Vossi mochte seinen Freund Stipe Lamberti und schätzte ihn als Forensiker, aber manchmal fragte er sich, warum. Doch Stipe sollte recht behalten. Es war unmöglich, die Wasserleiche zu identifizieren, es gab keine Vermisstenanzeigen, die Bildsendung an Interpol erbrachte keine Meldung, der Akt verschwand in jenem Regal, das hausintern als „Friedhof der Namenlosen“ alle fünf Jahre mal durchforstet wurde, wenn Mörder vor Ort gerade eine größere Pause einlegten.
Der Bürgermeister und seine besorgtesten Lobbyisten, die Hotelbesitzer, atmeten auf, als sie hörten, dass der Fall ruhte. Mord war nicht gut fürs Geschäft.
Der grobschlächtige Typ mit dem gebügelten Gesicht des Bösewichts aus einem pixeligen Computerspiel wartete an einem der Glastische des Restaurants am Fischereihafen auf die Rechnung. Er hatte sich mit einem Callgirl verabredet, dessen Nummer er vom Hotelportier gegen ein fürstliches Trinkgeld erhalten hatte. Die junge Frau saß ihm jetzt gegenüber. Der Portier hatte sie zutreffend beschrieben, als er sich seine beiden Hände beziehungsvoll vor die Brust hielt, um ihre Oberweite anzudeuten, und mit „blond“ komplettierte.
Glatko zahlte die Restaurantrechnung. Es war schon still geworden in dem Lokal, das einen Hinterausgang in einen Hof hatte, wo ihn die Puppe als Vorschuss für die Nacht schon einmal bedienen könnte. So sein Plan. Vielleicht würde sie dabei jemand überraschen. Für ihn ein zusätzlicher Reiz. Er brauchte das geradezu. Ob als Anlass, den Entdecker dafür spitalsreif schlagen zu können, darüber hatte er noch nie nachgedacht. Bevor er aber mit der Blondine zur Sache kommen konnte, schlug sein Handy an. Es war der Oberst. Die Frau des Ministerpräsidenten, die blöde Kuh, hätte wegen irgendeiner Weibergeschichte durchgedreht und stünde nun als Patin für die morgige Schiffstaufe nicht zur Verfügung. Er möge für Ersatz sorgen, egal wie.
Glatko, der Frauen nur nach jung, alt, schön, hässlich, sexy oder mau einzuschätzen wusste, musterte das Callgirl und sagte: „Kein Problem, ich habe schon einen Ersatz.“
Er stand seinem Chef gerne zu Diensten. Schon im Durcheinander des jugoslawischen Bürgerkriegs waren sie ein Team gewesen. Er als Mann fürs Grobe seines Obersten, eines Kommandoführers der alten Volksarmee. Mit dem Ende des Krieges galt es für beide, der Sinnlosigkeit des Tötens Sinn zu geben. Die Jagd nach dem Mammon bot sich dabei quasi an. Jede abgepresste Liegenschaft, jede durch Arglist, Lug, Trug und Einschüchterung gewonnene Million bot Befriedigung, Herren über die Opfer zu sein und über dem Gesetz zu stehen. Das war ihr neuer Krieg. Er wurde anders geführt, aber die Hemmungslosigkeit des Tötens, das Zuschlagen aus dem Hinterhalt und nicht zuletzt die Seilschaften mit den Veteranen, daran hatte sich nichts geändert. So blieben die beiden ein Team. Aus dem Genossen Oberst wurde der Chef, zuständig für Planen, Mehren und Wahren, Glatko oblag die Beseitigung von Hindernissen.
Hin und wieder überraschte er seinen Oberst durch Anfälle von Intelligenz. Etwa mit seiner Beschreibung des Unterschieds zwischen Krieg und Frieden: „Im Krieg laufen dir die Opfer davon, im Frieden laufen sie dir nach.“ Der Oberst verstand, was er meinte. Auch er war manchmal verblüfft von der Gier von Bankern, den Opfern seiner kriminellen Energie. Die in Klagenfurt waren allerdings eine für seine Absichten selten entgegenkommende Mischung aus Gier und Blödheit. Bedenkenlos hurten sie mit den zugetriebenen Edelnutten herum und ließen sich in allen möglichen Stellungen fotografieren. Kosten und Mühen, die er sich wahrscheinlich hätte sparen können. Sie lieferten ihm auch so bereitwillig Millionen in Form von Großkrediten und Leasinggeschäften, dass sie ihn bisweilen sogar damit verunsichern konnten. Hatte er es wirklich und tatsächlich mit Bankern zu tun, oder waren die auch nur Betrüger? Vielleicht solche, die, noch um eine Nummer größer als er, und die ihn legen wollten? Und wer trieb eigentlich zu den Deals? Die Banker oder die oft mit am Tisch sitzenden Provinzpolitiker, deren Häuptling er bis dato nicht so richtig einschätzen konnte? Unglaublich, wie der von den Seinen hofiert wurde, wie sie ihm nach dem Mund redeten und auf jeden Wink gehorchten. Von diesem Mann konnte er jedenfalls noch lernen.
Im Fischrestaurant von Grado begann man Tische abzuwischen und die Theke zu polieren. Diese Aktivitäten sollten den Gästen die Sperrstunde signalisieren. Glatko beendete das Telefongespräch mit seinem Chef. Auf die Idee, dass ein Callgirl als Patin bei einer Schiffstaufe nicht unbedingt die Idealbesetzung sein könnte, kam er erst gar nicht. Eine Frau wurde gebraucht. Da war seiner Einschätzung nach etwas Dekoratives in Blond und mit beachtlicher Oberweite immer noch besser als die dicke Nudel des Regierungschefs.
„Hol dir schnell von zu Hause was Tolles zum Anziehen, ich brauch dich morgen als Taufpatin“, sagte er zu ihr von oben herab.
„Als Taufpatin? Muss ich da katholisch sein?“
„Weiß ich nicht. Bist du’s?“
„War es mal. Ist es ein Junge oder ein Mädel?“
„Blöde Gans, ein Schiff, mit Champagner und Kapitän und Ehrengästen und dem ganzen Trallala.“
„Ach so … Was muss ich denn da anziehen?“
„Das musst du doch wissen. Irgendeinen tollen Fummel halt. Und komm dann für den Rest der Nacht ins Hotel.“
Nachdem sie gegangen war, zahlte er und ging über den dunklen Hof in Richtung Toiletten. Und da stand diese Frau. Irgendein Licht strahlte sie an. Er sah ihr Entsetzen. Er wusste zunächst nur, dass er ihr schon einmal begegnet war. Dann erinnerte er sich schlagartig, sogar das Datum wusste er: Potocari, 12. Juli 1995. Er hatte getrunken, so wie alle seine Kameraden auch. Dann hieß es ausschwärmen, Bosniaken töten. Davon hatten sich ungefähr 20.000, zumeist Frauen und Kinder, auf dem Gelände der UN-Blauhelme zusammengerottet, um vor Übergriffen der Serben sicher zu sein. Es war ein heißer Abend. Er hatte Durst und es gab weit und breit kein Wasser, nur Rotwein. Benebelt schlitzte er mit seinem Bajonett eine Zeltwand auf. Da stand sie hinter einem alten Mann und versteckte sich, so gut sie konnte. Der Alte spuckte ihm ins Gesicht. Da rammte er ihm sein Bajonett in den Bauch. Röchelnd fiel er zu Boden. Dann riss er der Frau die Kleider vom Leib. Er wollte sie mit Gewalt nehmen, war aber zu betrunken. Wofür sie ihn in ihrer Verzweiflung mit Schimpftiraden und Spott übergoss. Da spreizte er ihre Beine, im wilden Gerangel. Unter der Gewaltanwendung wurde sein Glied steif und er drang in sie ein. Seither brauchte er solche Handgreiflichkeiten, gespielt oder echt, um zum Orgasmus zu kommen.
Und jetzt stand sie plötzlich wieder vor ihm. Sie öffnete den Mund. Ob um zu schreien oder um ihn wie damals in Potocari zu verspotten, würde er nie erfahren. Denn bevor er wusste, was geschah, lag sie auf dem Boden. Er wunderte sich kurz, dass sie kaum blutete. Da hatte er schon anderes gesehen, wenn er mit seinem Messer zustach. Er blickte sich um. Kein Mensch weit und breit.
Im Hof standen mehrere Kühlwägen. Aus einem Raum nebenan mit schwachem Licht hinter dem Fenster drangen Laute in einer fremden Sprache. Schnell griff er sich die Tote, schleifte sie die paar Meter zu einem der Fahrzeuge, öffnete eine Tür, durch die sofort Kühlwolken nach außen drangen. Er zog seinen Hosengürtel aus den Schlaufen, schlang ihn um den Hals der Leiche und hängte sie damit an einem der Haken auf. Dann schloss er die Tür.
Erst jetzt registrierte er, dass eine Blutspur zu dem Wagen führte. Zum Glück gab es mehrere Wasserhähne, von denen Schläuche hingen. Er öffnete einen und ließ den Wasserstrahl in ganz flachem Winkel über den Boden sprudeln. Die Blutspur verwischte und wenig später hatte sie sich fast ganz aufgelöst. Gerade rechtzeitig. Denn eine Tür ging auf und die fremden Wortfetzen kamen näher. Von seinem Versteck aus sah er, wie sich eine Schar Dunkelhäutiger an den Fahrzeugen zu schaffen machte. Und er erblickte die Handtasche seines Opfers. Die zog er rasch aus dem Blickfeld der Saubermacher und nahm sie an sich. Er sah an sich herab. Sein Hemd war blutverschmiert. Nicht übermäßig stark, aber genug, um fragende Blicke anzuziehen. Er schlich in den Raum, aus dem die Dunkelhäutigen gekommen waren, und stellte fest, dass es ihr Umkleideraum war. Er besah sich einige Jacken und nahm sich die größte. Sie war ihm viel zu klein, aber groß genug, um sie über seinen Arm zu hängen und die blutige Stelle und die Damenhandtasche zu verdecken. Doch wohin mit dem Messer, so auf die Schnelle? Er holte aus und es landete auf einem der Spinde der Putzbrigade. Und jetzt nichts wie weg. Nicht einmal den wohligen Schauer, der bei Szenen von Blut und Tod durch ihn rieselte, gönnte er sich. Er würde ihn im Rest der Nacht mit der Blondine ausleben.
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