenden auf vielfältige Art und Weise–schülerorientierter und partizipativer Unterricht–Befähigung zum aktiven und selbstständigen Lernen–Bereitstellung von Transfermöglichkeiten zur Auseinandersetzung mit Unterrichtsinhalten |
Differenzieren, Schülerinnen und Schüler wirkungsund kompetenzorientiert fördern |
–Binnendifferenzierung und Individualisierung hinsichtlich des Lernens–Fokus auf nachhaltigem Kompetenzerwerb–Reflexion des eigenen Lernens als Bestandteil des Unterrichts |
Tabelle 1: Abstufungen von Unterrichtsqualität nach Pietsch (2010)
Es wird sichtbar, wie fein verwoben die Klassenführung mit anderen Bereichen von qualitätsvollem Unterricht ist. Sie ist unter anderem verortet in der Sicherung eines lernförderlichen Unterrichtsklimas, in der klaren Strukturierung des Unterrichts, in den geltenden Regeln, dem vorausplanenden Handeln der Lehrkraft, in der Optimierung der zur Verfügung stehenden Lernzeit, der Variation von eingesetzten Unterrichtsmethoden, dem lernendenorientierten und partizipativen Unterrichtsstil oder auch in der Binnendifferenzierung und Individualisierung bezüglich des Lernens (vgl. Syring et al. 2013, S. 79).
Merkmale erfolgreichen Führungsverhaltens
«Viele Wege führen nach Rom», so lautet eine weit verbreitete Version des bekannten Sprichworts. Dies trifft auch für die verschiedenen Arten von Klassenführung zu. Es gibt also nicht die eine spezielle Art erfolgreichen pädagogischen Handelns. Manche Lehrkräfte scheinen diesbezüglich einen persönlichen Stil aufzuweisen, den sie ziemlich unabhängig von äußeren Umständen realisieren, andere schlagen
–je nach Unterrichtssituation – unterschiedliche Wege ein. Mayr (2006, S. 236) ermittelte in einer Studie zum Führungsverhalten von Lehrkräften auf der Sekundarstufe II folgende vier Muster von «erfolgreiche(re)n Lehrpersonen»:
–Muster A zeichnet sich vor allem durch einen hohen Wert beim Faktor Unterrichtsgestaltung (das heißt: bedeutsame Lernziele, strukturierter Unterricht, klare Arbeitsanweisungen, interessanter Unterricht, Fachkompetenz, positive Erwartungshaltung sowie Verlässlichkeit) und eine ausgeprägte Tendenz zur Kontrolle des Schülerverhaltens aus. Lehrkräfte dieses Musters weisen aber auch einen akzeptablen Wert im Fördern sozialer Beziehungen auf.
–Muster B versucht das Verhalten der Lernenden vor allem durch Beziehungsförderung zu beeinflussen; was den Faktor Unterrichtsgestaltung betrifft, liegen diese Lehrkräfte praktisch mit jenen des Musters A gleich auf. Was die Verhaltenskontrolle betrifft, weisen Lehrkräfte dieses Musters den niedrigsten Wert von allen Gruppen auf. Es zeigt sich hier ein kommunikativ-beziehungsorientiertes Handlungsmuster.
–Muster C zeigt sich in einem ausgeglichenen, überall im Mittelbereich liegenden Verhalten. Es kann als neutrales Muster bezeichnet werden.
–Muster D liegt bezüglich der Beziehungsförderung und Unterrichtsgestaltung signifikant unter allen anderen Gruppen. Dass es trotzdem eine erfolgreiche Klassenführung ermöglicht, liegt wahrscheinlich an der angemessen praktizierten Verhaltenskontrolle. Es kann als disziplinierendes Handlungsmuster angesehen werden (vgl. ebd., S. 236 f.).
Die Studie bestätigt es also: Eine erfolgreiche Klassenführung kann über verschiedenartig fokussierte Wege erfolgen. Klar wurde in der Untersuchung aber auch, dass sich die Muster A und D hinsichtlich aggressiven Schülerverhaltens signifikant unterscheiden. Es ist anzunehmen, dass hier die typenspezifischen Differenzen bei der Unterrichtsgestaltung und beim Fördern sozialer Beziehungen durchschlagen. Zudem ergaben sich auch Hinweise auf Unterschiede bezüglich der Strategien, nach denen außerhalb des Unterrichts gelernt wird: So sind beim (kontrollierenden) Muster D die Einprägungsstrategien signifikant verbreiteter als bei den anderen Gruppen; beim (beziehungsfördernden) Muster B sind sie das dagegen am wenigsten. Spiegelbildlich dazu belegen diese beiden Muster die Randpositionen bei den Elaborationsstrategien (vgl. ebd., S. 237).
Verhalten von Lehrkräften und Lernenden
Die Ergebnisse der oben erwähnten Studie von Mayr (2006) bei Lernenden der Sekundarstufe II zeigen im Hinblick auf die Klassenführung eine enge Verknüpfung zwischen dem Lehrer- und Schülerverhalten. Obwohl keine direkte Wirkungsrichtung ausgemacht werden kann, ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf die hierarchische Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden das Verhalten der Lehrkräfte starken Einfluss auf die Lernenden hat:
–Merkmale der Unterrichtsgestaltung (so insbesondere die Interessantheit des Unterrichts, dessen klare Strukturierung und eine für die Lernenden erkennbare Bedeutsamkeit des Unterrichtsstoffs fürs spätere Leben) korrelieren substanziell mit dem Engagement der Lernenden im Unterricht. Die Merkmale der Unterrichtsgestaltung zeigen in der Tendenz auf, welches erfolgreiche Lehrkräfte sind und welches Lehrkräfte sind, die in der Klassenführung weniger Wirkung erzielen.
–Förderung sozialer Beziehungen: Dasselbe gilt für Strategien, die auf eine Förderung sozialer Beziehungen innerhalb der Klasse fokussieren. Dazu zählt im Speziellen ein wertschätzender Umgang mit den Lernenden sowie die Authentizität der Lehrkraft. Zusammen mit einer ausgeglichen-humorvollen Haltung sowie mit einfühlsamem Verstehen, sind dies Handlungsweisen, die auch präventiv gegen Aggressionen in der Klasse wirken.
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