Pfeffer bejahte und zog die Bilder hervor.
»Vielleicht siehst du es auch. Nimm eine Lupe und guck dir mal ganz genau zum Beispiel die Schläfen an.«
Pfeffer tat, wie ihm geheißen und studierte mit der Lupe die Fotos, auf denen Stirn und Haaransatz der Leiche besonders gut getroffen waren. »Tut mir leid«, sagte er nach einer Weile. »Ich erkenne da nichts.« Er stierte weiterhin wie gebannt durch das Vergrößerungsglas.
»Ich habe hier den Kopf vor mir«, sagte Gerda Pettenkofer. »Schau an seiner rechten Schläfe, ganz schwach, … na, vielleicht sieht man auf dem Foto doch nichts …«
Doch Pfeffer sah nun endlich, was sie meinte. Er hatte nach offensichtlichen Spuren gesucht, irgendetwas Auffälliges erwartet. Doch was er nun sah, war nur ein zarter Abdruck auf der Haut, eine kleine runde Rötung, mehr nicht. Er war nicht einmal sicher, ob er sie wirklich sah oder sich durch die Suggestion der Gerichtsmedizinerin nur einbildete.
»Da sind noch mehr, insgesamt drei habe ich gefunden«, fuhr die Pettenkoferin fort. »Das an der Schläfe ist das am besten erkennbare. Keine Ahnung, was das verursacht hat. Es ist so marginal, dass man es leicht übersehen kann. Vielleicht hat das auch nichts zu sagen. Ich habe das Gewebe darunter untersucht und dort sind die Spuren etwas deutlicher. Minihämatome, wie wenn man hauchzarte Knutschflecke hat. Okay, das war jetzt das falsche Bild, denn es sind Druckstellen, keine Saugstellen. Was es auch ist, es muss recht kurz vor seinem Tod passiert sein, denn sonst wären die Druckstellen wieder verschwunden.«
»Vielleicht hat er sich irgendwo dagegen gelehnt?«
»Möglich.«
»Soll ich dir noch mal sagen, dass du die Beste bist? Danke und …«
»Halt, Maxl. Nicht so schnell. Wie viele Zuckerl nimmt die dicke Leichenaufschnipplerin normalerweise in den Kaffee? Sag jetzt nichts Falsches! Genau drei Stück. Also, hier kommt Zuckerl Nummero tres: Wenn du mit der Lupe die Hautpartie hinter seinem rechten Ohr genau untersuchst, was siehst du da?«
»Etwas Verschmiertes. Noch ein größeres Hämatom?« Pfeffer studierte die angegebene Stelle. »Nein, das ist ein verwischter Buchstabe oder so.«
»Heiß, Pfeffer.«
»Okay, ich hab es. Da steht fünfundvierzig in Ziffern.«
»Mit einem handelsüblichen Kugelschreiber der Marke Bic auf die Haut geschrieben«, ergänzte Gerda Pettenkofer. »Da der Schädel durch so viele Hände gegangen ist, ist die Schrift etwas verschmiert. Die Ziffer war zwar versteckt, aber doch so angebracht, dass sie bei einer Autopsie auf jeden Fall gefunden werden muss. Also ein Hinweis.«
»Schlau, Pettenkoferin. Fragt sich nur auf was.«
»Um das herauszufinden, lieber Max, zahlt der Steuerzahler deine üppigen Beamtenbezüge. Den schriftlichen Bericht bekommst du demnächst. Und wann treffen wir uns mal wieder einfach so auf eine Zigarette? Oder sind deine Aufhörversuche letztlich geglückt?«
»Ach, vergiss es«, grunzte Pfeffer ins Telefon. »Irgendwie fehlt mir einfach die Energie. Ist ja angeblich eine reine Kopfsache, aber ich habe den Kopf nie frei genug, um das Rauchen aufzuhören. Tim denkt natürlich, ich hätte es geschafft, weil ich zu Hause nicht mehr rauche. Aber kaum bin ich aus dem Haus … wie ein Junkie!«
»Kenne ich.« Gerda Pettenkofer seufzte. »Das ist dann das Schlimmste, das heimlich Rauchen. Höre meinen Rat, Pfeffer, und drück die Zigarette aus, die du gerade rauchst und schmeiß die Packung weg. Endgültig. Nur so schaffst du es. Auf die harte Tour. Denn es ist wirklich nur im Kopf. Reine Nervensache.«
»Sagte die Kettenraucherin kurz vor dem Lungenkrebs.«
Es gab Kollegen, die hatten ihre Schwierigkeiten mit Max Pfeffers Veranlagung. Er hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, nachdem er sich von der Mutter seiner Kinder getrennt hatte. Sein Vorbild hatte letztlich sogar dazu geführt, dass sich damals zwei weitere Kollegen und fünf Kolleginnen aus unterschiedlichen Dezernaten geoutet hatten. Das nahm den Witzereißern ein wenig den Wind aus den Segeln. Doch ihre Schwierigkeiten hatten einige Kollegen nach wie vor. Für sie war ein Bulle eben ein Bulle und keine Tunte. Ein echter Kerl eben und echte Kerle berühren andere Kerle nur, um sich zu prügeln oder im sportlichen Wettkampf zu messen. So sahen sie es jedenfalls. Zwar konnte sich keiner erinnern, dass sich Pfeffer je auch nur ansatzweise tuntig benommen hätte, und die recht beträchtliche Zahl derer, die sich anfänglich geweigert hatten, nach dem Sport mit Pfeffer zu duschen, war drastisch auf zwei zusammengeschrumpft, doch es gab nach wie vor einen harten Kern von Kollegen, die immer noch ihre abgeschmackten Witze rissen. Meist hinter seinem Rücken. Nur einmal hatte es einen kleinen Eklat gegeben, als ein Kommissar der Drogenfahndung in der Kantine vor versammelter Mannschaft Pfeffer, der damals auch noch den Dienstgrad eines Hauptkommissars im Drogendezernat bekleidete, laut und vernehmlich »Schwanzlutscher« genannt hatte. Pfeffer hatte nach außen hin gelassen reagiert, sein Tablett seelenruhig mit einer Portion Schupfnudeln mit Kraut beladen und »Stimmt. Bin ich. Und was machst du so?« geantwortet. Das hatte ihm von vielen Kollegen, vor allem von den meisten Kolleginnen, kurzen Applaus und dauerhaften Respekt eingebracht.
Auch Paul Freudensprung ließ nichts auf seinen Chef kommen und reagierte kühl, als er dem Leiter einer Sonderkommission der Drogenfahndung die Hand schüttelte. Ausgerechnet Josef Kurt, der Kollege, der einst für den Eklat gesorgt hatte, war nun sein Ansprechpartner.
»Hör zu, Kurt, ich will es kurz machen«, sagte Freudensprung. »Sagt dir der Name Herbert Veicht etwas? Fernsehproduzent, Veicht-Productions.«
»Veicht, Veicht, Veicht.« Der Kollege wiederholte den Namen und tat so, als würde er darüber sinnieren. »Hmmm, wieso seid ihr an dem interessiert? Ach, das war der Tote, richtig? Stand ja in allen Zeitungen. Riesenschlagzeilen! Da hat dein Chef mal wieder alle Chancen sich mit einem spannenden Fall zu profilieren als Leiter der Soko Veicht. Schick!« Es war kein Geheimnis, dass Kollege Josef Kurt neidisch war auf die schnelle Karriere, die Pfeffer gemacht hatte. Kurt wäre liebend gerne Rat geworden, doch seine Leistungen und Fähigkeiten hatten seine Vorgesetzten bislang nicht wirklich überzeugt.
»Stimmt«, antwortete Freudensprung sarkastisch. »Genau das will er, sich profilieren. Jetzt mal im Ernst, Kurt. Ist Veicht irgendwie aufgefallen?«
»Ich glaube, wir haben eine Akte über ihn. Da gab es mal eine Razzia, bei der er festgenommen wurde. Koks, nicht wahr? Sag deinem Chef, dass ich die Akte irgendwann suchen lassen werde.«
»Wie wäre es mit jetzt?«
»Nicht doch, Paul, lass mir ein wenig Freude und deinen Chef zappeln.«
»Ach, Kurt.« Freudensprung setzte sich bequem hin und schlug die Beine übereinander. »Ich habe die Anweisung, im Zweifelsfall nicht ohne Akten oder so zurück zu kommen. Wir können es jetzt wie Kollegen lösen oder ich werde mich mal mit dem Oberstaatsanwalt unterhalten.«
»Wow. Du hörst dich schon an wie dein Chef. Hat er dich jetzt auch zu einem Hinterlader gemacht, oder was?« Kollege Kurt schnaubte verächtlich. »Ach nein, was man so hört, bist du ja mit einer liebreizenden ausländischen Mitbürgerin zusammen.« Freudensprung reagierte nicht. Kurt grunzte. »Aische Demir, was? Ist doch die Schwester von diesem türkischen Filmstar Levent Demir, oder? Und wie ist die so?« Er machte eine eindeutige Handbewegung. Freudensprung starrte ihn an, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. »Dann kennst du sicher den großen Star Levent Demir persönlich, oder? Soll jetzt ja bald Schluss sein mit der Serie, in der er den Bullen spielt. Mörderischer Einsatz . Mann, schon der Titel ist scheiße. Dann ist es vorbei mit dem türkischen Star und er kann wieder in Anatolien Ziegen hüten.«
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