Wieder stiegen Tränen auf. Wie hatte sie sich so täuschen können? Sie hätte geschworen, dass Rafael sie heiraten wollte. Doch die harte Wahrheit sprach eine andere Sprache. Er hatte sich nur mit ihr amüsiert! Diese Erkenntnis verletzte sie so sehr, dass der Kummer dieses Tages sie überwältigte. Sie ließ sich auf das Bett fallen und begann ungebremst zu weinen. Sie hatte das Gefühl, dass der Tränenfluss nie mehr aufhörte, und sie es auch gar nicht wollte. Doch irgendwann versiegte er doch.
Leises Klopfen an der Tür ließ sie aufhorchen. Augenblicklich setzte sie sich auf und trocknete ihr tränennasses Gesicht. Vielleicht ist es Mutter, die sie trösten wollte. Erwartungsvoll bat Emmy den Besucher hereinzukommen. Die Tür wurde geöffnet und ihr Bruder sah zu ihr herein.
»Darf ich eintreten? Ich habe dich weinen hören und wollte dich daher fragen, ob ich helfen kann.«
»Ja, bitte komm herein«, erlaubte sie ihm mit rot verweinten Augen. »Verzeih, ich bin etwas durcheinander. Es war ein ereignisreicher Abend.«
Ihre Augen und Nase waren gerötet und vom Weinen verschwollen.
»Es tut mir leid.« Schuldbewusst erwiderte er ihren Blick.
»Sei mir bitte nicht böse. Es ist mir heute erst bewusst geworden, dass ich mich früher um alles hätte kümmern müssen. Ich wollte doch einfach nur das Leben genießen, keine Erwartungen mehr erfüllen, sondern ich selbst sein. Solange Vater lebte, war es mir kaum möglich. Nichts durfte ich tun, immer nur zu Hause sein. Nicht einmal in unseren Besitz einarbeiten durfte ich mich. Jetzt weiß ich natürlich auch, warum.«
Bitter setzte er nach einer Pause hinzu: »Er wollte nicht, dass ich sehe, wie viele Schulden er schon aufgebaut hatte. Warum hat er sich nicht helfen lassen? Ich verstehe es einfach nicht.« Ratlosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Vielleicht wollte er dich schützen. Er dachte vielleicht, dass er es noch schaffen könnte, ohne dich damit zu belasten.«
»Ja, das kann sein!« Philip lächelte erleichtert. »Ich möchte Vater nicht hassen. Hoffentlich siehst du das nicht als Schwäche von mir.« Vorsichtig sah er Emmy an und suchte nach Verständnis in ihrem Gesicht.
»Nein, ich verstehe dich. Trotz allem hast du Vater geliebt, das weiß ich.«
Dankbar und erleichtert nahm er sie kurz in die Arme.
»So, nun will ich dich nicht weiter stören. Du fährst also morgen zu Joan? Bestelle ihr meine besten Grüße. Du weißt, ich habe sie immer sehr gemocht.«
»Das werde ich. Es wird mir guttun, bei ihr zu sein. Das verstehst du doch?«
»Ja, ich verstehe dich. Versuche du, auch Mutter ein wenig zu verstehen. Sie ist halt so, wie sie ist.«
»Ja, sie ist halt so!«, wiederholte Emmy leise.
»Gute Nacht, wir sehen uns im Mai wieder.«
Philip öffnete die Tür und hätte fast Johanna, die davorstand, umgerannt.
»Also, Master Philip, was ist denn das für ein Benehmen!«, empörte sich Johanna.
Doch Philip lachte nur, nahm sie kurz in die Arme und verschwand leichten Schrittes.
»Hat er sich ein gutes Gewissen bei Ihnen abgeholt?« Noch immer aufgebracht, sah sie zur mittlerweile geschlossenen Tür, als ob er noch da draußen stünde.
»Ach Johanna, er hat wenigstens nach mir geschaut! Aber nun Schluss damit. Ich bin müde und gehe jetzt zu Bett. Meinst du, wir können gleich nach dem Frühstück aufbrechen?« Zutiefst erschöpft von dem Erlebten, suchte sie ihr Gähnen zu unterdrücken und sah Johanna fragend an.
»Kein Problem, die Koffer stehen im Umkleidezimmer nebenan. George weiß Bescheid, dass wir morgen verreisen, und hat die Kutsche schon kontrolliert. Packen werde ich, während Sie frühstücken. Und Sie kuscheln sich in Ihre Decken. Schlaf ist das, was Sie jetzt brauchen.«
Sie half ihr aus dem Kleid und zog ihr das Nachthemd über.
»Setzen Sie sich hier vor den Spiegel, dann nehmen wir noch die Nadeln aus Ihrem Haar, und schon sind Sie fertig für heute.«
Dankbar nahm Emmy Johannas Hilfe an. Nachdem das Haar gekämmt war und sie sich notdürftig Hände, Gesicht und Hals gewaschen hatte, ging sie zu Bett.
Während Johanna leise die Kleider sortierte und ein wenig aufräumte, war Emmy binnen Sekunden erschöpft eingeschlafen.
Die Kinderfrau sah sie bekümmert an. Heute Morgen noch ein glückliches Kind und jetzt eine unter massivem Druck gereifte junge Frau.
Leise ging sie aus dem Zimmer, verschloss sie die Tür hinter sich, um endlich auch in den wohlverdienten Schlaf zu finden.
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