„Aber hunderte Jahre nach Kleopatra und Theodora von Byzanz“, rümpfte Jelena die Nase. „Eine Urlaubsreise nach Deutschland! Gibt dir nicht zu denken, dass alle Deutschen Jahr für Jahr für ihren Urlaub hierherfahren?“
Damit entschwand sie in Richtung Küche.
Wenig später kam sie mit zwei Gläsern ihres im wahrsten Sinn des Wortes umwerfenden Martini-Cocktails. Für Vossi beinahe die Gewissheit: Er hatte es geschafft.
„Na gut, wenn du die Nähe einer längst Verwesten brauchst, um am Glanz meines Geschlechts froh zu werden, dann fahren wir halt hin. Aber nimm genügend von unserem Friulano mit. Du weißt, Bier macht dick.“
Dazu bohrte sie ihren Zeigefinger in die Wölbung seiner Mitte, die auf seinem Gürtel Spuren hinterließ. Wie Jahresringe dokumentierten sechs aufeinanderfolgende ausgedehnte Löcher der Schnalle Gewichtszunahme.
Also hatte er Jelena doch überreden können. Er unterdrückte das riskante Lächeln des Siegers, das nur zu oft schon die Früchte seiner Überredungskunst verdorben hatte, und küsste stattdessen zart ihre Wange. Leichter Dunst aus feinsten Perlen hatte sich auf das Cocktailglas gelegt, so als wolle er die gefährliche Wirkung des Inhalts vertuschen. Doch der Duft nach Wacholder, Muskat und Limone machte Appetit auf Jelenas Rezeptur: Gin der Marke Beefeater, beinahe pur, dazu ein Schuss Cinzano Dry und ein klitzekleiner Hobelspan einer biologisch gereiften Zitrone aus Amalfi. Vossi wusste: Drei davon auf nüchternen Magen und die Beefeater des Londoner Towers tanzten zur Melodie der Sirenen der Costa Napoletana.
Weshalb er nur vorsichtig nippte und zu seinen Staufern und Ottonen zurückkehrte. Mühsam arbeitete er sich durch all das Hauen und Stechen der Schlachten jener Zeit, während Jelena mit ihrer Gartenschere die Hecken disziplinierte. Wann immer Vossi aufblickte, sah er Blätter und Äste fallen gleich Mann und Pferd in seinen Texten.
Bis eine Polizeisirene die Beschaulichkeit störte. Sie kam von der unteren Serpentine im Tal, näherte sich jedoch rasch. In jeder der Kurven wieherten die gepeitschten Pferde des Einsatzwagens. Also musste etwas Ärgeres vorgefallen sein. Quietschend bremste sich der Lancia vor seinem Gartentor ein. Sie wirbelten genug Staub auf, um Jelena husten und fluchen zu lassen. Rasch legte Vossi seine Papiere zur Seite und eilte den Kollegen entgegen, um ihnen böse Kritiken seiner Liebsten zu ersparen. Sie hatte etwas gegen Polizisten im Allgemeinen und gegen Carabinieri im Besonderen. Warum, hatte sie nie überzeugend erklären können. Vossi hoffte, dass es nichts war, das speziell mit seinem Aufgabenbereich zu tun hatte. Ganz sicher war er sich aber nicht.
„Muss wohl irgendetwas passiert sein mit Roberto“, sagte er halblaut und sorgte sich sogleich um seinen jungen Assistenten. Denn wann immer es einen Vorfall gab, also einen Leichenfund oder zwei, überbrachte der die Meldung per Telefon. Was hatte also diese Auffahrt mit Folgetonhorn zu bedeuten?
Drei junge, durchtrainierte Uniformierte sprangen aus den Limousinen, standen vor Commissario Vossi stramm und salutierten.
„Eine Frau ist ermordet worden, in einem LKW der Fischerei-COOP“, meldete ein unterernährt Wirkender mit der Gesichtsfarbe des italienischen Südens, also irgendwo zwischen braun gebrannt und ersten Hepatitissymptomen.
„Wie in einem LKW getötet worden?“
„In der Kühlbox eines der Lieferwagen der Fischerei-COOP von Grado.“
„Und?“
„Wir haben den Direktor der COOP, einen Fahrer und die Putzbrigade der Tamilen festgenommen. Besonders der Fahrer, ein gewisser Gustavo Priolo, hat sich sehr verdächtig gemacht.“
Der Carabiniere stand noch immer stramm, als Vossi ihn fragte: „Wie macht man sich verdächtig, wenn man des Mordes beschuldigt wird?“
„Nun, er hat sofort erklärt, er habe mit der Sache nichts zu tun.“
„Hätte er das nicht getan, hätten Sie ihn dann nicht noch viel nachhaltiger verdächtigt, wegen seiner Kaltblütigkeit?“
„Er hat aber den Wagen gefahren. Außerdem machte er Anstalten, sich der Festnahme zu entziehen.“
„Er wurde gewalttätig?“
„Er wollte zur Tür. Außerdem hat er gebrüllt.“
„Was hat er gebrüllt?“
„Ich habe nichts getan.“
„Wäre das nicht auch eine ganz natürliche Reaktion eines Unschuldigen?“
„Es war das Wie. Wie er es gebrüllt hat, Commissario.“
„Haben Sie die Leute festgenommen oder verhaftet?“
„Es ging sehr schnell, weil der Beschuldigte fliehen wollte. Also mussten wir ihm Handschellen anlegen.“
„Also war es eine Verhaftung. Haben Sie ihm seine Rechte erklärt?“
„Wie ich schon sagte, es ging alles sehr schnell.“
„Also nicht. Wo finde ich die Leiche?“
„Oh, wir haben nichts angerührt. Sie ist immer noch in der Kühlbox des Wagens.“
„Und der steht wo?“
„Im Hof der COOP in Grado.“
„Haben Sie meinen Assistenten erreicht, die Spurensicherung verständigt, die Gerichtsmedizin gerufen?“
„Nein, wir sind sofort hierher zu Ihnen.“
„Warum haben Sie mich nicht angerufen?“
„Hat der Capitano versucht. Es gab aber keine Antwort.“
Nun erinnerte er sich. Jelena hatte darauf bestanden, das Telefonino abzuschalten. Mit der Begründung, dass er sich für das Wochenende abgemeldet habe, weil sich die Schwiegereltern angesagt hatten.
„Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Und jetzt ist Schnaps“, hatte sie gesagt und die Verbindung seines Telefoninos weggedrückt.
„Ich sage nur meiner Frau Bescheid und bin sofort wieder da.“ Vossi registrierte, dass die drei Männer, kaum, dass er sich abgewendet hatte, wieder bequem standen. Das ganze Getue mit Strammstehen, Bequemstehen und Salutieren nervte ihn schwer. Schon weil sich Jelena stets darüber lustig machte und ebenfalls vor ihm salutierte, wenn er sich einmal im Ton vergriff. Allerdings salutierte sie mit herausgestreckter Zunge und einem lauten „Bääh“.
„Wo sind Ihre Verdächtigen?“, fragte Vossi, nachdem er auf dem Beifahrersitz des Einsatzwagens Platz genommen hatte. Den nahm er immer für sich in Anspruch, wenn er von Carabinieri gefahren wurde, weil ihm bei ihrer Fahrweise mit Blaulicht und Sirene auf den Rücksitzen unweigerlich schlecht wurde.
„In unserem Sozialraum. Wir haben sonst keinen Raum auf der Carabinieri-Station, der groß genug für alle wäre.“
„Wie viele sind es denn?“
„Zwei und die Putzbrigade der Tamilen.“
„Macht wie viel?“
„Elf.“
„Dann fahren Sie mich jetzt zuerst zur Leiche.“
Danach rief Vossi seinen Assistenten Roberto an und bestellte ihn zur COOP nach Grado. „Rund 20 Kilometer noch und wir sind vor Ort. Bei dem Tempo, das der Carabiniere vorlegt, in höchstens einer Minute. Evakuiere schon mal die Altstadt von Grado, damit es keine Verkehrstoten gibt. Und schau, dass sich die Spurensicherung sputet – und Dottor Lamberti von der Forensik. Wir wollen noch heute nach Hause. Morgen kommen meine Schwiegereltern zu Besuch.“
Der Lenker nahm eine Rechtskurve in einem Tempo, dass Vossi meinte, es würden sich mit Sicherheit die Reifen von den Felgen schälen.
„Was fahren Sie so schnell? Die Leiche läuft uns nicht weg“, fauchte er.
Darauf nahm es der Lenker für ein paar hundert Meter gemächlicher. Danach legte er wieder zu, als ob er die verlorene Zeit wettmachen wollte. „Wie Roberto“, ärgerte sich der Commissario. Roberto Vialli, der Sizilianer in seinem Team. Abgesehen von seiner Fahrweise hatte Vossi an ihm auszusetzen, dass er südliche Weisen zu summen begann, wann immer er sich bemühte, ihm die Geschichte der Habsburgermonarchie, hier die „Epoca“, nahezubringen. Es irritierte Vossi, dass Roberto zu seinen Geschichten von Kaiser Maximilian von Mexiko und dessen nahem Märchenschloss Miramar „O sole mio“ summte und dass er allen Ernstes Kaiserin Maria Theresia für die Frau König Vittorio Emanueles hielt. Und dass alle Mädchen der Questura unruhig wurden, wenn er an ihnen vorbeiging. Und dass Rita Jurinec, hoffentlich einmal Vossis Nachfolgerin, sagte, er möge mehr Geduld haben mit dem Jungen aus den Süden, den könne man doch einfach nur liebhaben. Und am schlimmsten waren Vossis Vorahnungen von dem Schmerz, den er empfinden würde an jenem unvermeidlichen Tag, an dem ihm Roberto seine Beförderung und Versetzung in den Süden eröffnen würde.
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