Seine sämtlichen Manuskripte waren wie seine Bücher „... das Resultat seiner umfassenden Beschäftigung mit der gesamten abendländischen Literatur in Verbindung mit seinen künstlerischen, ästhetischen und gesellschaftlichen Vorstellungen, die durch den Jugendstil geprägt sind. In Ewers treffen also eine ganze Reihe verschiedenartiger Voraussetzungen zusammen, deren Gesamtergebnis dann seine spezifische Form der Phantastik ist.“ (73) Man kann wohl davon ausgehen, dass wie in seinen Büchern auch in den ‚Kinostücken‘ der bei ihm typische Schicksalsglaube triumphiert; die Herrschaft der Materie wird durch die Herrschaft des Schicksals ersetzt, einer Macht, die der Mensch zudem nicht zu erklären vermag, weil sie sich jedem Erkenntnisprozess durch ihr transrationales Sein entzieht. (74) Diese Irrationalisierung von Entfremdungserfahrungen und die Verinnerlichung gesellschaftlicher Konflikte waren charakteristisch für die Haltung der überwiegenden Mehrheit des deutschen Bürgertums im Wilhelminismus. Sozialpsychologische Interpreten wie Klaus Kreimeier weisen denn auch – in der Tradition eines Siegfried Kracauer stehend – bei dem Streifen DER STUDENT VON PRAG darauf hin, dass hinter dem traumatischen Individuum, seiner Ich-Schwäche und Bewusstseinsspaltung, der Zustand der alten Gesellschaft vor 1914 zum Vorschein komme:
„Der Student Balduin hat sein Spiegelbild verkauft, um die Hand einer Comtesse zu erringen: der Bürger liiert sich also mit dem Adel und verzichtet damit auf seine Klassenposition, auf seine eigene politische Rolle. Doch im aufgegebenen Spiegelbild erwächst ihm ein konkreter, leibhaftiger Verfolger: sein zweites, verdrängtes Ich vertritt den neuen Stand, die Klasse der Besitzlosen, und wird dem Bürger von nun an nicht mehr von den Fersen weichen. Der historische Verrat der Bourgeoisie war ein Verrat aus Angst und hat neue Angst produziert.“ (75)
Die Ganzen von Hanns Heinz Ewers für die Kinoindustrie entworfenen Geschichten dieser Jahre vor dem Ersten Weltkrieg dienten der irrationalen Verschleierung gesellschaftlicher Konfliktsituationen; er trug seinen Anteil dazu bei, eine rationale Erfassung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu verhindern und den Einzelnen im Zustand eines unmündigen, fatalistisch duldenden Objekts zu halten. Aber ohne ihn, ohne sein Faible für dieses neue Medium, ist die erste so genannte Blütezeit der deutschen Kinematographie nicht denkbar. Durch seine Manuskriptarbeiten verhalf er auch den anderen Filmautoren zu neuem Selbstverständnis und Ansehen; den Autor eines Manuskriptes empfand man von nun an bei der Herstellung eines Films nicht mehr als Außenstehenden, sondern als einen Filmkünstler wie den Regisseur und den Kameramann. Die ‚Kintopp‘-Zeiten, in denen man meinte, „Schriftsteller bräuchten nur zu träumen, Dilettanten nur die Feder in die Hand zu nehmen und Kinder nur zu stammeln und ein ‚Lebendes Bild‘ ist fertig“ (76), waren dahin.
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