1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Aber wir mussten immer auf der Hut sein. Ich durfte als Kind nie alleine auf die oberen Weiden gehen, um die Viecher zu hüten. Immer musste der Bruder oder der Vetter mitgehen. Da haben die Eltern immer aufgepasst. Ich habe aber als Kind niemals erlebt, dass ein Tier von einem Perchtl getötet worden ist oder ein Kind verschwunden ist. Wir Kinder hatten immer den Verdacht, dass die Eltern uns nur Angst machen wollten mit den Perchtlgeschichten. Und wir haben eigentlich darauf gewartet, dass wir eines Tages herausfinden, dass das nur Geschichten sind und nicht die Wahrheit. Damit wir freiwillig ins Bett gehen und unsere Feldarbeit machen. Wie das Christkindl, das uns nichts bringt, wenn wir nicht brav sind oder der Krampus, der uns in den Sack steckt. Ein Aberglaube wie das sich Bekreuzigen, wenn es donnert oder das dreimal Ausspucken, wenn der Name des Preußenkönigs genannt wird. Weniger echt als der liebe Gott, die Jungfrau Maria und die Heiligen, aber trotzdem haben da alle mitgemacht.
Bis ich fünfzehn war, habe ich immer gedacht, dass das alles nur ein großer Spaß ist, mit den Perchtln. Doch dann gab es einmal einen echten Perchtleinfall in unserem Dorf. Der erste seit Ewigkeiten, haben die alten Leute gesagt. Da habe ich sie plötzlich mit eigenen Augen gesehen. Damals haben die Männer im Dorf alle Perchtln, die den Berg herunterkamen, getötet. Dabei sind auch zwei Männer aus dem Dorf umgekommen. Wir Kinder durften erst dazu, als es das große Andreasfeuer gab. Ein großer Holzhaufen mit einem Pfahl in der Mitte. Drumherum die Perchtln. Im Feuer haben wir gesehen, wie sich die Perchtln noch bewegt haben. Wir haben ihre Lederhaut gesehen, die Haare wie schwarzes Stroh. Statt Augen hatten sie runzelige Löcher. Aber so zwergenhaft klein, wie ich sie mir als Kind immer vorgestellt hatte, waren sie nicht. Sie haben gekreischt und gezischt im Feuer. Ich glaube, das war das schrecklichste an den Perchtln. Ihr fürchterliches Geschrei. Es heißt, die haben Worte, mit denen sie töten können. Zaubergeschrei. Wie Untote. Seitdem hat es im Dorf in meiner Lebenszeit noch zweimal ein Andreasfeuer gegeben. Aber nie mehr so groß. Es soll plötzlich wieder mehr Perchtln in den Bergen über unserem Tal gegeben haben, haben die Älteren gesagt. Oder frechere.
Der Perchtllauf war danach nie wieder so schön wie vorher. Vielleicht war ich auch einfach zu erwachsen dafür geworden.
In den auf meinen ersten Einfall folgenden Jahren hatten wir Kinder und Halbwüchsige viel Angst vor den Perchtln und konnten nicht einschlafen in unseren Stuben. Obwohl wir immer viele waren. Den Eltern konnten wir nichts sagen, denen war das gleich. Da haben wir uns gegenseitig die Geschichte vom heiligen Andreas von Rieding erzählt. Das hat uns beruhigt und geholfen. Es nahm uns die Angst vor der ganzen Grausligkeit der Perchtln. Einer von uns, stärker als alle Perchtln der Welt zusammen.
Die Geschichte vom heiligen Andreas ging so: Andreas Gumpner, so hieß er, bevor er zum Heiligen wurde, lebte vor vielen Jahren. Wahrscheinlich mehr als tausend. So erzählte es mir die Großmutter und ich den Geschwistern in der dunklen Schlafstube. Er war einer der ersten, der das Pfaffltal bewohnbar gemacht, die Wiesen trockengelegt, das Ackerland gepflügt und die Straßen angelegt hat. Die Legende sagt, dass Andreas und seine Leute das Land im Pfaffltal aber auch das im Tal der Reisach vom Grafen Bartholomäus zugesprochen bekommen haben sollen, um dort zu siedeln. Zuvor waren er und seine Leute in seiner alten Heimat durch Ernteausfälle und Kriege landlos und mittellos geworden. Der Baron schenkte ihnen die leeren Täler aus Mitleid und Menschlichkeit, damit Andreas sie rodet und besiedelt. Bartholomäus unterwarf sich der Wittelsbacher Krone und nahm für das Land an der Pfaffl und an der Reisach den bayerischen König als Lehnsherrn an. Doch Andreas fand, entgegen aller Versprechungen, kein leeres Land vor. Er traf auf das Zwergenvolk der Perchtln, das in den Tälern hauste und dort unter den Siedlern Angst und Schrecken verbreitete. Wenn sie die neuen Menschen nicht töteten, so verhexten sie sie und machten deren Vieh und deren Kinder krank. So krank, dass das Vieh auf der Weide tot umfiel und die Kinder nur noch dumm geworden in den Betten liegen konnten. Doch Andreas war ein sehr mutiger Mann. Trotz der Übermacht der Zwergenwesen, stellte er sich ihnen im Kampf und besiegte sie immer wieder und immer öfter. So dass nach nur wenigen Monaten ein gewisser Frieden in den Orten in den Tälern einkehrte, weil sich die Perchtln immer weiter in die Berge zurückzogen und bald auf der anderen Wachtenseite verschwanden.
Eine der Geschichten, die es über Andreas gab und die ihn in den Augen der Pfaffltalbewohner zum Heiligen machte, war die Folgende. Wahrscheinlich war sie der Grund für die großen Perchtlläufe in unserer Gegend. Das Ganze soll sich in Russlach zugetragen haben. Es gab aber auch fast die gleiche Geschichte aus Irchenbrunn:
Nach Jahren der Ruhe läuteten eines Tages die Kirchenglocken von St. Bartholomä zur Unzeit. Das Dorf war noch nicht fertig gebaut und viele der Menschen in Russlach lebten in Holzhütten neben den unfertigen Mauern ihrer Höfe. Die Menschen liefen in Angst auf dem Anger zusammen. Die Älteren wussten genau, was das Geläut um diese Zeit zu bedeuten hatte. Einige junge Frauen sammelten die Kinder ein und wollten sie in den schon fertigen Gumpnerhof bringen. Auf der anderen Pfafflseite. Dazu mussten sie über den Steg, der einige hundert Fuß entfernt war, denn die eigentliche Holzbrücke war vom Hochwasser weggespült worden. Die Kinder gingen brav über den Steg, während die Männer und die erwachsenen Frauen auf den Sturm der Perchtln auf der großen Wiese warteten. Bewaffnet mit Mistgabeln und Spaten und großen Prügeln. Doch die Perchtln waren raffiniert und schlichen sich damals von der anderen Seite an. Einige der Perchtln waren sogar zum Steg geschlichen und hatten ihn niederträchtig in die reißende Pfaffl gestoßen. Es gab kein Zurück für die jungen Frauen und die Kinder. Sie saßen in der Falle. Die Perchtln stürmten auf sie zu und fingen in einer wilden Jagd ein Kind nach dem anderen ein, steckten sie in große Säcke und banden diese zu. Die Männer und Frauen standen am anderen Ufer und konnten dem Treiben nur zusehen. Die Kinder schrien und die Eltern waren verzweifelt. Die Perchtln fletschten ihre Zähne und drohten den Männern und Frauen am anderen Ufer mit ihren großen Messern. Sie vollführten einen wilden unheimlichen Tanz. Da fasste sich der schon alte Andreas Gumpner ein Herz, riss einem der Männer seinen Spieß aus der Hand, lief auf die wild strömende Pfaffl zu, stach den Spieß in den Bachgrund und flog über das Wasser hinweg. Auf der anderen Seite waren die Perchtln so erschrocken, dass sie sich erst zu wehren begannen, als Andreas bereits drei von ihnen auf einmal mit dem Spieß durchbohrt hatte. Mit übermenschlichen Kräften rammte der den Stab mit den durchbohrten Perchtln in den Boden. Dann nahm er die umstehenden Perchtln, einen nach dem anderen und brach ihnen das Genick. Alles war voller Perchtlblut. Andreas riss sich das Hemd vom Leib und stand mit nacktem Oberkörper im Regen. Als alle Perchtln tot in einem Kreis um den Spieß lagen, befreite Andreas die gefangenen Kinder.
Ein Mann, schon alt, hatte nur mit der Kraft des Zorns ein Wunder vollbracht und alle Kinder des Dorfes gerettet. Langsam kamen die anderen Männer und die Frauen über die Pfaffl herüber und bejubelten die Tat. Andreas ging in seinen Hof und brachte Holz, Brennalkohol und Feuer. Das zuletzt gefangene Kind, das den Perchtln am längsten Widerstand geleistet hatte, ließ er ein riesiges Feuer entfachen, das alle Perchtln verbrannte. Alle Russlacher ließ Andreas beim Blut der Perchtln den Schwur leisten, dass sie sich stets gegen die Perchtln wehren sollten und ihren Kindern immer Schutz vor den Zwergenungeheuern bieten wollten.
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