„Er setzte in nettem Plauderton einer die Hammonia repräsentierenden, mit ihm am Tisch sitzenden Dame auseinander, wie sich Kino und Schauspielbühne unterscheiden und welche weitgehenden Möglichkeiten dem Kino, obgleich ihm das gesprochene Wort fehle, in mancher Hinsicht ein Uebergewicht über die Bühne verliehen.“ (40)
Ansonsten war Hanns Heinz Ewers während dieser Zeit mehr mit seiner Tätigkeit bei der ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ beschäftigt. In Arbeitskontakt zu dieser Firma dürfte er etwa ein Jahr, bis zu seiner Abreise nach Amerika, gestanden haben, aber es ist fraglich, ob er festangestellter Dramaturg war. Diese Funktion übte von den Schriftstellern m. W. nur der „geniale Vagantendichter“ (41) Heinrich Lautensack (1881-1919) bei der Filmfirma ‚Continental-Kunstfilm G.m.b.H.‘ aus (42) – zudem war seit dem 1.2.1913 Alfred Leopold, der vormalige Dramaturg der ‚Dekage-Films‘ und Reklamechef der ‚Deutschen Kinematographen-Gesellschaft‘, als Dramaturg und Reklamechef bei der ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ eingestellt. Ewers hatte aber wahrscheinlich sehr schnell die „‘geistige‘ Oberleitung“ (43) bei der Film-Gesellschaft an sich gerissen; als ein Mitarbeiter der in Berlin erscheinenden Filmzeitschrift ‚Das Lichtbild-Theater‘ bei „Ein(em) Gang durch die Kino-Industrie“ (44) auch „… in Hanns Heinz Ewers‘ Reich“ (45) in Neubabelsberg vorbeischaute, drängte sich ihm sogar der Eindruck auf, dass die Firma vollkommen von dem Schriftsteller geleitet werde. Erich Zeiske ließ aber umgehend in die nächste Nummer der Zeitschrift eine Berichtigung einrücken, in der er darauf hinwies, dass er seit fast sechs Jahren unverändert der alleinige Direktor der Film-Gesellschaft sei (46) – der „spiritus rector“ (47) Ewers hatte wohl lediglich durch eine Erkrankung von Zeiske vorübergehend den Betrieb geleitet. Im Mai 1913 schrieb er begeistert an seine Mutter: „- hier ist wieder die große flimmerei im gange: Berlin hört, sieht, sieht, spricht nichts anderes als: flimmern, flimmern, flimmern!“ (48) Über das emsige Treiben in der Kinoindustrie hatte sich schon im März des Jahres das humoristisch-satirische Wochenblatt ‚Kladderadatsch‘ lustig gemacht und dabei auch Hanns Heinz Ewers nicht unerwähnt gelassen:
„m.br. Eine bekannte Filmfabrik hat sich neuerdings an die Regierung mit der Anfrage gewandt, ob sie kinematographische Aufnahmen von der demnächst zu erwartenden Hinrichtung eines bekannten siebenfachen Raubmörders gestatten wolle. Für diesen Fall erbietet sich die Firma,
1. Die gesamten Unkosten der neuen Militärvorlage zu übernehmen.
2. 120 vollarmierte Überdreadnoughts stärkster Sorte zu stellen.
3. Die Hälfte der Reichsschulden zu bezahlen.
4. Die Apanage sämtlicher preußischen Prinzen und Prinzessinnen zu bestreiten.
5. Die ganze Insel Korfu dem Kaiser als Jubiläumsgeschenk darzubieten.
6. Außerdem aber noch alle in Frage kommenden Burgen Deutschlands funkelnagelneu zu restaurieren. Sollte die Aufnahme auf Grund dieser Bedingungen zustande kommen, wird Hanns Heinz Ewers die Einleitungsworte bei der ersten Vorführung sprechen.“ (49)
Der ‚Kinostiker‘ Ewers hatte allen Grund, zufrieden zu sein: die ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ ließ ihm zur Verwirklichung seiner Ideen und Manuskripte weitgehend freie Hand – auch finanzieller Art. Die Verpflichtung solch damals bekannter Theater-Schauspieler wie u.a. Alexander Moissi (1880-1936), Lucie Höflich (1883-1956) und Tilla Durieux (1880-1971) für die ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ ist vermutlich auch auf ihn zurückzuführen.
1913 kamen noch zwei von ihm geschriebene und wohl auch teilweise mitinszenierte Filme zur Uraufführung, wobei der Streifen ... DENN ALLE SCHULD RÄCHT SICH AUF ERDEN, wieder ein ‚Soziales Drama‘ wie DER VERFÜHRTE, von der Filmfirma ‚Eiko-Film G.m.b.H.‘ produziert worden war. Mit-Regie hatte, wie bei dem STUDENT VON PRAG und fast allen anderen Ewers-Filmen der Jahre 1913/14, der Däne Stellan Rye. Lediglich DER VERFÜHRTE und der weiter unten besprochene Film DIE LAUNEN EINER WELTDAME wurden von dem Regisseur Max Obal gedreht, dem Ewers später zugestand (50), dass er weit über das Niveau der sonstigen Regisseure jener Jahre hinausgeragt habe. Von dem 4 Akte langen ‚sozialen Drama‘ ... DENN ALLE SCHULD RÄCHT SICH AUF ERDEN, das laut einer Besprechung in der ‚EIFZ‘ „... eine Schicksalstragödie von außerordentlicher Herbheit“ (51) war, gibt es heute keine Kopie mehr:
„Baron Rüttersheim verführt unter einem falschen Namen die Tochter eines einfachen Musikers, Grete Rothe, und läßt sie dann sitzen. In höchster Verzweiflung, vom Vater verstoßen und ohne Chance auf eine Stellung, will sie sich ins Wasser stürzen – da führt ein Zufall ihr die Baronin Rüttersheim über den Weg, die sie als Gesellschafterin engagiert. Nichtsahnend trifft sie im Hause der Baronin auf ihren Verführer, der eine neuerliche Liaison mit ihr anfängt und sie dann wieder verläßt. Grete Rothe rächt sich nun an seinem Sohn Paul, der ihr rettungslos verfallen ist. Als der Baron von seiner ehemaligen Geliebten Rechenschaft über ihr Tun fordert -- da ertönt aus dem Nebenzimmer ein Schuß! Paul hat sich in der höchsten Not, als ihm kein anderer Ausweg mehr blieb, erschossen.“ (52)
Den am 3.11.1913 zensierten Streifen DIE EISBRAUT, der 4 Akte und 1198 m lang war, hatte Ewers nach seiner Novelle ‚John Hamilton Llewellyns Ende‘ gestaltet; lediglich den Schlussteil der Novelle – die Unterbringung des Malers in einem Irrenhaus – hatte er unberücksichtigt gelassen. Hier war er zum ersten Mal von seiner später aufgestellten Maxime abgewichen, Stoffe, die er zuvor literarisch gestaltet hatte, nicht selbst für den Film zu bearbeiten – von ‚Ummünzung‘ und ‚Umgießung‘ hielt er nichts bzw. hielt den Autor der literarischen Vorlage eigentlich für die dafür denkbar ungeeignetste Person (53); Anfang der dreißiger Jahre formte er dann auch seinen Roman ‚Horst Wessel‘ in ein Drehbuch für einen gleichnamigen Film um. Inwieweit in DIE EISBRAUT wie in der Novelle der bei Ewers um diese Zeit typische Schicksalsglaube herrscht, lässt sich heute nicht mehr anhand einer Sichtung feststellen, da es auch von diesem Streifen keine Kopie mehr gibt. (54) Zudem verbot der Zensor diesen Streifen und so liegen auch keine Besprechungen der Filmzeitschriften vor. „Wenn man weiß, daß es um die Liebe des Malers Llewellyn zu einer nackten Frauenleiche geht, die seit 20.000 Jahren in einen Eisblock eingeschlossen ist und dem wahnsinnig werdenden Maler, als er sie befreit, unter den Händen zu Brei zerfließt, wird die Zensurentscheidung verständlicher.“ (55) Das ‚Programmheft‘ des Films wies auf den dem Streifen zugrundeliegenden philosophischen Hintergrund hin und betonte, dass es Ewers um mehr als um die Schilderung eines sensationellen Geschehnisses gegangen sei. (56)
Hanns Heinz Ewers setzte mit seinen sämtlichen Manuskripten der Jahre 1913/14 die mit DER VERFÜHRTE und DER STUDENT VON PRAG begonnene Linie fort, wenngleich er mit keinem Film mehr so reüssieren konnte wie mit DER STUDENT VON PRAG. Er folgte seiner Neigung zum Absonderlichen und zur abenteuerlichen Romantik; die Themen pendelten zwischen ‚wilder‘ Phantastik und ‚echtem‘ Alltagsleben, durchzogen von grotesken Verwandlungsszenen und phantastischem Spuk:
„Die Tat ist nichts – der Gedanke ist alles. Die Wirklichkeit ist hässlich, und dem Hässlichen fehlt die Berechtigung des Daseins. Die Träume aber sind schön, und sind wahr, weil sie schön sind. Und darum glaube ich an die Träume, als an das einzig Wirkliche.“ (57)
Ein Beleg für seine Linie ist auch das „phantastische Abenteuer“ und „romantische Drama“ (58) DIE AUGEN DES OLE BRANDIS. Aus ‚Scapinelli‘ ist in diesem Streifen der abschreckend hässliche Antiquitätenhändler ‚Coppilander‘ geworden, und wieder schließt der ‚Held‘ einen Pakt mit dem Teufel ‚Coppilander‘ ab – ein von ihm ausgehändigter Brief, über die Augen gestrichen, lässt Ole Brandis die Menschen in ihrer wahren Gestalt sehen:
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