»Sie meinen, Pater Raphael verkauft das Land doch noch an die NAPHTAG?«
»Überraschen täte es mich nicht.«
Die Nachricht schockierte sie. Das Stroh würde sie auch woanders bekommen, falls das Kloster den Getreideanbau aufgäbe. Ihr Problem bestand darin, dass sie den Verheißungen des ›Clean Fracking‹ keine Sekunde traute. Eine solche Industrieanlage praktisch vor der Haustür würde die Qualität der übrigen Güter, die Bauer Weber produzierte, beeinträchtigen. Bio Label ade, Lebensqualität ade. Vor allem aber schockierte sie, dass offenbar nichts und niemand die Profitgier des Petrochemie Giganten stoppen konnte. Weber hörte sich ihre Argumente geduldig an. Am Schluss bemerkte er nur:
»Wem sagst du das.«
Sie musste unbedingt den Prior sprechen. Die Mittagspause verbrachte sie am Telefon mit den Kollegen im Labor in Wollmatingen und ihrer Geliebten. Emma verhielt sich merkwürdig verschlossen seit einigen Tagen. Maria wusste nur, dass sie an einer heißen Story arbeitete, in der die NAPHTAG eine Hauptrolle spielte. Mehr war nicht aus Emma herauszuholen. Wie üblich hielt sie die Geschichte strikt unter Verschluss bis zur Veröffentlichung. »Sonst wird aus der Bombe eine harmlose Verpuffung«, war ihr Argument. Maria hatte kein Problem damit. Sie selbst verhielt sich nicht anders, was ihre Forschungsergebnisse anbelangte. Der entscheidende Unterschied bestand nur in Emmas Tendenz, sich bei ihren Recherchen in unmögliche Situationen zu manövrieren. Kurz bevor die Bombe platzte, steigerte sich die Sorge um Emma zum latenten Unwohlsein. Hörte sie einen halben Tag nichts von ihr, begannen sich die Nerven zu kräuseln, als stünden sie unter Hochspannung. Emma beendete das Gespräch mit dem üblichen Zweckoptimismus:
»Mach dir keine Sorgen. Es ist bald vorbei.«
Pater Raphael, der Prior des Klosters Mariafeld, empfing sie freudestrahlend wie Bauer Weber. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn erschienen ihr zahlreicher und ausgeprägter als beim letzten Besuch vor zwei Monaten. Vielleicht bildete sie es sich ein nach dem Gespräch mit Weber, aber die Stimme des Paters bestärkte den Eindruck. Er klang müde, erschöpft, obwohl er sich alle Mühe gab, die gewohnte, unerschütterliche Kraft und Ruhe auszustrahlen, die ihr stets Halt und Zuversicht gegeben hatte. Sie sah in ihm nicht den Priester, den frommen Mönch. Pater Raphael war der gute Onkel, der sich ihrer nach dem Verlust der Eltern angenommen hatte. Ihm verdankte sie die Chance, an der Uni Konstanz das studieren zu können, was sie schon früh in den Bann gezogen hatte: Biologie, die Wissenschaft vom Leben. Er hatte sie letztlich überzeugt, den Schritt in die Selbstständigkeit mit dem Start-up-Unternehmen zu wagen, obwohl auch er sicher keine genaue Vorstellung davon hatte, was sein Schützling zwischen Petrischalen, Bioreaktoren und Chromatografen eigentlich trieb.
»Du hast Stroh geholt, nehme ich an«, sagte er nach der Begrüßung.
Sie nickte. »Die Mikroben brauchen Futter.«
»Eines Tages musst du mir mit den Worten eines Laien erklären, woran ihr arbeitet.«
»Es ist eigentlich ganz einfach, wenn man von ein paar Einzelheiten absieht. Wir bringen Bakterien dazu, bestimmte Chemikalien aus Biomasse zu erzeugen. Bauer Webers Stroh eignet sich hervorragend als Futter. Unsere Bakterien ersetzen also eine ganze chemische Fabrik.«
»Das hört sich so einfach an.«
»Ganz so einfach ist es schon nicht. Immerhin tüfteln wir schon fünf Jahre daran, und während meiner Doktorarbeit habe ich auch nichts anderes getan. Anfangs wollten die Viecher partout nur in teurem Traubenzucker gedeihen.«
Die Bemerkung rang dem Prior ein Schmunzeln ab.
»Riesling-Sylvaner, vermute ich.«
»So ungefähr.«
»Und jetzt habt ihr die Einzeller umerzogen?«
»Genau das haben wir getan. Ich bin zuversichtlich, dass wir bald eine stabile Population gezüchtet haben, Pater. Vielleicht sieht man es mir nicht an, aber ich bin richtig glücklich.«
»Man sieht es«, beruhigte er lächelnd, »andererseits hattest du schon immer ein sonniges Gemüt. Dafür beneide ich dich.«
Sie ließ den Blick durchs Arbeitszimmer des Priors gleiten. Wie oft hatte sie schon hier gesessen, das große, schwere Kruzifix vor Augen, das zu ihm gehörte wie die Kutte und die Brille mit dickem, schwarzem Rand? Auch dieser Raum veränderte sich nie. Pater Raphael besaß empfindliche Antennen. Ihm entging nicht, dass sie noch etwas loswerden wollte. Lächelnd forderte er sie auf, zu sprechen.
»Ich habe von Bauer Weber erfahren, dass die NAPHTAG Land vom Kloster kaufen will. Er ist sehr beunruhigt.«
Der Prior nickte nachdenklich. »Das kann ich verstehen. Er hängt am Klostergut wie wir alle.«
»Ehrlich gesagt, mache ich mir auch große Sorgen«, fügte sie hinzu.
»Du? Warum solltest du dir Sorgen machen?«
Sie wiederholte die Argumente, die sie schon beim Gutsverwalter vorgebracht hatte. Ähnliches musste Pater Raphael auch durch den Kopf gegangen sein. Er zeigte sich nicht überrascht, dachte aber lange nach, bevor er antwortete:
»Noch ist nichts entschieden.« Nach einer weiteren Pause ergänzte er: »Manchmal lässt einem der Herr nur die Wahl zwischen zwei Übeln.«
»Tun Sie es nicht. Verkaufen Sie nicht an die NAPHTAG, Pater. Ich weiß, es hört sich kindisch an, aber ich kann es nicht anders ausdrücken: Dieser Konzern ist böse. Die NAPHTAG kann sich die besten Anwälte leisten, dass Sie am Ende mit allen Konsequenzen leben müssen, selbst wenn das Fracking Unternehmen Ihr ganzes Grundwasser verseucht.«
»Übertreibst du jetzt nicht ein wenig, Maria?«
Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Wir haben mit unserer Firma erlebt, wozu die NAPHTAG fähig ist. Wir haben bei verschiedenen Banken wegen des geplanten Börsengangs angefragt. Anfänglich erhielten wir attraktive Angebote, doch nach kurzer Zeit verabschiedete sich eine Bank nach der andern. Aus technischen Gründen, wie sie behaupteten. Ein paar ehrliche Banker haben uns den wahren Grund genannt. Die NAPHTAG hat gedroht, ihre Bankbeziehung zu beenden, falls sie weiterhin mit uns zusammenarbeiten.«
Der Pater starrte sie ungläubig an. »Warum sollten die so etwas Verwerfliches tun?«
»Weil sie sich bedroht fühlen, noch bevor wir unsere Forschungsergebnisse veröffentlichen. Der NAPHTAG Konzern will jede Konkurrenz im Keim ersticken. Eines Tages wird unsere ›grüne‹ Chemie große Teile der petrochemischen Industrie ersetzen. Davor haben sie panische Angst. Darum treiben sie dieses Fracking Projekt mit allen Mitteln voran, um Fakten zu schaffen und nachhaltige Alternativen wie unsere gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ich fürchte, dazu ist dem Konzern jedes Mittel recht.«
Sie war verstimmt, zornig. Pater Raphael kannte seine Maria so nicht. Jedenfalls ließ sie einen ziemlich verwirrten Prior im Kloster zurück, als sie sich auf den Heimweg machte.
KONSTANZ
Die Studentin sah die chemische Formel, die wie ein fettes Logo auf Felix Buchmachers Arbeitsmappe prangte.
»C4H6O4 – was ist an diesem Molekül so spannend?«, fragte sie provozierend.
»Was wissen Sie über Plattformchemikalien?«, fragte Felix zurück.
»So nennt man Basischemikalien, aus denen viele andere, komplexere Stoffe synthetisiert werden.«
»Das haben Sie schön auswendig gelernt«, sagte er lachend.
Er schob die Probe aus dem Labor in Wollmatingen ins NMR-Impulsspektrometer und schaltete das Gerät ein. Die Start-up Firma war zu klein und sparsam, um sich ein solches Instrument leisten zu können. Deshalb verbrachte er manche Stunde unter Studenten im Chemiegebäude der Uni – und in der Cafeteria. Er deutete auf die Formel und ergänzte:
»Bernsteinsäure ist so eine Basischemikalie. Man verwendet sie zum Beispiel zur Herstellung von Polyester. Lösungsmittel und Weichmacher für Kunststoffe werden daraus produziert. Sogar die Parfümindustrie braucht dieses Molekül.«
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