Das Video eines Vortrags von Sir Ken Robinson, welches diese Position mit einer sehenswerten, wenn nicht gar suggestiven Comic-Visualisierung begründet
t12665, wurde in den letzten vier Jahren über elf Millionen Mal angeklickt.
Leitmedienwechsel-Reaktion 5: Wer redet noch von formaler Bildung?
Im Internet verfügbare Videos sind ein gutes Stichwort für die Argumentation der Leitmedien-Reaktion 5: Das Internet biete so viele Ressourcen, dass gar keine formale Bildung mehr notwendig sei. Interessierte Lernende finden im Internet sowohl massenhaft Inhalte, fertige Kurse als auch Gleichgesinnte, um sich auszutauschen. Die Schule verliere zunehmend ihr Informationsmonopol
a974, und das informelle Lernen sei der Ausweg aus einem hoffnungslos veralteten formalen Bildungssystem namens Schule
a1185. Dass die Schule nicht zum Leitmedienwechsel passe, hat Lewis Perelman 1992 im Buch School’s out
b2138sehr deutlich formuliert, als er meinte, Computer in die Schule zu integrieren sei etwa so sinnvoll wie Verbrennungsmotoren in Pferde einbauen zu wollen. Auch der Piaget-Schüler und LOGO-Erfinder Seymour Papert meinte bereits 1984, dass der Computer die Schule zum Verschwinden bringen werde – zumindest dann, wenn man Schule als einen Ort definiere, an dem Lernende nach Jahrgängen in Klassen eingeteilt sowie einheitliche Lehrpläne und Prüfungen durchführende Lehrkräfte existieren würden
t15231. Diese Einschränkung zeigt, dass die auf den ersten Blick klare Trennung zwischen Position 4 und 5 eher fließend verläuft. Es ist eine zunehmende Unzufriedenheit mit den derzeitigen Schulstrukturen, die in der Position 5 schließlich dazu führt, dass eine Reformation der Schule nicht für möglich gehalten und deshalb das Ende der formalen Bildung ausgerufen wird.
Auch die Leitmedienwechsel-Reaktion 5 ist nicht erst in den letzten Jahren entstanden. Neil Selwyn nennt Ivan Illichs Deschooling Society
b5209 von 1971 und Perelmans School’s out von 1992 als prominente Vorreiter dieser Position
t15205. Während Selwyn bei Illich eher eine Kapitalismuskritik als Motivation sieht, ortet er heute auch neoliberale Überlegungen als Hintergrund des Rufs nach Abschaffung der Schule. Gemäß dieser Argumentation hat die Digitalisierung eine staatlich organisierte und finanzierte Schule überflüssig gemacht. Dank moderner Technologie könnten einerseits die Lernenden selbst Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen und andererseits kommerzielle Unternehmen die benötigten Lerninfrastrukturen anbieten. Spätestens hier zeigt sich, dass die Frage nach der richtigen Leitmedienwechsel-Reaktion weit über didaktisch-pädagogische Aspekte hinausgeht.
Leitmedienwechsel-Reaktion 6: Wer redet noch von Bildung?
Die radikalste Reaktionsstufe schließlich orientiert sich an der Singularitätstheorie, die unter anderem vom Informatiker und Futurologen Ray Kurzweil,
p691prominent vertreten wird. Mit der Singularität
w2236ist der Zeitpunkt gemeint, an dem die künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz übertreffen wird. Kurzweil und andere prognostizieren die Singularität für die Zeit zwischen 2030 und 2040, da in dieser Zeit die reine Rechenkapazität eines Computers diejenige eines menschlichen Gehirns übertreffen wird, wenn das mooresche Gesetz (siehe Kapitel 1) bis dann weiter gültig bleibt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt werde es nicht mehr darum gehen, die Bildung von Menschen zu optimieren, sondern das Zusammenleben von Menschen mit intelligenten Robotern zu organisieren und in letzter Konsequenz der künstlichen Intelligenz zu erklären, warum die menschliche Intelligenz überhaupt noch nützlich sei
a1186. Der Posthumanismus benötigt keine Bildung.

Abbildung 2.1: Mögliche Reaktionen der Schule auf den digitalen Leitmedienwechsel
Fazit
In der bildungspolitischen Diskussion findet sich eine große Bandbreite an Meinungen, was mit der Schule angesichts des Leitmedienwechsels geschehen sollte. Sie reicht von abwehrenden oder ignoranten Haltungen über gemäßigte Modernisierungsabsichten und revolutionäre Sichtweisen bis hin zur Forderung, die Schule oder gar die Bildung abzuschaffen (siehe Abbildung 2.1). Diese Positionen sind unvereinbar. In ihnen spiegelt sich weit mehr als die Frage nach der Bedeutung des Computers in der Schule wider. Die Leitmedienwechsel-Reaktionen repräsentieren ganze Welt- und Wertvorstellungen. Entsprechend schwierig sind Diskussionen zu diesem Thema. Die Leitmedienreaktions-Skala kann aber helfen, extremere Positionen in pragmatischen Diskussionen in ihre Schranken zu verweisen, entweder laut vernehmbar öffentlich oder leise für sich selbst.
Kernaussagen
› Die Bandbreite an Vorschlägen, wie die Schule auf den Leitmedienwechsel reagieren soll, ist sehr groß und reicht vom Ignorieren bis zur Abschaffung der Schule beziehungsweise der Bildung.
› Die Leitmedienwechsel-Reaktionen repräsentieren Welt- und Wertvorstellungen.
› Die Leitmedienreaktions-Skala kann in Diskussionen klärend wirken.
Alle zitierten Quellen dieses Kapitels finden Sie unter
t16002.
3 Welche Allgemeinbildung wird im Leitmedienwechsel benötigt?
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