1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 »Halten Sie sich zurück, sonst sind Sie wegen Beamtenbeleidigung dran. Wir machen nur unsere Arbeit und zwar gründlich. Es sollte auch Ihnen einleuchten, dass wir alle Alibis überprüfen müssen.«
Ihre Worte. Sie musste sich zurückhalten, um Rappold nicht auf die Schulter zu klopfen.
»Während die Kollegen Ihre Leute befragen, möchte ich mich auf dem Areal umsehen«, sagte sie.
Er warf ihr giftige Blicke zu und fragte mit kaum verhohlener Wut:
»Wozu soll das gut sein?«
»Wenn Sie gestatten, stelle ich die Fragen.« Mit einer einladenden Handbewegung wies sie nach draußen. »Bitte sehr, Herr Kolbe, nach Ihnen.«
Er rührte sich nicht.
»Je schneller ich mir einen Überblick über die Anlage und Abläufe verschafft habe, desto früher sind Sie mich wieder los«, fügte sie hinzu.
Dieses Argument leuchtete ihm ein. Er gab ihr einen Schutzhelm und trat ins Freie.
»Sie wissen, was wir hier tun?«
»Ganz grob«, antwortete sie und spielte die Naive. »Sie suchen im Tonschiefer nach Gas. Erklären Sie es mir.«
»Da haben wir schon das erste Missverständnis. Die Gesteinsschicht, in der das Erdgas, vor allem Methan, gebunden ist, hat nichts mit Schiefer zu tun. Es ist eine Schicht aus Tonstein. Die Bezeichnung Schiefergas ist Unsinn. Sie beruht auf einem Übersetzungsfehler.«
»Ach so, und dieser Tonstein befindet sich hier unter unseren Füßen?«
Er nahm ihr die wissbegierige Dilettantin ohne Weiteres ab. Die Kommissarin rückte in den Hintergrund. Es reichte gar für ein verständnisvolles Lächeln, als er antwortete:
»Nicht direkt an dieser Stelle. Wir befinden uns am Rand des Vorkommens. Die Bohrung führt senkrecht unter die undurchlässige Schicht, über der das Grundwasser liegt. Von dort bohren wir horizontal weiter in die Tonschicht hinein.«
»Horizontal?«, unterbrach sie mit großen Augen. »Wie geht denn das?«
»Es ist im Grunde eine alte Technik, die wir heute natürlich mittels Sensoren und Computern wesentlich besser beherrschen. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen die Auswertungen im Überwachungswagen.«
»Danke, später vielleicht.«
Ihr Interesse galt im Augenblick eher dem Inhalt der vielen Tanks auf dem Gelände. Sie standen bei den Bohrtürmen.
»Also, hier führt die Druckleitung hinunter und stößt dann horizontal in die Tonschicht vor. Das Gestein bekommt durch den Druck Risse. So gibt es das eingelagerte Gas frei, das entlang der Bohrung aufgefangen und an die Oberfläche geleitet wird. Bei den Förderköpfen dort drüben fangen wir es auf und leiten es in die Vorratstanks. Das ist nur eine Versuchsanlage mit Testbohrungen. Deshalb sind wir natürlich nicht an ein Pipelinenetz angeschlossen.«
»Und das funktioniert einfach mit Wasser?«
Wieder lächelte er verständnisvoll. »Wir verwenden ein FracFluid aus Wasser, Sand und Stärke. Im Gegensatz zu klassischen Fracking Anlagen gibt es bei uns keine giftigen Chemikalien. Wir nennen die Methode deshalb ›Clean Fracking‹.«
»Tönt ja sehr fortschrittlich.«
»Ist es auch.«
Er führte sie zu einem Mischwerk nahe der Stelle, wo die Lagerhalle abgebrannt war. Es wies keinerlei Explosionsschäden auf, genau wie alle andern Anlagen, die sie besichtigte. Der Eindruck verstärkte sich, die Täter hätten genau darauf geachtet, nur den Inhalt des Lagers zu vernichten. Warum sollten Umweltaktivisten so etwas tun?
»Hier wird das Wasser mit dem Zusatz gemischt«, erklärte er. »So entsteht das FracFluid.«
»Mit dem Zusatz aus der abgebrannten Halle«, ergänzte sie mit ironischem Schmunzeln.
»Ja, Sie haben recht. Das funktioniert jetzt natürlich nicht mehr. Wir werden das Fluid vorderhand fertig gemischt aus Leverkusen beziehen.«
Die Auslagerung des Mischvorgangs und damit die Aufhebung des Lagers für Fracking Zusatz waren also die einzigen technischen Konsequenzen des Anschlags. Auf dem Weg zurück zum Container überraschte sie Kolbe mit der Frage:
»Warum gerade hier, so nahe am Schutzgebiet um den Bodensee?«
»Die Tonschicht verläuft nun mal genau hier entlang – und wie gesagt: Wir betreiben ›Clean Fracking‹ und halten uns an alle Auflagen.«
»Das möchte ich hoffen.«
Die Kommissarin war zurück, Kolbes Misstrauen auch.
»Ich muss Sie bitten, mir alle Arbeitsprotokolle und die Logfiles aus dem Überwachungswagen von der Nacht des Anschlags auszuhändigen. Wir brauchen ein vollständiges Bild der Ereignisse in jener Nacht.«
Nun waren auch Kolbes feindselige Blicke wieder da. Er hatte keine Wahl und wies eine Mitarbeiterin an, die gewünschten Informationen zusammenzustellen. Der dünne Papierstapel sah nicht sehr vertrauenerweckend aus. Sie zweifelte an der Vollständigkeit der Angaben, befasste sich aber zuerst mit der geologischen Karte, die Kolbe bei ihrer Ankunft weggeräumt hatte. Sobald sie allein war im Container, breitete sie die Karte aus. Die Tonschicht verlief in einem breiten Band vom See her nach Nordosten. Wie der Ingenieur behauptet hatte, befand sich das Versuchsgelände am südlichen Rand des Vorkommens. Sie rief das Satellitenbild der Umgebung auf ihrem Handy ab und legte es in Gedanken über die Karte. Zwanzig oder dreißig Stellen waren rot eingekreist, Gebiete, die sich besonders für eine Förderung eigneten. Die Kreise bildeten eine lange Kette, deren größtes Glied jemand durchgestrichen hatte. In diesem Kreis lag das Kloster Mariafeld.
Zehn Minuten später fuhr sie an einem Kornfeld entlang, wo ein Bauer auf dem Traktor dabei war, die Schwaden aus Stroh zu wenden. Sie hielt an, hupte und gab dem Mann Zeichen, dass sie mit ihm sprechen möchte. Er reagierte erst, als sie den Dienstausweis schwenkte.
»Es geht um den Sprengstoffanschlag, stimmt‘s?«, fragte er, kaum abgesprungen.
Er hieß Paul Weber und arbeitete als Gutsverwalter für das Kloster.
»Schon eine ganze Ewigkeit«, betonte er.
Sie brauchte nicht zu fragen. Er schnitt das Thema, das sie interessierte, von sich aus an.
»Wissen Sie, diese Chemie-Mafia will hier alles kaputtmachen. Sehen Sie sich das Land doch an.« Eine ausladende Handbewegung unterstrich sein Argument. »Das ist Landwirtschaftszone, so weit das Auge reicht. Seit vielen Generationen werden hier nachhaltig Getreide, Gemüse und Früchte produziert. Der Boden ist gut und ernährt uns alle zuverlässig. Und da kommen die geschniegelten Rechtsverdreher der Chemie-Bonzen in ihren Nadelstreifenanzügen und wollen den ganzen Landstrich mit Bohrtürmen überziehen.«
»Den ganzen Landstrich? Ich denke, es geht um einzelne Probebohrungen.«
Ein bitteres Lächeln umspielte seinen Mund. »Wäre es nur um diese zwei, drei Löcher gegangen, hätten sie nicht so einen Aufstand um unser Land gemacht. Dreimal waren die Herren Anwälte mit dem Ingenieur beim Prior, aber der hat sich Gott sei Dank nicht breitschlagen lassen. Es gibt eben noch anständige Menschen.«
»Verstehe ich Sie richtig: Die NAPHTAG wollte das Klostergut kaufen?«
»Genau, so heißt die Mafia, NAPHTAG. Sie haben am Ende eine astronomische Summe geboten für den Teil des Guts, auf dem wir jetzt stehen. Wenn Sie mich fragen, geht es denen darum, ein zusammenhängendes Gelände bis hinüber nach Memmingen zu erschließen. Einige Nachbarn haben schon verkauft oder gut bezahlte Vorkaufsrechte überschrieben.«
»Bis nach Memmingen! Das sind mehr als hundert Kilometer, Platz für hundert Förderanlagen.«
»Da sehen Sie es.«
Kolbe hatte nichts dergleichen erwähnt, als handelte es sich bei seinem Unternehmen nur um eine isolierte Probebohrung. Falls die Vermutung des Gutsverwalters zuträfe, könnte sich der Konzern ein Scheitern des Versuchsbetriebs gar nicht mehr leisten. Sie bedankte sich und zog das Telefon aus der Tasche. Es gab Arbeit für den Kollegen Haase. Bauer Webers Angaben bargen Zündstoff. Es lohnte sich, sie unverzüglich zu überprüfen.
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