Brigitte Muth-Oelschner
Werner Hübner
MIT SCHLECHTEN KARTEN GUT GESPIELT
Kindheit in Kriegs- und Nachkriegsjahren
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2015
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei den Herausgebern
Titelbild von Natalia Rudolf
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titel Brigitte Muth-Oelschner Werner Hübner
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte bei den Herausgebern Titelbild von Natalia Rudolf Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de
Vorwort Vorwort Vor Ihnen liegen die Lebensberichte von vier Menschen aus den Geburtsjahrgängen von 1932 bis 1947. Die Erforschung der eigenen Biografie, das Schreiben darüber, vollzog zunächst ein jeder für sich allein. Dann wurden die Berichte bei gelegentlichen Treffen in der Gruppe miteinander besprochen. Anregungen aus der Gruppe wurden aufgenommen und in die Berichte eingearbeitet. Einig war sich die Gruppe darin, sich nicht nur auf die erlebten Traumata als Kriegskinder zu konzentrieren, sondern vielmehr das Augenmerk darauf zu richten, wie gerade diese Erfahrungen und Erlebnisse in der Kriegskindheit dem Einzelnen Ressourcen erschlossen haben, ohne die vermutlich ihr berufliches oder auch privates Leben nicht so erfolgreich verlaufen wäre. Die vielfältigen, in der Kriegs- und Nachkriegszeit erlebten Belastungen sollten eher im Sinne einer Herausforderung zur Entwicklung, nicht jedoch als prägendes Problem oder als unlösbare Krise gesehen werden. Als es dann darum ging, einen gemeinsamen Code für die Erlebnisse in und nach dem Krieg zu finden, welcher die Fähigkeiten und Stärken repräsentiert, das Leben sinnvoll und gut gestaltet zu haben, war man sich in der Gruppe schnell einig. „Wir haben mit schlechten Karten gut gespielt.“ Nachdem die Biografien geschrieben waren, bat die Gruppe mich, von außen kommend, noch einmal mit einem „analytischen Blick“ darauf zu schauen. Dieses „Drauf-schauen“ hatte Konsequenzen: Dort, wo etwa ein allzu sachliches Beschreiben erahnen ließ, dass damit einhergehende Gefühle nicht wahrgenommen/erinnert werden konnten, dass über bestimmte Erfahrungen nicht berichtet werden wollte und nicht konnte, erfolgten Nachfragen und die Ermutigung, sich auch dieser sicher schmerzlichen Erinnerungsarbeit zu stellen. Eine erneute Bearbeitung der Lebensberichte war die Folge. Die Ergebnisse liegen nun in diesem Buch vor. Mögen sie Ihnen, die Sie das Buch in den Händen halten, ein Stück gelebter Geschichte nahebringen. Vielleicht auch eine Anregung bieten, selber einmal neugierig auf Ihre eigene Lebensgeschichte zu blicken.
Mut und Entschlossenheit
Als junges Mädchen auf der Flucht
Krieg, Krankheit, Kummer – die Hoffnung siegt
Die zwei Welten meiner Kindheit
Kleine Sterne leuchten immer
Heimatlos in Kriegs- und Nachkriegsjahren
Als das Leben wieder neu begann
Ein Jungenleben in der Nachkriegszeit
Vor Ihnen liegen die Lebensberichte von vier Menschen aus den Geburtsjahrgängen von 1932 bis 1947.
Die Erforschung der eigenen Biografie, das Schreiben darüber, vollzog zunächst ein jeder für sich allein. Dann wurden die Berichte bei gelegentlichen Treffen in der Gruppe miteinander besprochen. Anregungen aus der Gruppe wurden aufgenommen und in die Berichte eingearbeitet.
Einig war sich die Gruppe darin, sich nicht nur auf die erlebten Traumata als Kriegskinder zu konzentrieren, sondern vielmehr das Augenmerk darauf zu richten, wie gerade diese Erfahrungen und Erlebnisse in der Kriegskindheit dem Einzelnen Ressourcen erschlossen haben, ohne die vermutlich ihr berufliches oder auch privates Leben nicht so erfolgreich verlaufen wäre.
Die vielfältigen, in der Kriegs- und Nachkriegszeit erlebten Belastungen sollten eher im Sinne einer Herausforderung zur Entwicklung, nicht jedoch als prägendes Problem oder als unlösbare Krise gesehen werden.
Als es dann darum ging, einen gemeinsamen Code für die Erlebnisse in und nach dem Krieg zu finden, welcher die Fähigkeiten und Stärken repräsentiert, das Leben sinnvoll und gut gestaltet zu haben, war man sich in der Gruppe schnell einig. „Wir haben mit schlechten Karten gut gespielt.“
Nachdem die Biografien geschrieben waren, bat die Gruppe mich, von außen kommend, noch einmal mit einem „analytischen Blick“ darauf zu schauen. Dieses „Drauf-schauen“ hatte Konsequenzen:
Dort, wo etwa ein allzu sachliches Beschreiben erahnen ließ, dass damit einhergehende Gefühle nicht wahrgenommen/erinnert werden konnten, dass über bestimmte Erfahrungen nicht berichtet werden wollte und nicht konnte, erfolgten Nachfragen und die Ermutigung, sich auch dieser sicher schmerzlichen Erinnerungsarbeit zu stellen.
Eine erneute Bearbeitung der Lebensberichte war die Folge. Die Ergebnisse liegen nun in diesem Buch vor. Mögen sie Ihnen, die Sie das Buch in den Händen halten, ein Stück gelebter Geschichte nahebringen. Vielleicht auch eine Anregung bieten, selber einmal neugierig auf Ihre eigene Lebensgeschichte zu blicken.
Werner Hübner
Mut und Entschlossenheit
Als junges Mädchen auf der Flucht
Auf die Welt gekommen bin ich als Zangengeburt und habe dadurch offensichtlich einen starken Lebenswillen entwickelt. Das war sicherlich auch notwendig in einer Familie, die durch die Nähe der Grenze zu Polen – ich habe nämlich meine Kindheit bis zur Flucht im Januar 1945 in Gleiwitz verbracht – immer in zwei Welten lebte.
Meine Großeltern mütterlicherseits wohnten in Polen, der Großvater verdiente den Unterhalt für seine Familie als Sattlermeister; sie galten als „Deutsche in Feindesland“. Meine Großmutter hat noch während des Krieges zusammen mit zwei Töchtern in Polen gelebt und zwar in dem Gebiet, das nach dem Ersten Weltkrieg an Polen fiel. Das Passieren der Grenze war aufwendig und nahm viel Zeit in Anspruch, die Kontrollen waren gründlich und streng. Ab dem sechsten Lebensjahr benötigte auch ich einen Reisepass. Bei der Großmutter und den Tanten war ich gern, ich fühlte mich von ihnen geliebt und mochte sie sehr. Bei meinen eigenen Eltern war ich mir in meinen Gefühlen jedoch nicht sicher. Für meinen Vater war ich wohl eine „Leistungstochter“. Meine Mutter hat mich sicher gemocht, und ich habe sie später, als ich größer war, sehr geschätzt.
Mein Vater war das 14. Kind; seine Eltern hatten einen großen Bauernhof. Er baute sich zusammen mit seiner jungen Frau eine neue Existenz auf. Bei uns daheim – meine Eltern hatten einen Gasthof – wollten wir mit Polen jedoch nichts zu tun haben, weil sie das sogenannte „Wasserpolnisch“ sprachen und eher den unteren Schichten angehörten. Meine Eltern, die perfekt Polnisch sprachen, hätten dies jedoch niemals in der Öffentlichkeit getan. Sie waren stolz darauf, Deutsche zu sein, wobei in unseren Augen die deutsche Seite eher durch Großindustrielle und jüdische Kaufleute geprägt wurde.
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